Eigenheim statt Coronavirus: Frank Plasberg will von seinen Gästen wissen, wie radikal die Wohnungspolitik sein darf. Für Diskussionsstoff sorgt vor allem die Enteignung großer Immobilienunternehmen.

Eine Kritik
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Wer das C-Wort gerade nicht mehr sehen und hören will, kann sich am Montag bei "Hart aber fair" kurz entspannen: Frank Plasberg verspricht einen "Corona-freien Abend" und widmet sich ausnahmsweise nicht der aktuellen Virus-Lage, sondern dem Einfamilienhaus.

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Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hatte vor einigen Wochen die Sinnhaftigkeit neuer Einfamilienhäuser bezweifelt. Die Diskussion griffen die politischen Gegner gerne auf. Vor allem die Unionsparteien behaupteten, dass die Grünen nun die Einfamilienhäuser verbieten wollen. Dabei träumen 63 Prozent der Deutschen davon, in eben so einem freistehenden Eigenheim zu wohnen. Frank Plasberg und sein Team haben sich also ein emotionales Thema ausgesucht, bei dem jeder mitreden kann.

Wer sind die Gäste bei "Hart aber fair"?

Katja Dörner: Es werde auch weiterhin Einfamilienhäuser geben, sagt die Oberbürgermeisterin von Bonn. Allerdings findet die Grünen-Politikerin auch, dass in den Großstädten eine andere Frage derzeit wichtiger ist: "Wie schaffe ich bezahlbaren Wohnraum in einer Stadt, in der wir kaum noch Flächen haben?"

Gerhard Matzig: Der Architektur-Journalist der "Süddeutschen Zeitung" findet Einfamilienhäuser aus ökologischer Sicht zwar auch fragwürdig. Er wohnt aber selbst in einem solchen Haus und sagt: "Ich will mich nicht ständig schämen müssen." Einfamilienhaus sei nicht Einfamilienhaus. Matzig hat sein eigenes Heim zum Beispiel auf einem Restgrundstück bauen lassen: Es ist nur 4,80 Meter breit.

Aygül Özkan: "Bauen, bauen, bauen", ist das Credo der Geschäftsführerin des Zentralverbands der Immobilienwirtschaft Deutschland. Das Wohnproblem in Deutschland könne nur gelöst werden, wenn mehr gebaut wird. Außerdem müsse man höher, schneller und mit weniger bürokratischen Auflagen bauen.

Kai Wegner: "Ich bin absolut dagegen, den Leuten vorzuschreiben, wie sie zu wohnen haben", sagt der baupolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagfraktion und Berliner CDU-Chef. Beim Thema Neubau wirbt er vor allem dafür, große Supermarkt-Flachbauten um Wohngeschosse zu erweitern.

Amira Mohamed Ali: "Uns ist wichtig, dass alle Menschen Wohnraum finden, den sie sich auch leisten können", sagt die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. Der Traum von einem Eigenheim sei aber für immer weniger Menschen realisierbar.

Katja Greenfield: Die Lehrerin ist mit ihrer Familie von Köln ins Umland gezogen - genauer gesagt in die Gemeinde Quadrath-Ichendorf. Ganz freiwillig war das nicht, aber die hohen Wohnpreise in der Stadt gaben den Ausschlag: "Das Herz sagt: Köln muss es sein. Aber die Vernunft hat gesagt: Es geht doch wieder aufs Land."

Was ist das Rededuell des Abends?

Streitlustig zeigt sich vor allem Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali. Das bekommt zum Beispiel Aygül Özkan als Vertreterin der Immobilienunternehmen zu spüren. Özkan berichtet, dass seit 2014 mehr Geschosswohnungen als Einzelhäuser gebaut werden. Sie schließt daraus, dass der Wunsch nach dem Leben im Eigenheim gar nicht so groß sei wie angenommen.

Mohamed Ali geht dazwischen. "Das entscheiden doch nicht die Menschen, welche Wohnungen gebaut werden. Der Markt wird vor allem bestimmt durch große Immobilienkonzerne - und die bestimmen dann, was gebaut wird." Nicht jeder könne frei entscheiden, wie und wo er wohnen möchte.

Die Grätsche der Linken-Politikerin kommt unverhofft und wirkt etwas gewollt. Doch zumindest bringt sie Schwung in die Diskussion, die bis dahin eher dahingeplätschert ist.

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Was ist der Moment des Abends?

Hitzig wird es, als die Einfamilienhäuser mehr oder weniger abgehakt sind. Schließlich bietet das Thema Wohnen auch an anderer Stelle Zündstoff. In Berlin treibt eine Bürgerinitiative gerade einen Volksentscheid zur Enteignung von großen privaten Wohnungsgesellschaften voran. Das sei ein "Holzhammer", räumt Amira Mohamed Ali ein. Trotzdem unterstützt die Linken-Politikerin das Anliegen: "Hier hat es eine extreme Verzerrung auf dem Markt gegeben. Es ist so, dass die Immobilienkonzerne die Preise extrem nach oben treiben und eine große Skrupellosigkeit an den Tag legen."

Gegen die Enteignung sprechen allerdings enorme Zahlen: Der Berliner CDU-Chef spricht sogar von 36 Milliarden Euro, die die Entschädigung der enteigneten Immobilienkonzerne kosten würde. Und er rechnet vor: Davon ließen sich besser 300.000 Sozialwohnungen bauen.

Was ist das Ergebnis von "Hart aber fair"?

Zunächst bleibt eine interessante Erkenntnis über die Wohnverhältnisse der Talkshow-Gäste. Gastgeber Frank Plasberg eingeschlossen wohnen sechs von sieben Personen der Runde in einem Einfamilienhaus oder einer Doppelhaushälfte. Sie gehören also zu einem privilegierten Teil der Bevölkerung. Nur Aygül Özkan lebt in einer Geschosswohnung - ist aber auch damit recht zufrieden.

Viel wichtiger aber: Die Themenauswahl ist mitten in der Pandemie ungewöhnlich, aber erfreulich. Wie Menschen wohnen wollen und wie sie sich das leisten können, ist schließlich eine Frage, die Millionen von Zuschauende sich stellen. Und das Thema ist noch lange nicht ausdiskutiert.

Statt sich mit dem Nebenschauplatz Einfamilienhaus zu beschäftigen, hätte die Runde noch viele andere, wichtige Fragen anschneiden können: Warum beklagt die Politik, dass es immer weniger Sozialwohnungen gibt, unternimmt aber nichts dagegen? Wo in den Städten soll eigentlich all der Neubau entstehen, wenn der Platz gleichzeitig knapp wird? Und was sagen Menschen in schrumpfenden Dörfern mit leerstehenden Häusern zu den Debatten aus der Großstadt?

Eines hat die Sendung aber auf jeden Fall erreicht: Wer sich in die Diskussionen vertieft hat, konnte die Corona-Pandemie wirklich einmal vergessen. Zumindest für 75 Minuten.

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