Die Einnahmen des Staats sprudeln, 2018 wurde zum Rekordjahr. Trotzdem hält die Regierung stoisch an der "schwarzen Null" fest, statt große Investitionen voranzutreiben. Die Kritik daran wird immer lauter.
Straßen, Schulen, schnelles Internet - Möglichkeiten zum Investieren hätte der deutsche Staat reichlich. Und auch das Geld dazu: Auf 58 Milliarden Euro summierte sich 2018 der Überschuss von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialkassen nach aktualisierten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes - ein Rekordwert.
Selbst Schuldenmachen scheint angesichts weiterhin rekordniedriger Zinsen nicht als Problem. Doch auch der Stabwechsel im Bundesfinanzministerium von der CDU zur SPD hat an einem Grundsatz nichts geändert: An der "schwarzen Null", also einem Haushalt ohne neue Schulden, soll nicht gerüttelt werden.
Forderung nach mehr Investitionen
Nicht jeder findet das klug. Der Internationale Währungsfonds (IWF) beispielsweise fordert Deutschland seit langem dazu auf, mehr zu investieren - etwa in Infrastruktur und Fachkräfte. Das Credo der IWF-Experten: Eine Volkswirtschaft wie Deutschland mit sprudelnden Steuereinnahmen und gewaltigen Exportüberschüssen müsse ihre Stärke nutzen, um sich auch für wirtschaftlich schwächere Zeiten zu rüsten.
Die Wirtschaft pocht auf milliardenschwere Steuerentlastungen für Unternehmen. Deutschland sei mittlerweile von einem Hochsteuerland zu einem Höchststeuerland geworden, kritisierte jüngst der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf.
Ähnlich sieht das auch der Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). "Mit der hohen Steuerbelastung für Unternehmen drohen wir im internationalen Wettbewerb ins Hintertreffen zu geraten", fürchtet DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben.
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer mahnt "gute Verkehrswege, ein schnelles Internet, qualitätsorientierte Schulen sowie eine digitalisierte öffentliche Verwaltung" an. Carsten Brzeski, ING-Chefvolkswirt Deutschland, meint: "Die Rekordzahlen sind eigentlich eine Lizenz zum Investieren beziehungsweise Ausgeben." Brzeski argumentiert: "Inländische Investitionen sind nicht nur langfristig notwendig, sie könnten auch aktuell das beste Rezept gegen die sich abzeichnende konjunkturelle Abkühlung sein. Einfacher geht es eigentlich nicht."
BIP stieg schwächer an als in Jahren zuvor
Europas größte Volkswirtschaft hatte zuletzt deutlich an Tempo verloren. Handelspolitische Stürme, die Abkühlung der Weltkonjunktur und die Unwägbarkeiten des Brexits belasten die exportorientierte deutsche Wirtschaft. Im vergangenen Jahr stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,4 Prozent und damit deutlich schwächer als in den beiden Boomjahren 2016 und 2017.
Ökonomen halten Deutschland aber auch zugute, beim Thema Schulden in den vergangenen Jahren als "eines der wenigen Länder eine echte Trendwende geschafft" zu haben - auch dank extrem niedriger Zinsen und steigender Steuereinnahmen im Zuge einer florierenden Wirtschaft. Diese Bewertung ist in einer aktuellen Studie der Berenberg Bank und des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) zu lesen.
Ansonsten sei aufgrund der guten Weltkonjunktur "das Schuldenthema in den vergangenen Jahren etwas aus dem Fokus geraten", schreiben Jörn Quitzau (Berenberg) und Henning Vöpel (HWWI) in dieser Studie. Zwar droht nach ihrer Einschätzung nicht akut eine neue Staatsschuldenkrise, aber die Situation könne sich "sehr schnell und unkontrolliert verschärfen", warnte Vöpel im Januar.
Beispiel Italien: In absoluten Zahlen hat die drittgrößte Euro-Volkswirtschaft mit rund 2,3 Billionen Euro den höchsten Schuldenberg in Europa - mehr als 130 Prozent des BIP. Die Euro-Stabilitätsregeln erlauben höchstens 60 Prozent Verschuldung.
Ein Milliarden-Loch droht
Dass die Haushaltslage in Deutschland deutlich entspannter ist, weckt Begehrlichkeiten. ING-Volkswirt Brzeski mahnt, die Bundesregierung sollte "darauf achten, nicht kurzfristige Geschenke zu verteilen, sondern geschickt und strategisch zu investieren, so dass die deutsche Wirtschaft nachhaltig verbessert wird".
Nach Jahren sprudelnder Steuereinnahmen droht dem Bund wegen der abflauenden Konjunktur allerdings ein 25-Milliarden-Euro-Loch im Haushalt bis 2023. Das Finanzministerium rechnet mit rund fünf Milliarden Euro geringeren Steuereinnahmen pro Jahr. Es hat deshalb rote Linien für weitere Ausgaben gezogen. (am/dpa)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.