Pflegeeltern werden dringend gesucht, aber immer seltener gefunden. Denn: Viele fühlen sich nicht gehört, zu wenig unterstützt und kaum wertgeschätzt.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lara Lattek sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Einst war Marie (Name von der Redaktion geändert) selbst Pflegekind. Heute ist sie Pflegemutter. Und steht gleichzeitig für die Rechte von Pflegefamilien ein. Denn: "Wir Pflegeeltern fühlen uns oft im Stich gelassen", gesteht sie. "Um jegliche Anerkennung und Unterstützung müssen wir kämpfen".

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Das musste sie vor einigen Jahren am eigenen Leib erfahren: Kurz nachdem sie und ihre Frau sich vor sieben Jahren entschlossen hatten, ein sechs Monate altes Pflegekind über den Bundesverband behinderter Pflegekinder aufzunehmen, sah sie sich plötzlich in einen langwierigen Rechtsstreit verwickelt.

Marie spricht über den holprigen Start als Pflegemutter

"Ich weiß nicht, ob wir zu blauäugig an die Sache herangegangen sind, aber wir haben einfach nicht die Eingliederungshilfe für unser Kind bekommen, die wir erwartet haben, die wir gebraucht hätten." So habe das Jugendamt der Kommune in Nordrhein-Westfalen, welches Marie und ihrer Frau das Pflegekind vermittelt hatte, und zunächst zuständig war, ihnen 39 Stunden Kindergarteninklusion bewilligt. Das Jugendamt in Tübingen, der Stadt, in der sie jetzt leben und wohin die Zuständigkeit später wechselte, erkannte jedoch nur zehn Stunden an.

Erst nach neun langen Monaten und vielen Anwaltsbesuchen wurde ihnen bewilligt, dass ihr Kind 30 Stunden pro Woche gemeinsam mit nichtbehinderten Kindern im Kindergarten betreut werden darf. Theoretisch. Denn am Ende gab es keine Inklusionskraft. Zumindest vorerst. "Unser Sohn durfte eineinhalb Jahre nicht mit anderen Kindern in den Kindergarten und musste zu Hause bleiben", sagt Marie.

"Ich weiß nicht, ob wir zu blauäugig an die Sache herangegangen sind, aber wir haben einfach nicht die Eingliederungshilfe für unser Kind bekommen, die wir erwartet haben, die wir gebraucht hätten."

Marie

Dabei hätte sich Marie vor allem ihrem Sohn zuliebe gewünscht, dass er wie andere Kinder volle drei Jahre den Kindergarten besucht. Für Marie nur ein Beispiel für mangelnde Unterstützung durch den Staat. Zwar war sie damals nicht berufstätig – "zum Glück", wie sie heute sagt – aber ihre Frau schon. Auch wenn sie bis heute kinderbedingt stark reduziert arbeitet. "Anders wäre es auch nicht möglich", resümiert Marie.

Marie: "Die Kinder sollen den Rückhalt erfahren, den ich damals nicht erfahren habe"

Als Marie Pflegemutter wurde, hatte sie bereits zwei leibliche Kinder. "Ich wollte aber noch einem Kind die Chance geben, in einer Familie aufzuwachsen", sagt Marie. Aus dem einen Pflegekind wurden inzwischen zwei. Vor knapp zwei Jahren nahm sie gemeinsam mit ihrer Frau eine damals fünf Monate alte Pflegetochter auf, ebenfalls mit Behinderung. "Die Kinder sollen den Rückhalt erfahren, die ich damals nicht bekommen habe", findet Marie.

Marie wuchs bei ihrer Großmutter auf. Als sie 15 Jahre alt war, zog sie zu ihrer Mutter. Zu der sie nie eine Beziehung hatte, die selbst nie den Kontakt zu ihr suchte und ihr gegenüber auch gewalttätig wurde. Deshalb meldete Marie sich von sich aus zwei Jahre später in einem Heim. Aber erst mit 21 Jahren, als es rein rechtlich gar nicht mehr notwendig und üblich gewesen wäre, kam sie in eine Pflegefamilie. "Ich fand den Gedanken einfach schön, eine Familie zu haben", erinnert sie sich.

"Ich wünsche mir, dass es mehr Menschen gibt, die das Positive daran sehen, Pflegefamilie zu sein. Ein Pflegekind in der Familie zu haben, ist letztlich ein Gewinn für alle Beteiligten", erklärt Marie sowohl aus Sicht des Pflegekindes als auch aus der der Pflegemutter.

Wer kann ein Pflegekind aufnehmen?

