Die Running Mate-Rivalen Tim Walz und JD Vance trafen in der Nacht auf Mittwoch in einem erstaunlich zivilisierten TV-Duell aufeinander. Im politisch vergifteten Klima der USA hat allein das schon Nachrichtenwert.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Thomas Fritz sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Rund vier Wochen vor der US-Wahl am 5. November war das erste und einzige TV-Duell der US-Vizepräsidentschaftskandidaten vielleicht die letzte große Chance, das hauchdünne Rennen zwischen der Demokratin Kamala Harris und dem republikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump zu beeinflussen.

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Auf der Seite der Demokraten stand der leutselige Tim Walz, Gouverneur von Minnesota, ein sympathischer Kumpeltyp, früherer Lehrer und Football-Coach mit ziemlich liberalen politischen Ansichten. Auf der anderen J.D. Vance, Trumps erzkonservativer "Running Mate", Senator aus Ohio und Absolvent der Elite-Universität Yale, der als exzellenter Debattierer gilt und der Trump früher mal ganz schlimm fand.

Fast schon freundschaftliche Atmosphäre

Inzwischen ist Vance klar auf Linie. Für Schlagzeilen hatte er in den vergangenen Wochen gesorgt, als er wie Trump Gerüchte streute, wonach haitianische Einwanderer in Springfield im US-Bundesstaat Ohio Haustiere essen würden. Für Walz waren solche Behauptungen in der 90-minütigen Debatte eine Steilvorlage. Immer wieder attackierte er die ausländerfeindliche Rhetorik der Republikaner. "Wir entmenschlichen und verteufeln die Menschen", sagte Walz zu Vance.

Wie Trump tischte Vance den Zuschauern die illegale Einwanderung und ihre Folgen als Erklärung für praktisch alle Probleme im Land auf: Kriminalität, gestiegene Kosten für den Häuserbau, überfüllte Schulen und Krankenhäuser, Schießereien an Schulen, ja sogar das Verschwinden von Hunden und Katzen. "Wir können nicht Immigranten für alles verantwortlich machen", hielt Walz dagegen.

Die angekündigten Pläne für Massendeportationen von Millionen illegaler Einwanderer nach einem republikanischen Wahlsieg führte Vance auf Nachfrage nicht weiter aus. Zuerst wolle er Kriminelle des Landes verweisen, sagte der 40-Jährige vage.

Und trotzdem verlief die Debatte in einer kollegialen, ja fast freundschaftlichen Atmosphäre. Völlig anders also als das TV-Duell zwischen Trump und Harris vor vier Wochen, das Trump mit seiner feindseligen, spaltenden Rhetorik klar gegen Harris verloren hatte. Vance musste bei einigen Pointen von Walz sogar schmunzeln, er bedauerte, dass Walz' Sohn eine Schießerei live miterleben musste. Solche Zeichen von Empathie dürften Donald Trump, der das Duell auf "Truth Social", dem von ihm gegründeten sozialen Netzwerk, live kommentierte, kaum gefallen haben.

Trump hätte sich eher die Zunge abgebissen

Inhaltlich stützte Vance, an dem Abend die deutlich jüngere und sympathischere Version von Trump, seinen Boss voll und ganz. Sein größter Kritikpunkt war neben der Lage an der Südgrenze der USA die Inflation, die in den vergangenen beiden Jahren die Kosten des täglichen Lebens im Lande enorm verteuert hat: Die Preise für Lebensmittel sind um 25 Prozent gestiegen, der Hausbau hat sich um 60 Prozent verteuert. Harris habe ja durchaus "gute Pläne" für das amerikanische Volk, so Vance.

Ein Satz, bei dem sich Trump eher die Zunge abgebissen hätte. "Aber Kamala Harris", schob Vance hinterher, "kandidiert nicht als Neuling in der Politik. Sie ist die amtierende Vizepräsidentin." Soll heißen: Warum hat sie die Dinge nicht in ihrer Amtszeit erledigt? Ein Argument, dem Walz nicht wirklich viel entgegenzusetzen hatte. Vance schlussfolgerte: "Man kann ihren Plänen nicht vertrauen."

