Ein Jahr nach dem kaltblütigen Mord am damaligen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke muss sich dessen mutmaßlicher Mörder gemeinsam mit einem mutmaßlichen Gehilfen vor Gericht verantworten. Wir sagen Ihnen, was passiert ist und den beiden Angeklagten vorgeworfen wird.

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Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main steht vor der schweren Aufgabe, die monatelange Ermittlungsarbeit im Mordfall Walter Lübcke in ein Urteil zu gießen.

Angeklagt, den seinerzeitigen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni 2019 auf dessen Terrasse regelrecht hingerichtet zu haben, ist Stephan Ernst. Dessen Freund Markus H. wird Mithilfe vorgeworfen. Er soll Ernst dessen Waffen besorgt haben.

So lief der Mord an Walter Lübcke ab

In der Nacht zum 2. Juni 2019 wird Lübcke auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen-Istha im Landkreis Kassell leblos gefunden. Am Kopf findet sich ein Einschuss durch einen Revolver. Der Tod des 65-Jährigen wird festgestellt.

Wer war Walter Lübcke?

Walter Lübcke war Regierungspräsident in Nordhessen. Seine Behörde ist quasi die Vertretung des Landes Hessen vor Ort. Der CDU-Politiker galt als beliebt und volksnah. Lübcke hinterließ seine Ehefrau Irmgard Braun-Lübcke sowie die erwachsenen Söhne Christoph und Jan-Hendrik Lübcke.

Eine DNA-Spur hilft den Ermittlern

Zwei Wochen lang rätseln Ermittler und Öffentlichkeit über die Hintergründe der Tat. Es gibt einen Aufruf in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY... ungelöst" und eine mysteriöse Polizeiaktion an einer Fähre in Ostfriesland. Hunderte Hinweise gehen ein - ohne Erfolg. Eine DNA-Spur auf dem Opfer bringt schließlich den Durchbruch.

Wer sind die beiden Angeklagten?

Stephan Ernst

Hauptangeklagter ist der Deutsche Stephan Ernst aus Kassel. Der Familienvater lebt auf den ersten Blick ein bürgerliches Leben: Er arbeitet bei einem Bahntechnik-Hersteller, trainiert Bogenschießen in einem Schützenverein.

Doch Ernst ist den Behörden bekannt - wegen rechtsextremer Straftaten: 1989 legte er Feuer im Keller eines Mehrfamilienhauses mit türkischen Bewohnern. Später stach er auf einen ausländischen Mitbürger ein, verübte einen Anschlag mit einer Rohrbombe auf ein Asylbewerberheim, schlug in U-Haft mit einem Stuhlbein auf einen ausländischen Mitgefangenen ein.

2009 war Ernst in Dortmund an einem Angriff von Rechtsextremisten auf eine 1.-Mai-Kundgebung des DGB beteiligt. Danach haben die Behörden ihn nicht mehr im Fokus: Er gilt als "abgekühlt", also nicht mehr aktiv.

Markus H.

Der zweite Angeklagte ist der 44-jährige Markus H. aus Kassel. Der Deutsche ist ebenfalls als Rechtsextremist bekannt und galt als "abgekühlt."

Er soll Ernst bestärkt haben, sein Vorhaben eines Attentats auszuführen, die Teilnahme an Schießübungen vermittelt und den Kontakt zu einem Waffenhändler hergestellt haben. Gemeinsam nahmen Ernst und H. an rechten Demos teil.

Verteidiger von Stephan Ernst vertrat auch schon Erdogan

Ernst wird von zwei Anwälten vertreten. Der Dresdner Rechtsanwalt Frank Hannig ist durch unkonventionelles Vorgehen aufgefallen: So äußerte sich Hannig mehrfach in Namen seines Mandaten auf dem Videoportal Youtube.

Im Februar kam der Kölner Strafrechtler Mustafa Kaplan hinzu. Der türkischstämmige Jurist war Opferanwalt im Prozess um den Nationalsozialistischen Untergrund NSU und vertrat auch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Markus H. wird durch Björn Clemens aus Düsseldorf vertreten. Er gilt als Szeneanwalt, der häufig für Rechtsextremisten tätig ist. Clemens ist Vorstandsmitglied der vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften "Gesellschaft für freie Publizistik" (GfP).

Warum musste Walter Lübcke sterben?

Auslöser des Mordes war offenbar eine Bürgerversammlung im nordhessischen Lohfelden 2015, bei der Ernst anwesend war.

Lübcke verteidigte dabei die Aufnahme von Flüchtlingen. Auf Schmährufe aus dem Publikum rief er: "Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist, das ist die Freiheit eines jeden Deutschen." Dieser Satz verbreitete sich im Internet und machte Lübcke zur Hassfigur von Rechten.

Die Familie erwartet umfassende Aufklärung

Lübckes Familie tritt als Nebenkläger auf. Den Hinterbliebenen gehe es darum, "alle Umstände zur Mordtat" zu erfahren, sagte Holger Matt, der Anwalt der Familie. Dazu zählten Planung und Durchführung der Tat, Täter und Mitwisser sowie Motive.

"Wir werden mit allen Möglichkeiten, die uns als Nebenkläger zur Verfügung stehen, unseren Beitrag leisten an der Aufklärung des Verbrechens", sagte Matt. "Nach meiner Überzeugung handelt es sich um ein kaltblütig geplantes, heimtückisch begangenes, feiges Mordverbrechen aus übelsten Beweggründen."

Dirk Metz, Sprecher der Familie Lübcke, sprach von einer "belastenden Situation" für die Angehörigen. Sie hätten sich aber entschieden, an der Verhandlung teilzunehmen, um "ein Signal der Verbundenheit" zu ihrem Vater und Ehemann und "auch ein klares Signal gegen Hass und Gewalt in diesem Land" zu setzen.

Der Lübcke-Prozess besitzt eine politische Dimension

Der Fall Lübcke wurde vom mysteriösen Kriminalfall zum Politikum. Die Bundesanwaltschaft übernahm, als klar wurde, dass offenbar ein rechtsextremistischer Hintergrund vorliegt. Dass Lübcke vor und nach dem Mord Opfer von Hass und Hetze im Netz wurde, gibt dem Fall ebenfalls eine besondere Bedeutung.

Wie erfahren sind die Richter?

Mit besonders schweren Straftaten sowie Terrorverfahren haben die OLG-Richter langjährige Erfahrung.

In den vergangenen Jahren waren es vor allem islamistische Angeklagte, die sich etwa als Mitglieder der Terrormiliz IS in Frankfurt vor einem der beiden Staatsschutzsenate verantworten mussten. Auch Prozesse gegen mutmaßliche Spione gab es schon.

Das Frankfurter Oberlandesgericht ist das einzige in Hessen und unter anderem zuständig für Verfahren, die wegen der besonderen Bedeutung vom Generalbundesanwalt verfolgt werden - wie auch im Fall Lübcke. (dpa/AFP/hau)

Ein Jahr nach Lübcke-Mord: Aufrufe zum Kampf gegen Extremismus

Ein Mord als Mahnung: Im Gedenken an den getöteten Walter Lübcke warnen Politiker vor Gefahren für die Demokratie. Und sie mahnen, den Kampf gegen Hass und Extremismus noch entschlossener fortzusetzen.
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