  • Sowohl verheiratete Paare als auch unverheiratete Paare und Einzelpersonen können sich als Pflegeeltern bewerben
  • In der Regel sollten Pflegeeltern mindestens 25 Jahre alt sein
  • Sie sollten gesund sein und drogenfrei leben
  • Ein angemessenes und sicheres Einkommen ist erforderlich
  • Ausreichender Wohnraum für das Pflegekind ist notwendig

Marie bietet Pflegefamilien ein offenes Ohr

Weil sie etwas verändern will, ist sie Vorsitzende eines Pflegeelternverbandes geworden. Tagtäglich suchen Pflegeeltern bei ihr Rat und Hilfe, wenn sie selbst nicht mehr weiter wissen. "Ich möchte anderen Familien helfen", sagt Marie. Deshalb unterstützt sie Pflegefamilien bei Problemen, hört zu und sucht nach Lösungen. Außerdem organisiert und leitet sie Fortbildungen. Es ist ihr ein Anliegen, Pflegeeltern über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären. "Denn vielen geht es so wie mir damals. Eigentlich ist es die Aufgabe der Jugendämter, Pflegefamilien ausreichend über die Leistungen zu informieren, die ihnen zustehen. Das tun sie aber oft nicht", sagt Marie.

Jugendämter sind in der Regel für die Pflegefamilien ihres Kreises oder jeweiligen Stadt zuständig. Sie vermitteln Pflegekinder in Familien, die sie für geeignet halten, und stehen während der Pflegezeit in regelmäßigem Kontakt mit den Pflegeeltern, um die Lebensumstände zu überprüfen, bei Bedarf auszuhelfen oder das Kind aus der Familie herauszunehmen, wenn das Wohl des Kindes nicht gewährleistet ist.

"Ich wünsche mir, dass es mehr Menschen gibt, die das Positive daran sehen, Pflegefamilie zu sein. Ein Pflegekind in der Familie zu haben, ist letztlich ein Gewinn für alle Beteiligten"

Marie

Doch Jugendämter sind derzeit stark überbelastet. Zu viele Fälle, zu wenig Zeit, sich den betroffenen Familien ausreichend zu widmen. Zudem herrscht Personalmangel. Bei einer Befragung des WDR wurden bundesweit 500 Jugendämter kontaktiert, von denen 304 antworteten. Mehr als die Hälfte der Jugendamtleitungen berichteten, dass ihre Mitarbeitenden stark überlastet sind.

Pflegefamilien leiden unter mangelnder Kommunikation mit Jugendämtern

Marie, die in ihrer Rolle als Vorsitzende oft zwischen Pflegefamilie und Jugendamt vermittelt, sieht, wie sich die Missstände in deutschen Jugendämtern direkt auf die Pflegefamilien auswirken. "Mit manchen Jugendämtern scheitert schon die Kontaktaufnahme, wenn es Probleme gibt."

So berichtet Marie, dass sie und ihre Frau sich im Februar 2023 als Pflegeeltern für einen weiteren kleinen Jungen beworben hatten. "Wir hätten den Jungen sofort nehmen können. Aber das Jugendamt musste noch die Bürokratie klären und hat ihn deshalb erst einmal in ein Kinderheim gegeben", sagt sie. Wenig später sei ihr mitgeteilt worden, dass der damals einjährige Junge im Heim bleiben solle. Daraufhin habe sie mehrmals versucht, einen Termin beim Jugendamt zu bekommen, um darüber zu sprechen. Doch bis heute habe sie keine Rückmeldung erhalten.

Hinzu käme, dass das Jugendamt nicht immer transparent genug mit den Pflegefamilien kommuniziere. "Es ist schon vorgekommen, dass Pflegefamilien wichtige Informationen über die Vorgeschichte der Kinder, wie Traumatisierungen oder Alkoholschäden in der Schwangerschaft, vorenthalten wurden." Die Pflegeeltern hätten keine Möglichkeit gehabt, sich auf die damit verbundenen Herausforderungen einzustellen.

Marie betont aber auch, dass man das nicht allen Jugendämtern vorwerfen könne. Dennoch kämen die lautesten Hilferufe von Familien, denen vom jeweiligen Jugendamt nicht ausreichend geholfen würde. Viele schilderten, überfordert zu sein. "Dabei sind Entlastungsmöglichkeiten eigentlich gesetzlich festgeschrieben", erklärt sie. "Die Familien werden aber oft gar nicht darüber informiert."

