Welcher Kandidat hat das Zeug zum Kanzler, was halten die Deutschen von Annegret Kramp-Karrenbauer, ist Zuwanderung ein wichtigeres Thema als Armutsbekämpfung? Meinungsforschungsinstitute durchleuchten die Stimmungslage der Bevölkerung regelmäßig. Teilweise unterscheiden sich ihre Ergebnisse eklatant. Wie kann das sein?
Sie kennen die Frage: "Wenn am nächsten Sonntag Wahl wäre, welche Partei würden Sie dann wählen?" Institute wie "Forsa", "Insa" und Co. befragen regelmäßig einen Teil der Bevölkerung und nehmen Parteipräferenzen, beliebte Politiker und Einstellungen zu bestimmten Themen unter die Lupe.
Nicht immer kommen sie zum selben Ergebnis: Für die Europawahl schätzt "Infratest dimap" beispielsweise 29 Prozent für die Union, die "Forschungsgruppe Wahlen" rechnet mit 32 Prozent.
Siegerschüler hier, Durchschnittsschüler dort?
Solche Unterschiede sind klein, aber es geht auch anders: "
Hier ein Sieger, dort ein Durchschnittsschüler - kann das sein? "Meinungsforschungsinstitute können zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen und trotzdem beide seriös sein", betont Prof. Dr. Cornelia Weins von der Ruhr-Universität Bochum, Inhaberin des Lehrstuhls für empirische Sozialforschung, im Gespräch mit unserer Redaktion. Für unterschiedliche Ergebnisse gebe es eine Vielzahl von Gründen.
Blick hinter die Kulisse
Weins empfiehlt "den Blick hinter die Kulisse, auf die Erhebung und Auswertung der Daten". Denn: "Eine Umfrage ist nur dann seriös, wenn sie ihr Vorgehen dokumentiert. Stichprobenziehung, Fragestellung, Antwortskalen und Auswertungsmethoden müssen transparent sein". "Nur so kann man das Ergebnis nachvollziehen und beurteilen, ob eine Umfrage das leistet, was sie vorgibt zu leisten".
Fehlerteufel lauert an vielen Stellen
Im Falle von politischer Meinungsforschung seien die Wahlberechtigten in aller Regel die Zielgruppe, über die man eine Aussage treffen möchte: Welche Partei hat die größten Wahlchancen? Wer hat das Zeug zum Kanzler? Welche Themen sind am wichtigsten?
Wen und wie aber fragen, um ein Ergebnis zu bekommen, welches möglichst nah am Wert aller Wahlberechtigten ist? Aussagen über alle Wahlberechtigten sind nur mit Zufallsstichproben möglich. "Für Zufallsstichproben lässt sich für eine Schätzung, zum Beispiel den Anteil für eine Partei, die Fehlermarge (bzw. Fehlertoleranz) berechnen, die daraus entsteht, dass nur ein Teil der Wahlberechtigten befragt wird und nicht alle", erläutert Weins.
Nicht jeder per Mobiltelefon erreichbar
Ein Beispiel: Bei der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl werden im "DeutschlandTrend" für Mai 18 Prozent für die SPD und 20 Prozent für die Grünen ausgewiesen. Aber Vorsicht: Ein Vorsprung für die Grünen bei allen Wahlberechtigten lässt sich aufgrund der Fehlermarge der beiden Schätzungen nicht ableiten.
Wichtig sei, dass alle Wahlberechtigten die Chance haben, befragt zu werden. Insbesondere jüngere Menschen sind häufig nicht mehr über einen Festnetzanschluss erreichbar. Umfrageinstitute wie Infratest dimap (DeutschlandTrend) oder die Forschungsgruppe Wahlen (Politbarometer) verwenden deshalb Mobilfunknummern und Festnetznummern, um die Stichprobe zu ziehen.
"Zu Verzerrungen kann es auch kommen, weil ausgewählte Personen nicht an einer Umfrage teilnehmen oder Befragte auf einzelne Fragen nicht antworten", sagt Weins.
Habeck? - Kenn ich nicht
Und genau da sind wir beim Habeck-Beispiel. "Der große Unterschied in der Platzierung Habecks durch die Forschungsgruppe Wahlen und Kantar Public liegt an der Behandlung der Befragten, die angaben, Habeck nicht zu kennen ", erklärt Weins.
Im Fall des Politbarometers gaben 51 Prozent der Befragten an, sie würden den Grünen-Chef nicht kennen. Den Spitzenwert von 1,4 errechnete die "Forschungsgruppe Wahlen" nur auf Basis der Antworten der 49 Prozent, die ihn kennen. Die Nicht-Kenner wurden aus der Stichprobe herausgerechnet.