Walz: "Meine Schüler hätten mir so etwas niemals vorgelegt"

Auch Walz konzentrierte sich in seinen Attacken auf den Chef seines Gegenübers. Trumps Alter, seine Besessenheit mit Zuschauerzahlen bei Wahlkampfveranstaltungen, sein Leugnen des Klimawandels, seine durch viele ehemalige Trump-Minister festgestellte Inkompetenz. "Einen fast 80-jährigen Donald Trump, der über die Größe von Menschenmengen spricht, ist nicht das, was wir im Moment brauchen", erklärte Walz.

Trump hatte beim Duell gegen Harris behauptet, er habe "Konzepte eines Plans" in der Tasche, um die Krankenversicherung zu reformieren. "Als Lehrer einer vierten Klasse musste ich lachen, als ich das gehört habe", so Walz. "Meine Schüler hätten mir so etwas niemals vorgelegt." Mit seinem Humor stach Walz seinen Kontrahenten bei dem TV-Duell klar aus. Allerdings wirkte er weniger selbstsicher als der Republikaner und blickte immer wieder länger nach unten, um sich Notizen zu machen. Vance schaute seinen Kontrahenten meist direkt an.

Walz weist Vance-Behauptung empört zurück

Ein weiterer Streitpunkt des TV-Duells war das Abtreibungsrecht. Das liegt nach der Entscheidung des konservativ dominierten Supreme Courts, das bundesweite Recht auf Beendigung von Schwangerschaften abzuschaffen, nun wieder in der Hoheit der Bundesstaaten. Vance verteidigte die Entscheidung. "Die Demokraten haben eine sehr radikale Pro-Abtreibung-Haltung", sagte er und behauptete: In Minnesota, wo Walz Gouverneur ist, müsse ein Arzt bei einem Baby, das eine späte Abtreibung überlebt, keine lebenserhaltenden Maßnahmen ergreifen.

Walz wies das empört zurück. "Das steht nicht im Gesetz." Er zählte Fälle auf, bei denen Frauen in konservativen Staaten trotz Komplikationen eine Abtreibung verweigert wurde – mit teilweise tödlichen Folgen. Entscheidungen über ihren eigenen Körper müssten die Frauen treffen, betonte Walz. Nicht die Bundesstaaten.

Den größten Dissens gab es um die Präsidentschaftswahl 2020 und den Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021. Vance spielt die Rolle Trumps am 6. Januar herunter. Der habe zum friedlichen Protest aufgerufen - nicht mehr. Woraufhin Walz von seinem Gegenüber wissen wollte, ob Trump aus seiner Sicht die Wahl denn verloren habe. "Tim, ich konzentriere mich auf die Zukunft", wich Vance aus. Er nannte stattdessen die vermeintliche Zensur des Rechts auf freie Rede durch Tech-Giganten wie Facebook die größte Gefahr für die Demokratie.

"Ich bin geschockt!", entrüstete sich Walz über diese Nicht-Antwort. "Das sollte überhaupt keine Debatte sein." Trotzdem konnten sich beide am Ende eines konfliktarmen TV-Duells darauf einigen, dass sie sich nach der Wahl immer noch die Hände schütteln werden. "Wenn Tim Walz der nächste Vizepräsident wird, wird er meine Gebete haben, er wird meine besten Wünsche haben", gab Vance überraschend zu Protokoll.

Für den Republikaner war der Druck im Vorfeld groß gewesen. Er ist in Umfragen unbeliebter als Walz, sein Boss verlor das TV-Duell gegen Kamala Harris klar und liegt in nationalen Umfragen seit Wochen leicht hinter der früheren Senatorin aus Kalifornien. Die Vizepräsidentendebatte dürfe an diesem Ist-Zustand wenig geändert haben, einen offensichtlichen Sieger gab es nicht.

Vance und Walz machten ihre Standpunkte deutlich – beide auf eine zivilisierte Art und Weise. Ohne Weltuntergangs-Rhetorik, exzessive Unwahrheiten und persönliche Attacken. Das politische Klima in den USA ist so vergiftet, dass man das schon betonen muss: Es war eine ganz normale TV-Debatte.

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