Mehr als 30 Stunden hat der Koalitionsausschuss aus SPD, Grünen und FDP über Klimaschutz und Verkehr verhandelt. Zwei der drei Parteien feiern das entstandene "Modernisierungspaket" als Erfolg. Doch die zähen Verhandlungen legen auch die Konflikte der Koalition offen. Und der nächste Ampel-Streit kommt bestimmt.
Dieses gebrochene Versprechen müssen sich die Spitzen der Regierungsparteien jetzt häufig anhören: Keine Nachtsitzungen – das hatten SPD, Grüne und FDP sich vorgenommen, als sie vor 16 Monaten ihre Ampel-Koalition starteten. An den Kräften und Nerven zehrende nächtliche Verhandlungen wollte man sich nicht zumuten. Und dem Land und den Leuten auch nicht.
Jetzt kam es anders: Von Sonntagabend bis Dienstagabend saßen die wichtigsten Politikerinnen und Politiker der Koalition im Kanzleramt mit Unterbrechungen zusammen. Waren es 31 Stunden? Oder 36? Die Angaben und Erinnerungen der Beteiligten gehen am Tag nach der Einigung auseinander.
Am Mittwoch haben SPD, Grüne und FDP die Hauptstadtpresse über das dabei entstandene sogenannte "Modernisierungspaket" und ihre Einordnung informiert. Aus diesen vertraulichen Fragerunden darf nicht zitiert werden – aber es lassen sich einige Schlüsse ziehen auf den Zustand der Koalition.
Die Klima-Konstellation: Zwei gegen einen
Die FDP gilt allgemein als Außenseiter in dieser Dreierkoalition. Bei den Themen, die in den vergangenen Tagen auf dem Tisch lagen, ist das anders. SPD und FDP waren offenbar weitgehend auf einer Linie. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zum Start der Koalitionsverhandlungen ein Papier als Diskussionsgrundlage vorgelegt, in dem die Grünen ihre Interessen nicht wiederfanden.
Das "Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung", auf das sich die Parteien schließlich geeinigt haben, trägt auch eine deutliche gelb-rote Handschrift: Den Ausbau und Lückenschluss von bestehenden Autobahnen will die Koalition beschleunigen, die Klimaziele der einzelnen Ministerien werden nach allgemeiner Einschätzung aufgeweicht. Die Grünen mussten ihre Punkte offenbar mühsam hineinverhandeln.
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Aus ihrer Sicht haben SPD und FDP gemeinsam die Grünen auf den Boden der Tatsachen geholt. Aus Sicht der Grünen dagegen sperren sich die beiden Koalitionspartner gegen effektiven Klimaschutz und bezweifeln Kompromisse, auf die man sich bereits geeinigt hatte.
Für die Grünen ist diese koalitionäre Familienaufstellung Chance und Problem zugleich: Sie kann sich weiterhin als einzige entschlossene Klima-Partei darstellen – sie hat aber derzeit nur begrenzte Möglichkeiten, ihren Kurs umzusetzen. Die Grünen sind in der Klemme: Vielen Menschen geht die grüne Klimapolitik zu weit. Der Klima- und Umweltbewegung gehen die jetzt beschlossenen Maßnahmen dagegen nicht weit genug. Die Ergebnisse der vergangenen Tage dürften in der Partei noch heftige Diskussionen auslösen.
Olaf Scholz: Ein nicht ganz neutraler Moderator?
Ob auch ein Scheitern der Gespräche im Raum stand - darüber gehen die Einschätzungen am Mittwoch auseinander. Einig sind sich die Partei- und Fraktionsspitzen allerdings in einer anderen "Klimafrage": Das Klima innerhalb der Koalition stimmt trotz aller Konflikte und Diskussionen offenbar noch. Man habe Klartext gesprochen, aber stets sachlich diskutiert, heißt es.
Weniger einig sind sich die Koalitionäre in der Bewertung ihres Chefs: Seine "Fans" innerhalb der Ampel loben die unermüdliche Vermittlung von Bundeskanzler Scholz: Er bringe stets Verständnis für die unterschiedlichen Interessen der Parteien auf, suche ständig Kompromisse. Seine Kritiker halten Scholz dagegen vor, den Prozess zu wenig zu steuern: Wenn sich die Koalitionspartner die Nächte um die Ohren schlagen, spreche das nicht unbedingt für die Führungskünste des Kanzlers.
Inhaltliche Nähe schafft Konkurrenz
Offiziell geht es Politikerinnen und Politikern natürlich immer um das Wohl des Landes. Inoffiziell ist Politik aber ein ständiger Kampf um Zustimmung. Das macht die Ampel-Koalition auch zu einer so anspruchsvollen Koalition.
