Nur ein Sieg – oder die Wende im Kampf gegen den Islamischen Staat? Kurdische Truppen haben die Stadt Kobane zurückerobert. Der Nahost-Experte Roland Popp hält den Sieg für symbolisch wichtig, aber den Krieg noch lange nicht für gewonnen. Er glaubt sogar, dass der IS nicht militärisch bezwungen wird.

Mehr aktuelle News

Kurdische Soldaten tanzen und singen in den Straßen von Kobane – vier Monate lang hatten Truppen des Islamischen Staates die Stadt gehalten, doch nun ist sie wieder frei. "Dies ist ein Sieg für alle Kurden", sagt ein Sprecher der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). Doch was bedeutet die Rückeroberung von Kobane für den Krieg gegen den IS?

"Es ist ein wichtiger symbolischer Sieg", sagt Roland Popp vom "Center for Security Studies" an der Universität Zürich. "Aber strategisch ist Kobane nicht wichtig." Tatsächlich haben die Kämpfer nüchtern gesehen eine Geisterstadt eingenommen. Rund 60.000 Menschen wohnten dort. Als der Bürgerkrieg in Syrien um sich griff, kamen weitere 40.000 dazu. Doch im September nahmen die IS-Truppen die Stadt unter schweren Beschuss, die meisten Menschen flohen. Sie werden Kobane kaum wiedererkennen. Nach kurdischen Angaben ist rund die Hälfte der Gebäude zerstört, die Strom- und Wasserversorgung zusammengebrochen.

"Es war ein Prestigekampf"

Die USA und ihre Verbündeten hatten zunächst gezögert, dann aber ab Oktober letzten Jahres Luftangriffe auf IS-Truppen geflogen. In den letzten Tagen waren es rund zehn pro Tag. "Es war ein Prestigekampf", sagt Roland Popp. "Der IS wollte die Stadt unbedingt einnehmen." Deswegen hätten die USA ihren Einsatz intensiviert, mit Erfolg. "Das war schon eine massive Intervention. Man hat gesehen, dass die Nachschublinien des IS empfindlich gestört wurden." Dadurch konnten die Angreifer keine schweren Geräte mehr zum Einsatz bringen - ein Faktor für den Erfolg der kurdischen Truppen. Ein anderer: Der Druck auf die Türkei, die im Oktober die Grenzen für die Peschmerga-Kämpfer öffnete.
Die Logik sei klar, sagt Roland Popp: "Wenn die USA und die Verbündeten keine Bodentruppen einsetzen wollen, müssen sie auf die Kurden setzen." Das sei auch die wahrscheinliche Strategie im weiteren Kampf gegen den IS in Syrien und im Irak. Denn Kobane sei nur ein "kleiner Schritt", so Popp. Das Umland von Kobane befindet sich noch in der Hand des IS. Popp rechnet damit, dass die kurdischen Truppen zuerst die komplette Exklave befreien wollen, um dann eine Landverbindung zur nächsten Exklave im Nordosten Syriens herzustellen. Auch dabei können sie wohl auf Luftschläge der internationalen Koalition hoffen.

Kein militärischer Sieg gegen IS?

Bringt ein Vormarsch weitere Siege, stellt sich allerdings die kurdische Frage von Neuem. "Das große Ziel der Kurden ist und bleibt ein eigener Staat", sagt Popp. Das stellt die USA und ihre Partner vor ein Problem: Sie können nicht auf die Kurden verzichten, gleichzeitig wollen sie den Nato-Partner Türkei nicht brüskieren, der ein Kurdistan nicht zulassen möchte. "Das ist politisch äußerst prekär", meint Popp. Er erwartet, dass die Türkei ihre ambivalente Politik fortsetzen wird - es sei denn, die Haltung zum IS verändert sich, etwa durch einen Anschlag in der Türkei.

Die lavierende Haltung der Türkei ist nicht das einzige Problem der internationalen Koalition: Zwar kommen aus dem Irak Erfolgsmeldungen, insgesamt aber verläuft der Fortschritt laut Popp nur schleppend. "Ein Erfolg in Mossul wäre viel wichtiger als der Sieg in Kobane", sagt der Forscher. Angeblich haben Kurden dort die Stadt von drei Seiten umstellt. "Aber wir wissen viel zu wenig: Weder wie viele Truppen der IS dort hat, noch zu wem die Bevölkerung hält." Zwar seien die Berichte über Zwangsrekrutierungen ein Indiz für eine Schwäche des IS – aber kein Beweis dafür, dass der Krieg bald gewonnen sei. Zumal Popp gar nicht an einen militärischen Sieg der Koalition glaubt: "Wahrscheinlicher ist, dass der IS von innen heraus zerfällt."

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.