Keine andere Partei wie die Grünen erfährt gerade so viel Gewalt, Hass und Ablehnung. Bei "Markus Lanz" äußerte sich Jürgen Trittin zu dem steigenden Frust auf seine Partei und legte sich dabei mit dem Historiker Andreas Rödder an, der Aiwangers Rede in Erding als "ikonisch" bezeichnete.
Bei einer Demonstration in Erding forderte
Das ist das Thema bei "Markus Lanz"
Spätestens nach der Blockade von Robert Habeck an der Nordseefähre oder den öffentlichen Ausschreitungen am Politischen Aschermittwoch der Grünen in Biberach stellt sich die Frage, wie groß der Frust auf die Ampel-Partei geworden ist. Nach Angaben der Bundesregierung registrierte die Polizei im Jahr 2023 knapp 2.800 Straftaten gegen Politikerinnen und Politiker. Davon richteten sich 1.200 gegen Vertreter der Grünen. Markus Lanz wagte daher einen Blick auf die aufgeheizte Stimmung im Land.
Das sind die Gäste
- Jürgen Trittin, Grünen-Politiker: "Wir betreiben Aufklärung statt Bevormundung."
- Kerstin Münstermann, Journalistin: "Ist das nicht eine Flucht in der Halbzeit einer Regierung, wo man als Grüner schon frustriert sein muss?"
- Andreas Rödder, Historiker und ehemaliger Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission: "Erding war ikonisch."
Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"
Nach 25 Jahren im Bundestag kündigte Trittin im Dezember seinen Abschied von den Grünen an. "Wie befreit fühlen Sie sich?", wollte Lanz in seiner Sendung wissen. Trittin ließ sich jedoch nicht auf die Stichelei ein und sagte: "Ich hatte mir das gut überlegt." Gleichzeitig offenbarte er, dass er künftig dem "Versuch, die Tagespolitik zu kommentieren" nicht erliegen wolle. Journalistin Münstermann bezweifelte jedoch, dass Trittin sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen werde, denn ein abwägendes Naturell sei noch nie sein "Aushängeschild" gewesen.
Münstermann unterstellte Trittin in dem Zusammenhang eine "gewisse Grundarroganz" in seinem politischen Handeln und Auftreten. Lanz reagierte lachend: "Wie Sie jetzt gucken!" Trittin wiegelte jedoch ab: "Ich höre zu." Daraufhin ruderte Münstermann zurück und sagte, dass sich Trittins "Ich weiß es aber besser, und ich sage euch, wie's geht und so machen wir das jetzt"-Politik "oft ausgezahlt" habe. Dies zeige sich deutlich am Beispiels des Atomausstiegs. Der Grünen-Politiker nickte zufrieden: "Wir haben etwas geschafft, was manche für technisch unmöglich gehalten haben."
Aus diesem Grund warf Münstermann die Frage in den Raum, warum Trittin ausgerechnet jetzt seine Verabschiedung verkündet habe. Laut der Journalistin könne man den Abschied in der Mitte der Legislaturperiode nicht einfach "so wegwischen". Münstermann hakte nach: "25 - das klingt gut. Aber ist das nicht auch eine Flucht in der Halbzeit einer Regierung, wo man ja als Grüner schon frustriert sein muss? Jetzt sind Sie endlich dort, wo sie hinwollten, nämlich an der Macht (...) in einer Wunsch-Koalition vielleicht. Und dann läuft es so schief."
Die Journalistin fügte hinzu: "Also mein erster Gedanke war: Huch, da geht jetzt einer von Bord." Da die politische Lage für die Grünen "gerade total frustrierend" sei, hegte sie den Verdacht: "Ist es nicht auch so ein bisschen ein Verlassen der Titanic?" Eine Annahme, die Trittin von sich wies: "Ich habe 25 Jahre auf beiden Seiten, Opposition und Regierung, gearbeitet." Er wisse, was die Mitte einer Legislaturperiode bedeute und stellte weiter klar, dass die öffentliche Aggression und Unzufriedenheit, die den Grünen entgegenschlage, kein Einzelfall sei.
Laut Trittin habe "diese Demokratie ein Problem und nicht die Grünen". Mit Blick auf das Chaos beim Politischen Aschermittwoch der Grünen in Biberach ergänzte der Politiker nachdenklich: "Ich glaube, dass wir vor einer Situation stehen, wo die Demokratie sich fragen muss, ob sie die Wehrhaftigkeit hat, die sie braucht, um gegen solche Gewalttäter vorzugehen."
