Seit zehn Monaten spielt sich im Sudan eine schwere humanitäre Krise ab. Der Krieg zwischen Armee und Paramilitärs hat mehr als sieben Millionen Menschen aus ihrer Heimatgegend vertrieben. Die Welthungerhilfe warnt: Die Lage könnte sich bald weiter zuspitzen. Blick auf eine häufig übersehene Katastrophe.

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Es ist vielleicht ein trauriges Phänomen unserer Zeit, dass man den Überblick verliert über Krisen und Katastrophen auf der Welt. Während viele Blicke derzeit in die Ukraine und in den Nahen Osten gerichtet sind, spielen andere Konflikte in der europäischen Öffentlichkeit nur eine Nebenrolle.

Für den Sudan gilt das zum Beispiel. Ein Land, dessen Fläche etwa fünfmal so groß ist wie Deutschland. Ein Land, das seit Jahren nicht zur Ruhe kommt – und in dem sich eine ohnehin schon katastrophale humanitäre Lage weiter zuspitzt.

Krieg zwischen Generälen vertreibt 7,5 Millionen Menschen

Im April ist in dem Land im Nordosten Afrikas ein blutiger Konflikt zwischen der Armee und Paramilitärs ausgebrochen. In rund zehn Monaten sind seitdem etwa 13.000 Menschen gestorben. Dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zufolge sind mehr als 7,5 Millionen Menschen aus ihrer Heimatgegend vertrieben worden. Die übergroße Mehrheit davon – knapp 6 Millionen Menschen – sind als Binnenvertriebene innerhalb des Sudan auf der Suche nach Sicherheit.

Mathias Mogge ist Generalsekretär der Welthungerhilfe und hat das Land gerade besucht. Er hat schon viele Krisengebiete gesehen. Dieses Ausmaß aber sei besonders. "Wir sprechen hier von der größten Vertreibungssituation der Welt."

© AFP/S. Ramis, S. Husson, E. Michel

Die rund 47 Millionen Einwohner des Landes sind Leidtragende eines Konflikts zwischen zwei Generälen: Die sudanesischen Streitkräfte (SAF) des heutigen Militärherrschers General Abdel Fattah al-Burhan und die paramilitärische Miliz RSF unter seinem früheren Stellvertreter Mohamed Hamdan Daglo hatten 2021 einen gemeinsamen Putsch ausgeführt.

Dann aber eskalierte ein Konflikt zwischen diesen beiden Gruppen. Nun kämpfen SAF und RSF gegeneinander und ziehen damit das ganze Land ins Verderben.

Kampf gegen den Hunger

Die Welthungerhilfe ist momentan damit beschäftigt, die Trinkwasserversorgung und auch die Entsorgung von Schmutzwasser zu sichern – was in dem größtenteils trockenen Land schon ohne den Krieg nicht einfach ist. Schon jetzt gibt es zahlreiche Cholera-Fälle im Land.

Zweitens versucht sie, die Hungerkatastrophe zu lindern. Vor allem Kinder, Schwangere und Stillende brauchen Zusatznahrung. Knapp fünf Millionen Menschen im Sudan befinden sich in einer akuten Ernährungsnotlage. Erschwert wird die humanitäre Hilfe durch die Sicherheitslage und Hürden der Kriegsparteien. "Wir haben teilweise Zugang zu den besonders betroffenen Gebieten, aber den müssen wir sehr hart aushandeln", sagt Mathias Mogge.

"Die meisten Menschen sagen: Ich will einfach nur Frieden."

Mathias Mogge

Verwaiste Felder, geschlossene Schulen

Die akute Not könnte die Krise des Landes auch langfristig verschlimmern. Vor allem in der westlichen Region Darfur sowie im fruchtbaren Bundesstaat Gezira im Zentrum sind viele Menschen von ihren Feldern und Äckern vertrieben worden. "Oder sie trauen sich nicht, die Felder zu bewirtschaften, weil sie sich dort schutzlos fühlen", sagt Mogge. Damit sind auch die nächsten Ernten gefährdet. "Die Ernährungssituation wird sich ganz klar verschärfen."