Der "Spiegel" erklärt: "Die Forschungsgruppe Wahlen nimmt an, dass diejenigen, die Habeck noch nicht kennen, ihn dann, wenn sie ihn kennenlernen, ähnlich bewerten werden wie diejenigen, denen er schon bekannt ist."
Selektionseffekt beim Politbarometer
Weins aber meint: "Es gibt zunächst keine Hinweise darauf, dass dies so wäre. Plausibilisieren könnte man die Annahme, wenn Befragte, die Habeck kennen, sich nicht systematisch von Befragten unterscheiden, die Habeck nicht kennen."
Wahrscheinlicher ist ein Selektionseffekt: "Es ist anzunehmen, dass Befragte, die politisch interessierter sind oder den Grünen politisch nahe stehen, Robert Habeck eher kennen als politisch weniger Interessierte bzw. Anhänger anderer Parteien.
Bei Ersteren dürfte Habeck positiver eingeschätzt werden als bei Letzteren", urteilt Expertin Weins. Sie weist im Zusammenhang mit der Politbarometer-Umfrage aber auch darauf hin, dass es selten vorkomme, dass Politiker gleichzeitig beliebt und unbekannt sind.
Unbeliebt heißt nicht unwichtig
Bei "Kantar Public" geht man mit Habeck-Kennern und Nicht-Kennern grundsätzlich anders um: Das Institut rechnet diejenigen, die Habeck nicht kennen, mit ein: Wer Habeck nicht kennt, kann ihm für die nahe Zukunft keine wichtige Rolle zuschreiben, so der Ansatz des Instituts mit Sitz in München.
"Der Unterschied zwischen der Kantar- und der Politbarometer-Umfrage in der Einschätzung von Habeck im Vergleich zu anderen Politiker/innen resultiert vor allem daraus, dass Kantar die Befragten, die Habeck nicht kennen, bei der Auswertung berücksichtigt, das Politbarometer aber nicht.
Beachtet werden muss aber, dass Kantar Public auch nach etwas anderem fragt als die Forschungsgruppe Wahlen", wendet Weins ein.
Meinungsmache mit Umfragen?
Während die "Forschungsgruppe Wahlen" die Befragten auf einer Skala von -5 bis +5 einschätzen lässt, was sie von den jeweiligen Politikern und Politikerinnen halten, erfasst "Kantar Public", welche Politiker in den Augen der Befragten "künftig eine wichtige Rolle spielen sollte.
Das sind unterschiedliche Dinge. Ob die eine oder die andere Frage besser sei, könne man pauschal nicht beantworten. "Es geht darum, ob die Fragestellung geeignet ist, das zu messen, was man herausfinden möchte", betont Weins.
Ein Beispiel: Während im Insa-Meinungstrend im Auftrag des Tierschutzvereins "Peta" den Befragten das Statement "Die Bundesregierung Deutschlands unternimmt nicht genug für den Tierschutz“ vorgesetzt wird, arbeitet die Georg-August-Universität in Göttingen im Auftrag der Verbraucherzentrale mit dem Statement "In Deutschland sind Tiere durch gesetzliche Vorschriften ausreichend geschützt."
Welt ist nicht schwarz oder weiß
Seriös ist eine Umfrage laut Weins vor allem dann, wenn ihre Macher die Ergebnisse reflektieren. "Es ist wichtig, dass Ergebnisse eingeordnet werden", meint Weins. Im Fall von Habeck müsse in jedem Fall deutlich gemacht werden, dass der Mittelwert von 1,4 auf der Skala von -5 bis +5 nur auf Angaben von circa der Hälfte der Befragten beruht
Verwendete Quellen:
- ntv: "Auf Platz 1 im "Politbarometer" - Umfrage: Habeck ist wichtiger als Merkel"
- Welt: "Umfrage - Habeck beliebtester Politiker des Landes"
- www.wahlrecht.de: "Sonntagsfrage - Europawahl"
- Der Spiegel: Politikertreppe
- Der Spiegel: "Robert Wer? - Analyse: Warum Umfrageergebnisse widersprüchlich wirken und doch seriös sein können"
- peta: "Befragung im INSA-Meinungstrend im Auftrag von PETA Deutschland e.V."
- Verraucherzentrale Bundesverbands: "Wie wichtig ist Verbrauchern das Thema Tierschutz? Präferenzen, Verantwortlichkeiten, Handlungskompetenzen und Politikoptionen - Kommentiertes Chartbook zur repräsentativen Umfrage"
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