Für Martin Schulz wäre eine Koalition von SPD, Grünen und Linkspartei eine der wenigen Möglichkeiten, nach der Bundestagswahl Kanzler zu werden. Doch vieles spricht gegen Rot-Rot-Grün als realistisches Szenario. Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer erklärt, warum sich die linken Parteien miteinander schwertun.

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Olaf Scholz und Sahra Wagenknecht haben bei „Anne Will“ am Sonntagabend einmal mehr demonstriert, wie wenig sie miteinander auskommen.

Der Hamburger SPD-Bürgermeister und die Linken-Spitzenkandidatin ließen kein gutes Haar aneinander – dabei müssten ihre Parteien wohl miteinander koalieren, wenn sie nach der Bundestagswahl eine erneute große Koalition verhindern wollen.

Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt Parteienforscher Oskar Niedermayer, was einer linken Regierungskoalition in Deutschland im Weg steht.

Herr Niedermayer, wie wahrscheinlich ist es Ihrer Einschätzung nach, dass es nach der Bundestagswahl eine linke Regierung aus SPD, Grünen und Linkspartei geben könnte?

Oskar Niedermayer: Sehr viele Wähler sind ja noch unentschlossen, deswegen kann man noch nicht vorhersehen, was am Wahlsonntag herauskommt. Allerdings liegen die Prozentsätze aller drei Parteien zusammengefasst derzeit so weit unter der Mehrheitsmarke, dass ich eher nicht davon ausgehe, dass Rot-Rot-Grün eine realistische Machtperspektive ist.

Bei den vergangenen Bundestagswahlen hätte es diese Mehrheit schon gegeben...

Aber bis zur letzten Bundestagswahl hatte es eine klare Aussage der SPD gegeben, dass sie keine Koalition mit der Linkspartei auf Bundesebene bilden würde. Diesen Standpunkt hat man auf einem Bundesparteitag kurz nach der Wahl geräumt. Seitdem schließt die SPD eine solche Koalition nicht mehr kategorisch aus. Allerdings gibt es in allen drei Parteien Befürworter und Gegner von Rot-Rot-Grün.

Dabei gibt es in Berlin, Brandenburg und Thüringen schon rot-rote oder rot-rot-grüne Koalitionen. Warum ist das auf Bundesebene noch so schwierig?

In den Bundesländern kann eine Regierung nur an bestimmten Stellschrauben überhaupt drehen – und alles andere ist dann eben Bundessache. Man kann daher nicht eins zu eins auf die Bundesebene schließen. Sehr starke Differenzen gibt es vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik, bei EU, NATO und Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Und da ist auch nicht erkennbar, dass sich die Parteien angenähert hätten.

Und in der Wirtschafts- und Sozialpolitik? Die Linkspartei hat sich ja gerade mit ihrer Kritik an der Agenda 2010 der früheren rot-grünen Bundesregierung etabliert.

Da würde es auch schwer werden. Die Linkspartei macht der SPD gerade in ihrem Markenkern, der sozialen Gerechtigkeit, schwere Vorwürfe und vertritt zum Beispiel die Forderung, Hartz IV vollständig abzuschaffen. Im Prinzip wären solche wirtschafts- und finanzpolitischen Themen eher kompromissfähig – weil es da nicht um ein „Entweder-oder“ sondern um ein „Mehr-oder-weniger“ geht. Bei der Höhe des Mindestlohns könnten sich die Parteien zum Beispiel möglicherweise auf einen Betrag einigen. Wenn die Linkspartei aber auf Positionen beharrt, die in der SPD nicht durchsetzbar sind – wie etwa der kompletten Abschaffung von Hartz IV – wird es auch da schwierig.

Spielt auch die Vergangenheit noch eine Rolle? Also der lange Schatten der DDR-Geschichte?

In den Augen vieler Wählerinnen und Wähler schon. Und solange die Linkspartei nicht genug dafür tut, diese Bedenken auszuräumen, wird sich daran nichts ändern. Erst recht nicht in den nächsten vier Wochen. Die Saarland-Wahl hat zum Beispiel gezeigt: Gerade in Westdeutschland gibt es noch eine hohe Anzahl von Wählerinnen und Wählern, die die Linkspartei im Bund nicht für regierungsfähig halten. Und zwar nicht wegen einzelner Inhalte, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen – weil sie diese Partei immer noch nicht als normale demokratische Partei ansehen. Ob das nun gerechtfertigt ist oder nicht – so ist die Realität. Laut Umfragen auf Bundesebene wollen zwei Drittel der Wähler eine solche Konstellation nicht. Und darunter sind eben viele, die das aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen.

Auch persönliche Probleme zwischen den Spitzenpolitikern dürften ja eine Rolle spielen.

Ja. Auf Seiten der SPD war früher der Linke-Chef und Ex-Sozialdemokrat Oskar Lafontaine die zentrale Person, die einer Koalition mit der Linkspartei entgegenstand. Das hat auch in der Saarland-Wahl noch eine Rolle gespielt. Man darf ja auch nicht vergessen: Sahra Wagenknecht ist seine Frau. Und insofern ist sie jetzt diejenige, auf die sich viele Leute bei der SPD und auch bei den Grünen nur schwer einlassen könnten.

Und was, wenn es doch eine Mehrheit gäbe?

Das Dilemma aller drei Parteien ist eben, dass ein Teil ihrer Wählerschaften für eine solche Koalition wäre, ein anderer aber dagegen. In allen Parteien ist die Strategie der Befürworter eher die, vor der Wahl nicht darüber zu reden – um eben den anderen Teil nicht zu verschrecken. Ich würde vermuten, dass es im Falle einer Mehrheit Gespräche zwischen den Parteien gäbe, dafür gibt es genügend Befürworter. Ich glaube aus den genannten inhaltlichen Gründen aber eher nicht, dass sie zum Erfolg führen würden.

Zur Person: Professor Oskar Niedermayer leitet die Arbeitsstelle für Empirische Politische Soziologie an der Freien Universität Berlin. Der 65-jährige Volkswirt und Politikwissenschaftler beschäftigt sich unter anderem mit politischen Einstellungen, Parteien und Wahlen.
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