So haben Pflegeeltern laut Sozialgesetzbuch das Recht auf Beratung und Unterstützung durch das Jugendamt. Das Jugendamt muss dafür sorgen, dass Pflegeeltern Hilfe vor Ort bekommen, entweder durch eigene Angebote oder durch externe Träger. So können Pflegefamilien durch Fachkräfte, wie Sozialpädagogen oder Inklusionskräfte begleitet werden. Viele Jugendämter bieten auch Entlastungsangebote wie Wochenenden oder Ferienfreizeiten an, um den Eltern eine Pause zu ermöglichen.

Wie nimmt man ein Pflegekind auf?

  • Der erste Schritt ist, sich an das örtliche Jugendamt zu wenden, um ein Informationsgespräch zu vereinbaren
  • Die Bewerbung umfass eine Eignungsprüfung durch das Jugendamt, die die persönliche Eignung und die Wohnsituation überprüft
  • Ein polizeiliches Führungszeugnis und ein ärztliches Attest sind erforderlich
  • Pflegeeltern nehmen oft an Vorbereitungsseminaren teil, um sich auf ihre Rolle vorzubereiten
  • Nach der Anerkennung wird ein schriftlicher Pflegevertrag abgeschlossen

Marie: "Viele Familien können es sich trotzdem nicht mehr leisten, ein Kind aufzunehmen."

Außerdem erhalten Pflegeeltern finanzielle Unterstützung in Form eines monatlichen Pflegegeldes, das die Kosten für Unterkunft, Verpflegung, Kleidung und andere Bedürfnisse des Kindes decken soll. Zusätzlich steht ihnen ein gesondertes Betrag zur Verfügung, der speziell für die Pflege und Erziehung des Pflegekindes bestimmt ist. Beide Beträge werden bis zum 18. Geburtstag des Kindes gezahlt. Die Höhe des Pflegegeldes richtet sich nach dem Alter des Kindes, kann je nach Kommune und Bundesland jedoch variieren und ist nicht gesetzlich festgelegt.

Der Deutsche Verein für öffentliche und private Vorsorge empfiehlt dennoch Richtwerte für das Jahr 2025. Für Kinder im Alter von null bis sechs Jahren sollten sich die Kosten für den Sachaufwand auf 748 Euro und die Kosten für Pflege und Erziehung auf 430 Euro belaufen. Im Alter von sechs bis zwölf Jahren steigen die empfohlenen Kosten für den Sachaufwand auf 884 Euro, während die Kosten für Pflege und Erziehung bei 430 Euro bleiben. Für Jugendliche im Alter von zwölf bis 18 Jahren sollten sich die Sachkosten auf 1.050 Euro erhöhen. Auch hier bleiben die Kosten für Pflege und Erziehung gleich.

Zusätzlich gibt es einmalige Beihilfen, zum Beispiel für die Erstausstattung, die je nach Alter und Bedarf des Kindes die Erstkosten für etwa Kinderzimmer, Schulmaterial oder Kleidung decken sollen. Aber auch für besondere Anlässe oder Ferienreisen des Kindes.

"Viele Familien können es sich trotzdem nicht mehr leisten, ein Kind aufzunehmen." Denn die finanzielle Bandbreite der Beihilfen von Familie zu Familie ist zu groß. "Momentan fallen die Zahlungen, die Pflegeeltern bekommen je nach Vereinbarung, die man zuvor mit dem Jugendamt ausgemacht hat, ganz unterschiedlich aus.", sagt Marie.

Jedes Jugendamt schließt mit der jeweiligen Pflegefamilie einen individuellen Vertrag ab, der auf die spezifischen Bedürfnisse des Kindes und der Pflegefamilie zugeschnitten ist. Diese Verträge können je nach den vereinbarten Bedingungen unterschiedliche finanzielle Leistungen beinhalten. In der Praxis kann dies aber auch dazu führen, dass die Zahlungen nicht ausreichen, um alle Bedürfnisse des Kindes abzudecken.

Zumal, weil viele Jugendämter selbst unter Spardruck stehen. Die Mitarbeiter klagen, dass ihnen zu wenige Mittel zur Verfügung gestellt werden. Finanziert werden sie nicht vom Bund, sondern vom jeweiligen Bundesland.

Pflegefamilien gesucht

"Diese Abhängigkeit vom Jugendamt ist für uns Pflegefamilien aufgrund der aktuellen Situation eine wahnsinnige Belastung", bedauert Marie. So kenne sie Familien, die ein Pflegekind wieder abgegeben haben, weil es ihnen an Hilfe fehlte. "Und das ist vor allem für die Kinder schlimm, wenn so wichtige Bindungen plötzlich wieder wegfallen", sagt Marie.

