Wachsende Terrorgefahr durch Islamisten und eine Rechtsaußen-Partei im Umfragehoch: Für den Präsidenten des Amtes für Verfassungsschutz Thüringen gibt es gerade viel zu tun. Ein Gespräch mit Stephan Kramer über Befürworter der Hamas und die möglichen Folgen einer AfD-Regierung in Erfurt.
Die islamistische Gefahr ist in Deutschland so groß wie lange nicht, glaubt Stephan Kramer. Mit großer Sorge blickt der Präsident des Amtes für Verfassungsschutz Thüringen auf die Folgen, die das Hamas-Massaker am 7. Oktober in Israel auch für Deutschland hat.
Der erste Jude in einer solchen Position sagt im Interview mit unserer Redaktion: "Die jüdische Gemeinschaft ist extrem bedroht." Das liege auch an der AfD, sagt Kramer. Sollte die einmal an die Macht kommen, will er mit seiner Familie Deutschland verlassen.
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Herr Kramer, in den vergangenen Wochen konnten in Deutschland mehrere islamistische Anschläge verhindert werden. Wie groß ist derzeit die Gefahr, die von diesem Milieu ausgeht?
Stephan Kramer: Wir haben eine hohe abstrakt-reale Gefährdungslage. "Abstrakt-real" deswegen, weil noch nichts Konkretes für einen ganz gezielten Angriff bekannt ist, aber einige reale Pläne verhindert worden sind. Dennoch: Die Gefahr ist sehr hoch. Deutlich höher, als wir es früher erlebt haben. Das hängt natürlich mit dem 7. Oktober zusammen und dem bestialischen Überfall der Hamas auf Israel.
Inwiefern befeuert das Hamas-Massaker auch den Islamismus in Deutschland?
Nicht für alle waren die Brutalität und Bestialität der Bilder vom 7. Oktober schockierend. Viele Muslime und in erster Linie Islamisten hatten das Gefühl, dass es Israel mit seiner mächtigen Armee endlich einmal gezeigt wurde. Bei einigen kam ein Hochgefühl des Glückes auf. Uns in den Sicherheitsbehörden macht es Sorgen, dass nun zu dem ohnehin schon großen islamistischen Potenzial in Europa und Deutschland diese persönliche Emotionalisierung, ja eine Euphorie hinzukommt. Nicht wenige Islamisten denken sich gerade: Das, was die Hamas gemacht hat, will ich jetzt auch tun.
Stephan Kramer: "Verbote setzt man um und kündigt sie nicht an"
Das Bundesinnenministerium hat mittlerweile ein Betätigungsverbot der Hamas sowie von Samidoun, einer palästinensischen Gruppe im linksextremen Spektrum, in Deutschland erlassen. Zuvor war dieser Schritt angekündigt worden. Wie bewerten Sie das?
Verbote setzt man um und kündigt sie nicht an. Darüber reden kann man danach. In vielen Bereichen der Politik ist es leider Usus geworden, mehr über Absichten zu reden als die Dinge auch zu tun. Ich kann aber nachvollziehen, warum man kurz nach dem 7. Oktober politisch ein Zeichen setzen wollte. Warum diese Organisationen nicht schon früher verboten wurden, verstehe ich dagegen nicht. Viele antisemitische Proteste in Deutschland in den vergangenen Jahren waren von diesen Gruppen geprägt und sie stehen immerhin auf Terrorlisten, auch der Europäischen Union.
Wieso kamen diese Verbote nicht früher?
Ich spekuliere ungern, aber dieses Beispiel passt für mich zu anderen Fällen von Appeasement, wo man auf Exekutivmaßnahmen verzichtet hat, in der Hoffnung, dass man sich unausgesprochen arrangiert: Wir tun euch nichts, dann tut ihr uns nichts. Die Bundesrepublik wurde dadurch aber zu einer Art Rückzugsraum, einem mutmaßlichen Erholungsgebiet für diese Gruppen und eine wirkliche Garantie für Ruhe hat es nie gegeben.