SPD und Grüne zum Beispiel wirkten lange wie natürliche Partner, weil ihre inhaltlichen Schnittmengen weiterhin groß sind. Groß sind aber auch die Schnittmengen der möglichen Wählerinnen und Wählern und groß ist daher die Konkurrenz: Wenn die SPD bei der nächsten Bundestagswahl das Kanzleramt verteidigen will, muss sie die Grünen kleinhalten. Wenn die Grünen ihren Traum von der "Volkspartei der linken Mitte" nicht aufgeben wollen, müssen sie der SPD Wähler abspenstig machen.
Und die FDP? Deren größte Konkurrentinnen bleiben CDU und CSU: Die Unionsparteien sind aber gerade in der Opposition und haben es relativ leicht, die Leistung der Regierung zu kritisieren. SPD und Grüne konkurrieren miteinander und die FDP konkurriert mit einer Oppositionspartei: Diese Konstellation macht die Ampel so schwierig.
Der nächste Streit kommt bestimmt
Ob es nun 31 oder 36 Stunden waren: In jedem Fall hat der Koalitionsausschuss sehr lange getagt. Vor allem aus Sicht von SPD und FDP war es das wert: Ihre Parteien feiern das entstandene 16-Seiten-Papier als großen Wurf, selbst von Stolz ist die Rede. Die Grünen klingen da sehr viel verhaltener – aus den oben geschilderten Gründen.
Die Koalition hat ihren Dauerstreit damit aber noch nicht beigelegt. Nur eine Nebenrolle spielten bei den Verhandlungen die Diskussionen um den Bundeshaushalt 2024: Weil die einzelnen Ministerien Mehrausgaben-Wünsche von zusammen 70 Milliarden Euro angemeldet haben, hat Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die Vorstellung erster Eckwerte vor knapp drei Wochen verschoben. Wie viel darf die Kindergrundsicherung kosten, die Grünen und SPD ein Herzensanliegen ist? Wie viel zusätzliche Mittel erhält die Bundeswehr? Darüber gibt es weiterhin keine Einigung.
Auch bei der Wärmewende ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: Der grüne Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck will, dass neu eingebaute Heizungen ab 2024 zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Darauf hatte sich die Koalition bereits im vergangenen Jahr geeinigt. SPD und FDP reagierten aber mit verhaltener bis massiver Kritik auf den Gesetzentwurf aus Habecks Ministerium.
Nun haben sich SPD und FDP zu Habecks Ziel bekannt – das verbuchen die Grünen durchaus als Erfolg. Allerdings haben die Verhandler praktisch alle Details offengelassen. Klar ist damit: Die Diskussion wird weitergehen, der Gesetzgebungsprozess bei diesem Thema ruckelig werden.
Das Dilemma: Es gibt keine Koalition ohne Streit
Man sei nicht zum Traualtar geschritten, SPD, Grüne und FDP seien nun einmal unterschiedliche Parteien – diese Botschaft betonen die Parteispitzen immer wieder. Andererseits regieren diese drei Partner gemeinsam das Land. Vertrauensstiftend wirkt das zerstrittene Bild der vergangenen Wochen nicht – das wissen auch die Politikerinnen und Politiker selbst.
Allerdings stecken Koalitionspartner immer in einem Dilemma. Die Wählerinnen und Wähler erwarten einerseits, dass sich ihre Lieblingspartei durchsetzt und für wichtige Anliegen kämpft. Andererseits mag die Öffentlichkeit auch keinen Streit. Beides zusammen – sich durchsetzen, aber ohne Zoff – ist aber eher ein Ding der Unmöglichkeit.
Und wer träumt von Jamaika?
Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Jens Spahn setzte am Dienstagabend einen ziemlich kurzen Tweet ab: die Flagge Jamaikas. Sie steht bekanntlich für eine Koalition aus Union, FDP und Grünen. Ein Zeichen für eine Alternative zur streitenden Ampel?
Bei SPD, Grünen und FDP sind am Mittwoch keinerlei Stimmen zu hören, die an der gemeinsamen Koalition zweifeln. Die Grünen loben zwar immer wieder die Zusammenarbeit mit der CDU in gemeinsamen Landesregierungen in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen oder Hessen. Doch der Streit zwischen Grünen und FDP würde sich in einer Jamaika-Koalition wohl fortsetzen.
Hinzu kommt: Endet die selbsternannte "Fortschrittskoalition" nach nur rund 16 Monaten in einem Scherbenhaufen, wäre das eine schlechte Werbung für alle beteiligten Parteien und eigentlich auch für das ganze Land. Da dürfte für alle Beteiligten doch nur eine Option bleiben: gemeinsam weiterregieren - und dabei weiterstreiten.
Verwendete Quellen:
- Papier "Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung"
- Twitter-Account von Jens Spahn
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