Das ist das Rede-Duell des Abends
Bei "Markus Lanz" erklärten Münstermann und Rödder dennoch, dass es gute Gründe für die ansteigende Wut gegen die Grünen gebe. Zunächst sagte Rödder: "Das Problem der Grünen (...), das ist die Moralisierung, die in die politische Debatte getragen wird." Dem stimmte Münstermann zu und sagte, dass das Heizungsgesetz an den Menschen vorbeikommuniziert, vorbeigeplant und in "einer Arroganz (...) durchgepeitscht" wurde.
Lanz erinnerte jedoch daran, dass das Gesetz von allen Ampelparteien abgesegnet worden sei. Er wollte wissen, warum dennoch in der Ampel alles Negative mit den Grünen in Verbindung gebracht werde. Trittin antwortete: "Das strukturelle Problem ist, dass die Grünen in ihrer Art und Weise eine Partei der Veränderung sind. Und es gibt in dieser Gesellschaft nach Covid, nach den Erfahrungen mit der Krise, die noch nicht vorbei ist durch den Ukraine-Krieg (...), eine Haltung, die sagt: Wir sind auch ein Stück überfordert."
In dem Zusammenhang kam die Rede von Aiwanger in Erding zur Sprache. Während Münstermann diese als "Kipppunkt" in der Gesellschaft kritisierte, sagte Historiker Rödder: "Erding war ikonisch." Aiwanger habe laut des Historikers "nichts anderes getan, als das anzusprechen, (...) dass eine zunehmende Zahl der Menschen den Eindruck hat, sie können ihre Meinung nicht mehr frei äußern."
Münstermann wiegelte jedoch ab: "Gegen die Ampel, gegen die kann er ja politisch sein, aber (...) 'Wir müssen uns die Demokratie zurückholen' - wo sind wir denn? Ich finde, da war was ikonisch, aber das war ikonisch schlecht." Der Auftritt in Erding habe laut Münstermann "gezeigt, dass was kippt, was nicht hätte kippen sollen".
Rödder widersprach dem vehement und erinnerte daran, dass der Anlass in Erding "das Heizungsgesetz" gewesen sei. Trittin schüttelte mit dem Kopf: "Der Anlass in Erding war, dass eine Kabarettistin, die am gleichen Wochenende ihr Haus für fünf Millionen zum Verkauf gestellt hat, es zur sozialen Frage erklärt hat, dass sie keine Wärmepumpe einbauen könne. Da lachen doch die Hühner drüber!"
Mit Blick auf Rödder fügte er hinzu: "Ich teile ja Ihre Einschätzung, dass es ikonisch war. (...) Man hat genau das genommen, das man für sich beansprucht hat: Den wahren Volkswillen gegen die gewählten Institutionen zu mobilisieren - und dieses aus der Mitte einer Staatsregierung heraus." Das Ergebnis sei laut Trittin "die Einleitung eines Prozesses zur Enthemmung des politischen Diskurses".
Dies sehe man daran, dass mittlerweile Kreisverbände der Grünen keine Veranstaltungen mehr planen können und Mitarbeiter der Bundesregierung gewaltsam bedroht werden. Rödder blieb daher nichts anderes übrig, als nachdenklich zu nicken: "Wer es gut meint mit der Demokratie, bringt diese Polarisierungsspirale zum Stoppen, die wir erleben."
So hat sich Markus Lanz geschlagen
Lanz gelang es am Donnerstagabend, dem Hass gegen die Grünen-Partei näher auf den Grund zu gehen. Dabei hielt sich der Moderator weitestgehend zurück, als Trittin verbal mit Münstermann und Rödder aneinandergeriet.
Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"
Bei "Markus Lanz" machte Historiker Rödder zwar deutlich, dass es "durch nichts zu rechtfertigen" sei, "wenn Gewalt ausgeübt wird - egal gegen wen", dennoch verteidigte er mehrfach die Wutrede von Aiwanger in Erding. "Er hat diesen Nerv getroffen, dass demoskopisch gemessen mehr und mehr Menschen in diesem Land den Eindruck haben, dass sie ihre Meinung nicht mehr offen sagen können." Ein Argument, bei dem vor allem Trittin mit dem Kopf schüttelte.
Doch Rödder ließ sich davon nicht beirren und sagte weiter, dass es vor allem um die Frage gehe, "darf ich etwas sagen und kriege dafür vielleicht Widerspruch, oder darf ich etwas sagen und ich werde dafür als Nazi, als Menschenfeind, als Klimaleugner, als transphob oder als Rassist etikettiert? (...) Das sind Ausgrenzungsmechnanismen! Und mehr und mehr Menschen fühlen sich ausgegrenzt durch diese Art der Moralisierung. Und das ist das, was die Stimmung insgesamt so anheizt." © 1&1 Mail & Media/teleschau
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.