Nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober erlebt auch Deutschland eine Welle des Judenhasses. Häufig geht dieser von Islamisten und Menschen mit arabischem Hintergrund aus. Wird das Problem nicht ausreichend thematisiert?
Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland befindet sich derzeit im Ausnahmezustand. Allein in der Woche nach dem Hamas-Angriff auf Israel hat die "Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus" hierzulande über 200 antisemitische Vorfälle gezählt – ein Plus von 240 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Dieser Anstieg steht in engem Zusammenhang mit israelfeindlichen Protesten, organisiert von palästinensischen und teilweise islamistischen Gruppen. Müssen wir mehr über muslimischen Antisemitismus sprechen? Oder würde das die Diskussion verkürzen? Antisemitismus gibt es schließlich auch in anderen Milieus. Darüber diskutieren unsere Autoren.
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Pro: Wir müssen denen zuhören, die schon lange vor Islamismus warnen
von Joshua Schultheis
Antisemitismus ist in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet. Hass auf Juden und auf Israel, den einzigen mehrheitlich jüdischen Staat der Welt, kommt von links, von rechts und aus der Mitte der Gesellschaft. Dieser Hinweis ist richtig und wichtig.
Derzeit wird er jedoch häufig von denen angebracht, die über eine bestimmte Form des Antisemitismus lieber nicht sprechen wollen: Den muslimisch geprägten, wie er in diesen Tagen von Islamisten und einigen vermeintlich "pro-palästinensischen" Aktivisten offen und unverhohlen auf die Straßen deutscher Großstädte getragen wird.
Ein paar Beispiele: Nach dem schrecklichen Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober verteilten Anhänger der mittlerweile verbotenen palästinensischen Gruppe "Samidoun" in Berlin-Neukölln Süßigkeiten. Für sie war der Mord an 1.400 jüdischen Israelis ein Grund zu Feiern. Ein islamistischer Gefährder soll in Duisburg einen Anschlag auf eine Solidaritätskundgebung für Israel geplant haben. Er wurde festgenommen, bevor er seinen Plan verwirklichen konnte. In Essen marschierten Tausende unter den Bannern radikaler Gruppen, die sich für die Errichtung eines Kalifats einsetzen. Ob es in diesem einen sicheren Platz für Juden gäbe? Wohl kaum.
Die wenigsten Muslime in Deutschland bewegen sich in einem extremistischen Umfeld und nur eine Minderheit ist judenfeindlich eingestellt. Umfragen zeigen aber immer wieder, dass Antisemitismus unter Muslimen deutlich verbreiteter ist als unter Nicht-Muslimen. Zudem haben viele islamische Dachverbände in den letzten Wochen keine klare Haltung gezeigt: Ihnen gelang es nicht, den antisemitischen Terror der Hamas ohne Wenn und Aber zu verurteilen.
Es gibt auch viele Muslime, darunter religiöse, die schon lange vor wachsendem Islamismus in Deutschland warnen. Ihnen sollte nun besonders gut zugehört werden. Ebenso wie den Jüdinnen und Juden in Deutschland, die hier seit dem 7. Oktober so unsicher leben wie lange nicht mehr.
Die Diskussion über dieses Problem darf dagegen nicht Rassisten und Ausländerfeinden überlassen werden, die jede Gelegenheit nutzen, gegen Muslime zu hetzen. Um genau das zu verhindern, müssen wir mehr über muslimischen Antisemitismus reden – nicht weniger!
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Contra: Wer nur auf Muslime zeigt, verkennt die Größe des Problems
von Fabian Hartmann
Die Bilder gehen um die Welt und sie sind beschämend. Seit dem Massaker der Hamas in Israel entlädt sich auf deutschen Straßen eine brutale Form des Antisemitismus. Egal, ob in Berlin-Neukölln, in Frankfurt oder in Essen: Oft sind es junge Muslime, die ihren Hass auf Israel und alles Jüdische ungeniert zum Ausdruck bringen.
Ja, es gibt in Deutschland ein Problem mit muslimischem Antisemitismus. Und ja, wir sollten darüber reden. Wir müssen es sogar.
Und trotzdem: Es wäre falsch, die Diskussion zu verkürzen, jetzt so zu tun, als wäre Antisemitismus ein Problem, das aus dem arabischen Raum importiert wurde. Wenn es denn so einfach wäre. Die Muslime haben aber kein Copyright auf Judenhass. Wer jetzt nur auf sie zeigt, verkennt ein Problem, das größer ist.
Antisemitismus ist ein Weltbild, das eine lange Geschichte hat. Sie reicht weit über die christliche Zeitrechnung hinaus. Antisemitismus kennt viele Spielarten. Um einige Beispiele zu nennen: Antisemitismus kann religiös motiviert sein, es gibt ihn in Bezug auf Israel oder in sekundärer Form, der Schuldabwehr. Dabei werden NS-Verbrechen relativiert oder es wird gefordert, einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der Vergangenheit zu ziehen. Irgendwann muss es doch auch mal gut sein mit den Nazis – eine sehr deutsche Sichtweise.
Überhaupt Deutschland: Seit jeher müssen jüdische Einrichtungen hierzulande – auch schon vor der Zuwanderung aus muslimischen Kulturkreisen – von der Polizei geschützt werden. Ein Armutszeugnis für das Land, das den Holocaust begangen hat.
Es sind nicht nur unverbesserliche Neo-Nazis und der islamistische Mob, die eine Gefahr darstellen.
Die in Teilen rechtsextreme AfD steht in Umfragen seit Monaten stabil bei über 20 Prozent. Im Osten sind die Werte noch höher. In Bayern wird ein Vize-Ministerpräsident verdächtigt, in seiner Jugend ein antisemitisches Flugblatt verfasst zu haben. Die Folge: Er kann bei der Wahl zulegen und bleibt im Amt. Es ist die Mitte der Gesellschaft, die das goutiert.
Die Wahrheit ist: Es ist etwas ins Rutschen geraten. Und jüdisches Leben ist bedroht wie lange nicht. Ja, wir sollten mehr über Antisemitismus reden. Von links und rechts. Aus der Mitte und aus migrantischen Milieus. Einfach in jeder Form. Und ihn dann endlich bekämpfen.
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