Die Anschläge auf russischem Staatsgebiet häufen sich, in den letzten Tagen gab es mehrere Attacken auf Eisenbahnschienen und Tanklager. Aber wer steckt hinter diesen Anschlägen? Militärexperte Gustav Gressel erklärt, warum die Handschrift der Täter deutlich zu erkennen ist und auf welche Karte die Ukrainer nun setzen.
Die angekündigte Frühjahrsoffensive von Kiew ist in aller Munde. Während internationale Beobachter gespannt auf die Ukraine blicken, häufen sich die Anschläge in Russland. Gesprengte Schienen, entgleiste Güterzüge: Die russische Infrastruktur wird immer öfter zum Angriffsziel.
Die Explosionen an Eisenbahnschienen ereigneten sich vor allem im russischen Grenzgebiet, etwa in der Region Brjansk. Wie die russische Eisenbahn RZD auf Telegram mitteilte, war dort eine Lok mit rund 20 Waggons "wegen illegaler Eingriffe in die Arbeit des Eisenbahnverkehrs" von den Schienen abgekommen – und das gleich zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit. Der Zugverkehr musste auf dem Streckenabschnitt eingestellt werden.
Experte: Moskau soll verwirrt werden
Bislang bekannte sich niemand zu den Anschlägen. Militärexperte Gustav Gressel ist sich sicher, dass die Ukrainer dahinterstecken. "Die Ukraine ist dazu in der Lage. Spezialkräfte sickern in das russische Hinterland ein", sagt er. Die Anschläge gegen Bahnverbindungen seien für Kiew wichtig, um den Nachschub der Russen zu unterbinden und die Verlegung von Reserven zu erschweren.
"Wenn man die Eisenbahnlinien unbenutzbar macht, müssen große Umwege gefahren werden", so Gressel. Das sei für Moskau vor allem dann problematisch, wenn die Ukrainer beispielsweise eine Offensive in einem anderen Gebiet, als von den Russen erwartet, starten würden.
"Damit spielen die Ukrainer, um die Russen zu verwirren und sie in falsche Richtungen zu locken. In der Hoffnung, dass sie, an dem Tag, an dem die Gegenoffensive beginnt, in der falschen Richtung stecken und nicht mehr rauskommen", erklärt der Experte.
Reserven ausschalten
Es gebe noch eine andere Art von Anschlägen, nämlich auf Tanklager. Ein solcher Anschlag ereignete sich im vergangenen Monat in Form eines Drohnenangriffs auf der annektierten Halbinsel Krim. Hierzu hatten ukrainische Streitkräfte mitgeteilt, dass die Attacke der Vorbereitung auf den geplanten Gegenangriff gedient habe.
"Die Unterwanderung der feindlichen Logistik ist eines der Vorbereitungselemente für die mächtigen Aktivhandlungen unserer Verteidigungskräfte, über die wir schon seit Langem sprechen", hieß es von der Pressesprecherin des Südkommandos der ukrainischen Armee.
Gressel erklärt: "Hier will man bewirken, dass zu wenig Treibstoff zur Verfügung steht." Wenn Kräfte oder Reserven verlegt werden müssten, bräuchten die Russen Treibstoff für ihre Panzer, LKWs und schwere Artilleriesysteme. Moskau könne zwar aus den Tiefen Russlands Treibstoff herankarren – das sei aber mit extra Aufwand verbunden und koste Zeit.
Die Rolle von russischem Widerstand
Dass die Anschläge auf das Konto von russischen Widerständlern gehen, glaubt Gressel nicht. "Ich bin skeptisch was die Existenz einer dauerhaften Widerstandszelle in Russland angeht", sagt er. Es gebe sicherlich einzelne Anschläge zum Beispiel gegen Rekrutierungsbüros. Gleichzeitig sei aber auch eine Vielzahl von Bränden auf Unfälle zurückzuführen.
"Viele Personen aus dem Bereich Wachpersonal und Feuerwehrleute wurden an die Front eingezogen", erinnert er. Wenn nun zivile Infrastruktur oder beispielsweise ein Einkaufszentrum Feuer fange, sei die Möglichkeit zu reagieren geringer. "Das drückt sich in erhöhten Bränden aus. Die meisten Brände, die vorkommen, sind keine Anschläge", sagt er.
Woran man Kiews Handschrift erkennt
Brände wiederum, die tatsächlich Anschläge seien, kämen oftmals von Einzeltätern und nicht von organisiertem Widerstand. Paramilitärische Gruppen, die aus der Ukraine herausoperieren und sich bei ihren Aktionen filmen, hält Gressel derweil für PR-getrieben. "Denen geht es um Fundraising und Selbstdarstellung. Deren Anschläge sind oft militärisch nicht sehr sinnvoll", bemerkt er.
Dass die jetzigen Anschläge von Kiew gesteuert werden, erkennt Gressel vor allem an drei Punkten: "Der Anschlag geht relativ leise von statten und trifft, was er treffen soll. Und niemand bekennt sich lauthals dazu", so Gressel. Aus der Ukraine kämen eher Kommentare wie "die Russen sollen beim Rauchen besser aufpassen."
Experte: "Vorspiel der Gegenoffensive"
Gressel sieht einen deutlichen Zusammenhang zur anstehenden Gegenoffensive und hält die Anschläge für einen legitimen Akt. "Militärische Einrichtungen oder solche, die dem militärischen Nachschub dienen, sind legitime militärische Angriffsziele", so Gressel.
Die Ukrainer versuchten diese auszuschalten, damit die russische Offensive nicht gut vonstattengehe. Außerdem wolle man die Reaktionszeiten Moskaus verringern und die Russen verwirren. "Die Anschläge passieren mal im Süden, mal im Norden und sind oft kombiniert mit kleinen Probeangriffen an der Front. Was wir sehen, ist das Vorspiel der Gegenoffensive", sagt er.
Die Anschläge würden den Ukrainern Informationen bringen zu Fragen wie "Wie stark ist der Gegner? Wie schnell reagiert er? Wo ist die Schwäche des Gegners?" Gressel rechnet damit, dass diese Form der Anschläge noch weitergehen.
Angriff auf den Kreml selbst
Jüngst kam die Meldung, es habe einen Drohnen-Angriff auf den Kreml selbst gegeben. Die russische Regierung gab an, zwei kleine Drohnen seien über dem Kreml in Moskau explodiert und abgeschossen worden.
An der russischen Darstellung bestehen allerdings Zweifel. Kiew hat den Angriff dementiert. Militärexperten des US-Thinktanks "Institute for the Study of War" gehen davon aus, dass Russland die Attacke inszeniert hat, "um den Krieg einem russischen Publikum im Inland nahezubringen und Bedingungen für eine breitere gesellschaftliche Mobilisierung zu schaffen".
Gressel will den Angriff zu diesem Zeitpunkt nicht einordnen. "Das ist Spekulation", sagt er. Er verweist aber darauf, dass der ukrainische Geschäftsmann Wolodymyr Jazenko ein Preisgeld in Höhe von etwa 490.000 Euro für Drohnen ausgelobt hat, die am 9. Mai Moskaus Siegesparade stören.
Möglich also, dass jemand die Kapazitäten testen wollte – technisch sind Drohnen aus ukrainischer Herstellung jedenfalls in der Lage dazu, Moskau zu erreichen.
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