Über die propalästinensischen Proteste an Deutschlands Hochschulen wird seit Wochen kontrovers diskutiert. Bildungsministerin Stark-Watzinger sieht sie kritisch. In Ihrem Haus hat man einem Bericht zufolge wohl erwogen, Wissenschaftlern, die die Proteste für legitim halten, die Fördermittel zu streichen. Die Empörung ist groß.

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Hatte FDP-Bildungsministerin Stark-Watzinger vor, kritischen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern die Fördermittel zu streichen? Ein Bericht des NDR unter Berufung auf interne Unterlagen des Bildungsministeriums (BMBF) legt das nahe – und bringt die Ministerin von allen Seiten unter Druck.

Hintergrund ist ein Anfang Mai veröffentlichter offener Brief von Hochschuldozenten, der die Räumung eines propalästinensischen Protestcamps an der Freien Universität Berlin durch die Polizei kritisierte. Die Unterzeichner verteidigten darin das Recht von Studierenden "auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Geländen einschließt". Diese Haltung sei "unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind".

Der nun vom NDR veröffentlichte Schriftverkehr zeigt, dass man diese Aussagen im Bildungsministerium wohl nicht einfach so stehen lassen wollte. Denn dort sei nach der Veröffentlichung des Briefs eine Prüfung mit zwei Ausgangsfragen angestoßen worden.

Zum einen sollte geprüft werden, ob den Unterzeichnern möglicherweise strafrechtliche Konsequenzen durch den Inhalt des Briefs drohen könnten. Zum anderen, ob und "inwieweit vonseiten des BMBF ggf. förderrechtliche Konsequenzen (Widerruf der Förderung etc.) möglich sind".

Prüfung sorgt im Ministerium für Irritation

Ob die Anordnung von Stark-Watzinger selbst stammt, ist aus den Schreiben nicht ersichtlich. Darin ist lediglich von der Leitung des BMBF die Rede, die mehr Personen als nur die Ministerin umfasst. Trotzdem trägt Stark-Watzinger die politische Verantwortung für alle Vorgänge innerhalb ihres Hauses.

Und selbst innerhalb des Ministeriums sorgte die Anfrage anscheinend für Unverständnis. Man sei von dieser "zugegebenermaßen etwas irritiert" heißt es in den Schreiben, aus denen der NDR zitiert. Unter anderem deswegen, weil die Unterzeichner des Briefes "Beamte oder Angestellte der Hochschulen bzw. der Länder sein" dürften. Das Bildungsministerium noch der Bund habe deswegen sowieso keine "unmittelbaren Handlungs- bzw. Einflussmöglichkeiten".

Im Gesamtkontext erscheine es auch "fernliegend, in dem Brief einen Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht, das Mäßigungsgebot oder die Wohlverhaltenspflicht von Beamten zu erblicken, aus dem disziplinarrechtliche Maßnahmen abzuleiten wären."

Denn die Unterzeichner des Briefes, würden sich "die politischen Ziele des Protestes ausdrücklich nicht zu eigen" machen. Stattdessen würde nur die "Möglichkeit des friedlichen Protestes" sowie der Schutz "der Meinungs- und Versammlungsfreiheit" eingefordert.

Forscher kritisieren Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft

Im Bildungsministerium hält man sich bislang zu den Vorgängen größtenteils bedeckt. Nur Sabine Döring, Staatssekretärin im BMBF, äußerte sich in einem Statement auf X bislang zu dem Bericht. "Die rechtliche Überprüfung des offenen Briefes hat ergeben, dass sein Inhalt von der Meinungsfreiheit gedeckt ist." heißt es darin.

"Damit erübrigen sich Diskussion über formale Konsequenzen. Der Entzug von Fördermitteln in Reaktion auf den offenen Brief stand in der Hausleitung nicht zur Debatte", heißt es darin. Anders gesagt: Das Ministerium sieht die Sache als erledigt.

Doch Stimmen aus der Wissenschaft beurteilen das völlig anders. Linus Westheuser, Soziologe an der Humboldt-Universität Berlin, bezeichnete den Vorgang auf "X" als "absolut unwürdig für die viel beschworene liberale Demokratie".

Auch die Soziologin Paula-Irene Villa Braslavsky von der LMU-München zeigte sich empört. Die Behauptungen in Dörings Statement bezeichnet sie auf "X" als "eindeutig falsch". Die Leitung des Ministeriums habe ihrer Ansicht nach die Wissenschaftsfreiheit untergraben wollen.

Walter Rosenthal, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, bezeichnete die Prüfungsanfrage im BMBF in einem Statement als "befremdlichen Vorstoß". Er selbst habe den offenen Brief zwar auch kritisiert, aber die Förderung von Forschung mit einer nicht "strafbewehrten Meinungsäußerung" zu verknüpfen, würde "eine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit darstellen".

Kritik auch aus der Politik

Auch aus der Opposition schlug Stark-Watzinger Kritik entgegen. "Bei ihrem Verhältnis zu Artikel 5 GG stellt sich die Frage, ob die Ministerin noch auf dem Boden des Grundgesetzes steht", erklärte etwa Thomas Jarzombek, bildungspolitischer Sprecher der Union im Bundestag auf "X".

Und selbst die Koalitionspartner zeigten sich von dem Vorgang im Ministerium irritiert. "Das schadet dem Verhältnis zwischen Regierung und Wissenschaft", sagte Anja Reinalter, bildungspolitische Sprecherin der Grünen, dem Spiegel.

Reinalters Amtskollege von der SPD, Oliver Kaczmarek forderte gegenüber dem Medium, das Ministerium müsse "die Vorwürfe unverzüglich und transparent aufklären". Jeder Versuch "politischer Einflussnahme untergräbt nicht nur die Wissenschaftsfreiheit", sondern erschüttere auch das Vertrauen, ob künftige Förderungen fair an Forscher vergeben würden.

Für Stark-Watzinger dürfte die Affäre so oder so noch nicht ausgestanden sein. Denn mehr als 1.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Stand 13. Juni, 11:30 Uhr), fordern inzwischen in einem weiteren offenen Brief den Rücktritt der Ministerin.

Es bleibt abzuwarten, ob das Bildungsministerium dieses Schreiben ebenso sorgfältig prüfen lässt, wie jenes zu den Demonstrationen.

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