So kenne Marie eine Familie aus Tübingen, deren Pflegekind hatte Alkoholschäden und eine körperliche Behinderung. Die Familie fragte nach zusätzlicher Hilfe, stattdessen wurde ihr jedoch geraten, das Kind in eine Einrichtung zu geben. Das wollte die Familie nicht, aber nach acht Jahren Betreuung waren die Pflegeeltern am Ende ihrer Kräfte und konnten die Verantwortung nicht mehr übernehmen. Heute lebe der Junge in einem Internat und ist nur noch am Wochenende bei der Pflegefamilie.

Die Zahl der Kinder, die außerhalb ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen, ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wieder gestiegen, nachdem sie vier Jahre in Folge gesunken war. Im Jahr 2023 lebten demnach mehr als 214.000 Kinder und Jugendliche nicht bei ihrer leiblichen Familie, davon rund 87.000 in Pflegefamilien. Gleichzeitig erklären sich immer weniger Menschen bereit, ein Pflegekind aufzunehmen. So schätzt die Vorsitzende des Bundesverbandes der Pflege- und Adoptivfamilien, Ulrike Schulz, dass bundesweit rund 4.000 Familien fehlen. Alle Kommunen seien auf der Suche.

Pflegefamilien fordern mehr Rechte

Um dem entgegenzuwirken, fordert die Pflegekinderhilfe sieben Sofortmaßnahmen. Unter anderem soll die Zahlung von Elterngeld an Pflegeeltern sichergestellt werden, um deren finanzielle Absicherung zu erhöhen. Derzeit haben Pflegeeltern keinen Anspruch auf Elterngeld. Außerdem sollen Pflegeeltern mehr Geld für die Erziehung ihrer Pflegekinder erhalten. Darüber hinaus sollen die tatsächlichen Aufwendungen, die Pflegeeltern für die Betreuung ihrer Kinder haben, neu berechnet werden. Dabei sollen Dinge wie Miete, Heizung, Kleidung, Verpflegung und andere materielle Aufwendungen, die mit der Pflege und Erziehung der Kinder verbunden sind, direkt berücksichtigt werden.

Wichtig ist auch, dass Pflegepersonen durch angemessene Beiträge zur Altersvorsorge unterstützt werden, um sie langfristig abzusichern. Darüber hinaus sind Angebote zur Entlastung der Familien notwendig. Beispielsweise eine gesicherte Kindertagesbetreuung, um Pflegeeltern mehr Flexibilität zu ermöglichen. Nicht zuletzt wird die Bedeutung von Pflegeeltern als unverzichtbare Partner der Jugendhilfe hervorgehoben, deren Arbeit durch eine stärkere Anerkennung gewürdigt werden soll.

Auch Marie zufolge wäre es wichtig, die Bedingungen und Rechte von Pflegefamilien zu stärken, damit es sie auch in Zukunft noch gibt. Viele Heime und Wohngruppen haben wegen Personalmangels geschlossen und bei den Verbliebenen ist die Nachfrage so groß, dass kaum noch Plätze frei sind. Eine anonyme Mitarbeiterin eines Jugendamtes berichtet gegenüber unserer Reaktion: "Manchmal telefonieren wir zu sechst stundenlang und fragen 80 bis 100 Einrichtungen an, bis wir etwas gefunden haben."

Wie Pflegefamilien die Bindungsfähigkeit von Pflegekindern fördern

Dabei liegt eine Lösung auf der Hand: Pflegefamilien könnten den Kindern das bieten, was sie dringend brauchen – ein sicheres und liebevolles Zuhause. In einer Pflegefamilie haben sie die Möglichkeit, an einem intakten Familienleben teilzuhaben und stabile, tiefe Bindungen aufzubauen. Diese Bindungen sind oft tiefer und dauerhafter als in Heimen. Denn im Durchschnitt bleiben Pflegekinder nach Angaben des Statistischen Bundesamtes rund 50 Monate in einer Pflegefamilie, während die Heimerziehung in der Regel bereits nach 21 Monaten beendet wird.

Marie hat beides erlebt – das Leben im Heim und in einer Pflegefamilie. In einer Familie aufgenommen zu werden, war damals das Beste, was ihr passieren konnte. Und genau das anderen Kindern zu ermöglichen, dafür würde sie sich immer wieder entscheiden.

Doch ob mehr Menschen diesen Schritt wagen, hänge von der Politik ab, deren Priorität aber derzeit anderswo liege. "Wo bleiben wir?", hallt es von allen Seiten – sowohl von den Jugendämtern, Berichten einer anonymen Mitarbeiterin zufolge, als auch von den Pflegeeltern, wie Marie schildert.

Verwendete Quellen: