Die deutschen Islamverbände zeigen einen "höchstproblematischen Umgang mit Antisemitismus", sagt Grünen-Minister Cem Özdemir. Es brauche eine "religionspolitische Wende" in Deutschland. Im Fokus von Özdemirs Kritik: der türkisch-islamische Verband Ditib.

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Der Grünen-Politiker Cem Özdemir fordert eine "religionspolitische Wende" im Umgang der Politik mit den deutschen Islamverbänden. "Die Reaktion der Islamverbände auf den 7. Oktober zeigt erneut deren höchstproblematischen Umgang mit Antisemitismus", sagte der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft im Gespräch mit unserer Redaktion.

Am 7. Oktober griff die palästinensische Terrororganisation Hamas Israel an und tötete etwa 1.200 Menschen, vor allem Zivilisten. Seitens der deutschen Islamverbände habe es "keine klare Verurteilung des Terrors der Hamas" gegeben, kritisiert Özdemir.

Özdemir: Diyanet-Chef ist "schlicht und einfach ein Antisemit"

Besonders problematisch findet der Grünen-Minister die Reaktion des Chefs der türkischen Religionsbehörde Diyanet, Ali Erbas. "Der Mann ist schlicht und einfach ein Antisemit", sagt Özdemir. "Er hetzt in türkischen Medien gegen Juden und Israel."

Erbas bezeichnete Israel als einen "rostigen Dolch im Herzen der muslimischen Geografie". Das Land begehe laut dem Diyanet-Chef in Gaza "einen Völkermord mit seinen Angriffen, die auf einem schmutzigen und perversen Glauben basieren".

Diyanet übt auch die Aufsicht über den deutschen Islamverband Ditib aus. Ditib steht für "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion" und ist der größte und einflussreichste islamische Verband in Deutschland. Diyanet-Chef Erbas sei "der Chef von 900 Ditib-Imamen" in Deutschland, sagt Özdemir. "Das hat Einfluss auf jede Moschee, und das kann nicht ohne Folgen bleiben."

Diyanet ist wiederum direkt dem türkischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan unterstellt. Dieser war am Freitag auf Staatsbesuch in Berlin. Erdogan hatte Israel zuvor unter anderem "Staatsterror" und "Faschismus" vorgeworfen. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, kritisierte ihn dafür. Erdogan dürfe "kein Partner für die deutsche Politik sein", sagte Schuster dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.

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Özdemir: "Die deutsche Naivität ist kläglich gescheitert"

Cem Özdemir sagte unserer Redaktion, dass viele in der Ditib unabhängiger von der Türkei werden wollen. "Doch Ankara blockiert und sabotiert dies aktiv, versucht quasi einen Staat im Staat zu etablieren. Das dürfen wir nicht länger zulassen."

"Die deutsche Naivität, die Veränderungen durch Nähe erreichen wollte, ist kläglich gescheitert", resümiert Özdemir. "Alle demokratischen Parteien müssen das endlich akzeptieren und entsprechende Konsequenzen ziehen."

Für den Grünen-Politiker sei es nun an der Zeit, einen Islam zu fördern, "der auf dem Boden des deutschen Grundgesetzes steht". Özdemir: "Weder ein Erdogan-Islam, noch ein Hamas-Islam oder ein iranischer Mullah-Islam sollten hier Fuß fassen. Das hat hier nichts verloren."

Bisher habe man in Deutschland diejenigen im Stich gelassen, "die immer wieder auf kritische Punkte bei den islamischen Dachverbänden hingewiesen haben", sagt der Grünen-Politiker. Das müsse sich nun ändern.

"Ich habe zu oft erlebt, dass in der Politik nach jedem Anschlag, nach jeder Eskalation – und dabei schließe ich meine Partei nicht aus – erschrockene Worte folgen, nur um am nächsten Tag genauso weiterzumachen wie zuvor", sagt Özdemir. "Der Punkt ist erreicht, an dem man sagen muss: Damit muss Schluss sein!"

Über den Gesprächspartner:

  • Cem Özdemir wurde 1964 im schwäbischen Bad Urach geboren und sitzt seit 1994 für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Er war einer der ersten Abgeordneten mit türkischer Abstammung. Von 2008 bis 2018 war er Bundesvorsitzender seiner Partei. Seit Dezember 2021 ist er Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft.

Verwendete Quellen:

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