Besonders erschreckend findet Mogge: Seit Ausbruch des Bürgerkriegs findet praktisch keine Bildung mehr statt. Schulen und Universitäten sind geschlossen. "Die meisten Menschen sagen: Ich will einfach nur Frieden. Ich will, dass wir in Ruhe leben und arbeiten und dass meine Kinder zur Schule gehen können", berichtet Mogge. "Mir haben aber auch Menschen gesagt: Ich muss hier weg, hier gibt es für mich und meine Familie keine Perspektive."

Aus dem Kriegsgebiet geflohene Menschen in der Hafenstadt Port Sudan. © dpa/Anadolu/Omer Erdem

Noch bewegt sich die übergroße Mehrheit wie erwähnt im Land selbst. Viele Menschen sind zum Beispiel in die Hafenstadt Port Sudan am Roten Meer geflohen. Die Binnenvertriebenen werden etwa in Gemeinschaftszentren oder Schulen untergebracht.

Mathias Mogge berichtet von einer Schule in Port Sudan, in der sich rund 2.000 Menschen aufhalten. Ohne Wasserhahn. Die Solidarität innerhalb des Landes sei zwar groß. "Sehr viele Menschen im Sudan sagen: Wir können unsere Landsleute nicht im Stich lassen. Die Aufnahmekapazitäten reichen aber bei Weitem nicht mehr aus, und die Bedingungen sind alles andere als gut."

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Luise Amtsberg: "Verheerende" Situation

Welche Rolle kann Deutschland spielen, um die Situation zu lindern oder Schlimmeres zu verhindern? Luise Amtsberg, die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, bezeichnet die Lage im Sudan ebenfalls als "verheerend".

Leidtragende seien Millionen von Kindern, nach Schätzungen der Vereinten Nationen aber auch "abertausende Frauen, die Opfer von Vergewaltigungen und systematischer sexualisierter Gewalt geworden sind", sagt die Grünen-Politikerin unserer Redaktion. Deutschland unterstütze die Menschen im Sudan und den Nachbarstaaten als zweitgrößter humanitärer Geber, so Amtsberg. "Der Zugang zur Bevölkerung ist durch aktive Kriegshandlungen jedoch extrem erschwert."

CDU kritisiert Kürzungen bei humanitärer Hilfe

Für die Hilfe in akuten Krisen auf der Welt ist das Auswärtige Amt zuständig. In diesem Jahr sind im Bundeshaushalt 2,23 Milliarden Euro für die humanitäre Hilfe vorgesehen – und damit weniger als im Vorjahr (2,7 Milliarden Euro). Bei der humanitären Hilfe müsse Deutschland andere Schwerpunkte setzen, findet Michael Brand, Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.

"Wir haben es mit immer länger andauernden Krisen mit schlimmen Folgen für die Zivilbevölkerung zu tun, und Deutschlands Beiträge zur humanitären Hilfe werden relativ gesehen immer geringer, weil der humanitäre Haushalt immer stärker zusammengestrichen wird, zuletzt um 17 Prozent, im Vergleich zu 10 Prozent beim Gesamtetat", sagt Brand unserer Redaktion. "Zwischen vollmundigen Reden und tatsächlichem Handeln von Ministerin Baerbock gibt es eine klaffende Diskrepanz."

"Im Moment ist Frieden nicht greifbar"

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat Ostafrika erst im Januar besucht und einen Fünf-Punkte-Plan für den Sudan vorgelegt. Sie sprach sich darin unter anderem für Sanktionen gegen die beiden Kriegsparteien aus. "Um Straflosigkeit der Gräueltaten zu verhindern, braucht es mehr als diplomatischen Druck", sagt auch die Menschenrechtsbeauftragte Luise Amtsberg, die im Auswärtigen Amt angesiedelt ist.

Die Europäische Union hat im Januar bereits Sanktionen gegen SAF und RSF auf den Weg gebracht. Deren Vermögenswerte in Europa sind eingefroren, wirtschaftliche Zuwendungen verboten. Doch Eindruck hat das auf die Kriegsparteien offenbar nicht gemacht.

Mathias Mogge von der Welthungerhilfe dringt auf stärkere diplomatische Initiativen. "Im Moment ist Frieden nicht greifbar", sagt er. "Beide Seiten sind zwar der Meinung, in den nächsten Wochen sei der Krieg zu ihren Gunsten entschieden. Doch dass beide Seiten das sagen, lässt Schlechtes erwarten."

Verwendete Quellen

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