Am 7. Oktober 2023 wurde die Deutsch-Israelin Shani Louk von Hamas-Terroristen ermordet. Zum Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel spricht ihre Mutter Ricarda über die Erinnerung an den Tag, den Verlust ihrer Tochter – und die hartnäckige Hoffnung auf Frieden.
Eigentlich wollte Shani Louk mit ihren Freunden auf dem Supernova-Musikfestival feiern. Doch am 7. Oktober 2023 geriet sie dort in die Fänge der Hamas. Bilder von ihr wurden später zum schrecklichen Symbol des Terrorakts: Sie zeigten den verdrehten Körper der 22-Jährigen auf der Ladefläche eines Pick-Ups vor triumphierenden Hamas-Mitgliedern.
Ein Jahr ist vergangen seit dem Überfall auf Israel, bei dem rund 1200 Menschen ums Leben kamen. Hundert Geiseln sind möglicherweise immer noch in den Händen der Hamas. Die Familie von Shani Louk erinnert immer wieder öffentlich an ihr Schicksal, damit sie nicht in Vergessenheit gerät. Bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin nimmt sich Shanis Mutter Ricarda Louk Zeit für ein kurzes Gespräch mit unserer Redaktion.
Frau Louk, wie hat der 7. Oktober vor einem Jahr für Sie begonnen?
Ricarda Louk: Ich wurde von den Raketen geweckt. Da war ein Donner in der Luft, noch bevor der Alarm losging. Da war sofort klar: Irgendwas passiert hier. Es war ein Feiertag und meine weiteren drei Kinder waren zu Hause. Nur Shani war auf dem Festival. Meine große Tochter hat Shani dann gleich angerufen, um ihr zu sagen, dass sie in einen Schutzraum gehen muss. Shani hat gesagt: Ich nehme jetzt mein Auto und wir fahren weg von hier.
Sie hatten dann noch drei Wochen die Hoffnung, dass sie überlebt hat.
Ja, wir hatten in dieser Zeit immer noch Hoffnung. Es ging auch nicht anders. Wir haben weitergemacht, haben dafür gekämpft, dass sie zurückkommt. Die ganze Familie stand unter großem Druck. Wir haben uns immer wieder gefragt: Wo ist sie jetzt? In einem Tunnel? Im Krankenhaus? Was machen die mit ihr? Diese drei Wochen waren die schlimmste Zeit.
Als Schädelteile von Shani gefunden wurden, war klar: Sie lebt nicht mehr. Was war das für ein Gefühl, als Sie es erfahren haben?
Auf der einen Seite eine Erleichterung. Wir wissen inzwischen, dass sie relativ schnell gestorben ist und nicht mehr viel gelitten hat. Die schlimmsten Dinge, die man ihr noch hätte antun können, sind wahrscheinlich nicht passiert. Es war erleichternd, das zu wissen. Auf der anderen Seite hatten wir mit der Todesnachricht die schlimme Gewissheit, dass es keine Chance mehr gibt. Dass sie nicht mehr zurückkommt, dass alles vorbei ist.
Was hat diese Erfahrung, was hat dieser 7. Oktober mit Ihnen gemacht?
Ich habe immer an Frieden geglaubt. Wir arbeiten und leben in Israel mit vielen Arabern zusammen. Sie machen 20 Prozent der Bevölkerung aus, wir treffen sie in Supermärkten, in Apotheken, in Krankenhäusern. Es hatte sich Vertrauen aufgebaut – und das ist jetzt ein bisschen verloren gegangen. Man macht sich bei jedem arabischen Israeli jetzt diese Gedanken: Was geht in seinem Kopf vor? Ist das ein Guter oder ein Schlechter? Die Kibbuzim im Süden waren die Kibbuzim der Friedensgläubigen. Die Menschen dort haben an Frieden mit den Palästinensern geglaubt. Am Ende sind sie überfallen worden.
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Haben Sie die Hoffnung, dass Ihre drei anderen Kinder in ihrem Leben noch so etwas wie Frieden erleben werden?
Ich bin immer noch Optimistin. Ich hoffe, dass wir da irgendwie rauskommen. Gerade kann ich mir nicht vorstellen, wie dieser Weg aussehen könnte. Aber Israel hat schon öfter in der Klemme gesteckt und hat es doch immer geschafft, sich wieder aufzurappeln. Ich hoffe noch, dass es wieder bessere Zeiten gibt.
Sie treten öffentlich auf, um über Shani zu sprechen – damit geraten Sie aber auch in die Fronten dieses unversöhnlichen Konflikts.
Ich kann die Gefühle verstehen. Es gibt in Gaza unheimlich viele Opfer, auch Zivilisten. Trotzdem kann man das nicht gleichsetzen. Was am 7. Oktober passiert ist, war ein hässlicher und brutaler gezielter Anschlag auf Zivilisten. Das mit Kriegsopfern zu vergleichen, finde ich nicht fair. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, hat das ganz treffend gesagt: Es gibt in einem Krieg immer Opfer, es gibt immer hässliche Seiten. Aber diesen Krieg hat Israel nicht gewollt, er wurde Israel aufgezwungen. Jetzt kämpfen wir aber an sieben Fronten. Wer Israel dafür kritisiert, muss sich selbst fragen: Wie fing das an? Der Anfang war der 7. Oktober.
Was bedeuten die öffentlichen Auftritte für Sie?
Mein Mann macht das auch. Es hilft uns, über Shani zu reden. Wir bekommen viele Rückmeldungen von Menschen, die sich durch uns gestärkt fühlen. Das tut uns gut. Es geht uns aber auch darum, das Schicksal der Opfer im Ausland im Bewusstsein zu halten.
Kann man sich an den Gedanken gewöhnen, dass das eigene Kind vor einem selbst gestorben ist?
Man gewöhnt sich daran, weiterzumachen, sein Leben weiterzuleben. Aber die Erinnerung kommt immer wieder zurück. Es ist komisch, aber die Gefühle werden eher stärker, wenn ich nicht an Shani denke. Wir haben im Sommer versucht abzuschalten. Wir sind in den Urlaub gefahren und ich habe wirklich versucht, ein paar Tage nicht nachzudenken. Und dann kam wieder ein Lied, das sie mochte. Dann kommen die Gefühle wie ein Bumerang zurück, dann ist man noch trauriger. Wenn ich oft über Shani nachdenke, dann macht es das für mich erträglicher.
Über die Gesprächspartnerin
- Ricarda Louk stammt aus Ravensburg. Mit Anfang 20 lernte sie ihren Mann, den Israeli Nissim Louk kennen, mit dem sie vier Kinder bekam. Tochter Shani wurde am 7. Oktober 2023 auf einem Musikfestival von Hamas-Terroristen ermordet. Seitdem tritt das Ehepaar öffentlich auf, um an die eigene Tochter und weitere Opfer des Terrorakts zu erinnern.
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