Mit dem Betätigungsverbot der Hamas wurde auch die Parole "From the River to the Sea, Palestine will be free" verboten, die häufig auf pro-palästinensischen Protesten zu hören ist. Das wurde vielfach als unzulässige Einschränkung der Meinungsfreiheit kritisiert.
Bei solchen Verboten muss man abwägen. Auf der einen Seite haben wir Meinungsfreiheit, die sehr weit geht. Auf der anderen Seite spricht dieser Slogan dem Staat Israel das Existenzrecht ab, das ist eindeutig. Wer ihn anders interpretiert, betreibt Schönrederei. Wenn aber das deutsche Eintreten für das Existenzrecht Israels unbedingt gilt, dann kann solch ein Satz auf Demonstrationen nicht als Meinungsfreiheit gelten. Insofern ist das Verbot beziehungsweise die juristische Ahndung auch konsequent.
Sie haben unlängst im "Handelsblatt" vor Islamisten gewarnt, die sich unter Geflüchtete mischen könnten, um nach Deutschland zu kommen. Worauf gründet diese Sorge?
Leider habe ich für diese Aussage unbeabsichtigten Applaus auch in der rechten Szene bekommen und die AfD behauptet, sie habe das schon immer gewusst. Aber erstens brauche ich die AfD nicht zur Bestätigung. Zweitens ist meine Aussage faktenorientiert. Drittens habe ich bereits im März 2022 meiner Sorge darüber Ausdruck verliehen.
Schon damals habe ich eindeutig zwischen den legitimen Flüchtlingen aus der Ukraine und anderen Personen unterschieden, die gezielt von Terrororganisationen und organisierter Kriminalität daruntergemischt werden oder diese Bewegungen nutzen. Ich habe auch gefordert, dass man Kontrollen durchführt und die Leute registriert, und zwar an der Grenze und nicht erst, wenn sie ins Land eingereist sind. Es ist nicht wirklich neu, dass solche Flüchtlingsbewegungen auch von Terrororganisationen genutzt werden. Auch jetzt gibt es konkrete Hinweise, dass Terroristen über Fluchtrouten ihresgleichen bei uns einschleusen wollen. Ich bitte aber um Verständnis, dass ich darauf nicht weiter eingehen kann.
Zwei am Dienstag festgenommene Islamisten sollen mutmaßlich auch über einen Anschlag auf eine Synagoge nachgedacht haben. Wie bedroht ist die jüdische Gemeinschaft?
Die jüdische Gemeinschaft, in Deutschland und auf der ganzen Welt, ist extrem bedroht. Das hängt einerseits damit zusammen, dass Islamisten nach dem Vorbild des 7. Oktober auf der ganzen Welt zum Mord an Jüdinnen und Juden aufgerufen haben. Was die Lage aber noch viel schwieriger macht, ist die große Zurückhaltung der Mehrheitsgesellschaften, auch in der Bundesrepublik, in der Solidarität mit den jüdischen Bürgern. Möglicherweise haben wir es mit einem Meinungsumschwung zu tun, der schlimmstenfalls in einem mehrheitlichen Antisemitismus münden kann.
"Die AfD versucht ganz gezielt mit Verschwörungsfantasien Stimmung zu machen"
Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, sagte im Interview mit unserer Redaktion, die Juden in Deutschland würden heute wieder gucken, ob ihre Koffer auch griffbereit sind. Das war jedoch vor dem 7. Oktober und er sagte dies insbesondere mit Blick auf die hohen Umfragewerte der Alternative für Deutschland. Ist die AfD eine Bedrohung für jüdisches Leben?
Aus meiner Sicht ist sie das. Die AfD versucht ganz gezielt mit Verschwörungsfantasien Stimmung zu machen, die nichts anderes als versteckter Antisemitismus sind. Aus Thüringen kann ich berichten: Es vergeht hier keine Montagsdemonstration oder andere Versammlungen und Reden, auf denen nicht führende Vertreter der AfD Verschwörungsfantasien bemühen, um die Schuldigen für die Pandemie, für die Krisen unserer Zeit oder das Vorherrschen einer liberalen Werteordnung auszumachen, die nach deren Ansicht nichts mit den Interessen der deutschen Bevölkerung zu tun habe.
Die freiheitliche-liberale Werteordnung, für die unser Grundgesetz steht, wird zum Feind erklärt, und dahinter sollen, implizit oder auch mal explizit, die Juden stecken, die das deutsche Volk beispielsweise mit einem angeblichen Schuldkult unterdrücken und ausbeuten.
Unter Ihrer Ägide hat war der Thüringer Verfassungsschutz 2021 der erste, der den AfD-Verband im eigenen Bundesland als "erwiesen rechtsextrem" eingestuft hat. Heute steht die AfD in Thüringen in Umfragen bei 34 Prozent. Ist den Wählern die Einschätzung des Verfassungsschutzes gleichgültig?
Die Bevölkerung nimmt das durchaus wahr und die Mehrheit entscheidet sich immer noch für die Parteien, die auf dem Boden der Verfassung stehen. Das Problem ist, dass für einen großen Teil der AfD-Klientel die Einstufung durch den Verfassungsschutz der Beweis dafür ist, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Von Protestwählern kann man längst nicht mehr sprechen. Die meisten wollen schlicht das, was die AfD und ihre führenden Vertreter postulieren.
Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass es nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes ist, die politischen Gründe abzustellen, aus denen Menschen die AfD wählen. Das muss die Politik selbst tun. Politik machen heißt Überzeugungsarbeit leisten und die Uhr tickt: Wir haben noch ein paar Monate bis zur Europawahl, verschiedenen Kommunalwahlen und bis zu den Landtagswahlen, unter anderem in Thüringen.
Was würde es für Ihre Behörde bedeuten, wenn die AfD mit absoluter Mehrheit die thüringische Landesregierung stellen würde?
Der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke war so reizend, auf dem letzten Parteitag offen zu sagen, was er in diesem Fall vorhat: Ich müsste als Präsident des Amts für Verfassungsschutz des Landes Thüringen meinen Platz räumen und die Bearbeitung des Phänomenbereichs rechts wird eingestellt. Wenn ich Höcke richtig verstanden habe, solle sich der Verfassungsschutz dann nur noch um den Wirtschaftsschutz kümmern. Das ist doch mal eine klare Perspektive.
Und für Sie persönlich? Sie sind Jude und sagten einmal im israelischen Fernsehen, Deutschland verlassen zu wollen, wenn die AfD in Regierungsverantwortung kommt.
Das ist richtig, ich sage das aber nicht leichtfertig. Ich bin in diesem Land geboren, ich bin Reserveoffizier und gesellschaftlich engagiert, ich habe mein Leben hier verbracht. Auch wenn ich in der Vergangenheit mit der Idee gespielt habe, ins Ausland zu gehen, bin ich am Ende hiergeblieben. Für mich und meine Familie ist aber klar, dass eine rote Linie überschritten ist, wenn die AfD auf Bundes- oder Landesebene in die Regierung kommt. Das Experiment machen wir nicht mit.
Wohin würden Sie dann gehen?
Nach Israel. Ohne auch nur eine Minute zu zögern. Der Grund ist einfach: Selbst wenn die Existenz des Staates Israels im Moment zumindest bedroht ist, ist das immer noch ein Ort, wo ich lieber eine Zukunft aufbauen würde als in irgendeinem anderen Land, wo ich es wieder mit Antisemiten zu tun habe.
Über unseren Gesprächspartner
- Stephan Kramer ist 1968 in Siegen geboren. Von 2004 bis 2014 war er der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. 2015 wurde Kramer die Präsidentschaft des Amtes für Verfassungsschutz Thüringen übertragen. Unter seiner Leitung wurde die AfD Thüringen 2021 als erster Landesverband der Partei als "erwiesen rechtsextrem" eingestuft. Kramer ist Mitglied der SPD.
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