Der Wähler hat Premierministerin Theresa May abgestraft, trotzdem klammert sie sich an die Macht. Auf Großbritannien kommen unruhige politische Zeiten zu - und auf die EU möglicherweise noch härtere Brexit-Verhandlungen.
Eigentlich hat nach der Parlamentswahl in Großbritannien niemand so richtig Grund zur Freude.
Die konservative Premierministerin
Und die EU wird sich wohl auf noch schwierigere Verhandlungen mit London einstellen müssen. Folgende Lehren lassen sich aus den britischen Unterhauswahlen ziehen.
1. Der Brexit ist für die Wähler nicht alles
Eine starke Führung für den Brexit wollte Theresa May mit den Neuwahlen erreichen. Doch damit hat sie sich verzockt. Wie genau sie den EU-Ausstieg umsetzen will, ist offenbar auch vielen ihrer Landsleute nicht klar.
50 Prozent der Wählen lehnen ihre Art der Verhandlungsführung beim Brexit ab, so eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov.
Vor allem drehten sich diese "general elections" aber eben um generell alles, auch um das seit Jahren in der Krise steckende britische Gesundheitssystem.
Laut einer YouGov-Umfrage waren zwar 33 Prozent der Briten der Meinung, dass der Brexit das wichtigste Thema bei dieser Wahl war. In ihrem lokalem Umfeld spielten aber andere Probleme eine wichtige Rolle.
"Die Gesundheits- und Wirtschaftspolitik werden die Entscheidung am häufigsten beeinflussen", stellte die Tageszeitung The Guardian fest.
Soziale Themen haben für viele Wähler offenbar eine große Rolle gespielt und die Sozialdemokraten gestärkt. Nicht umsonst twitterte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz am Freitagmorgen, dass er sich bald mit seinem britischen Kollegen Jeremy Corbyn treffen will.
2. Niederlage auch für die Brexit-Gegner
Eine Schlappe für May - das lässt viele Brexit-Gegner jubeln. Doch vor dem Hintergrund, dass sich vor einem Jahr 48 Prozent der Briten gegen den EU-Austritt ausgesprochen hatten, ist das Wahlergebnis auch für sie enttäuschend.
Die drei Parteien, die sich am deutlichsten für den Verbleib in der EU ausgesprochen haben, sind Liberaldemokraten, schottische Nationalisten und Grüne. Im Juni 2015 holten sie zusammengezählt 65 Sitze, jetzt sind es nur noch 48.
Die sozialdemokratische Labour-Partei hat zwar Sitze hinzugewonnen - aber sie will am Brexit mit Verweis auf das Referendum grundsätzlich nicht rütteln.
Selbst für viele Gegner des EU-Austritts ist dieser inzwischen beschlossene Sache, schreibt der Meinungsforscher Jerry Latter auf der Homepage von YouGov.
3. Es kommen harte Zeiten für Brüssel
Auch wenn der Brexit politisch also nicht wirklich zur Debatte steht: Derzeit ist offen, wie es mit dem Prozedere weitergeht.
Am 19. Juni sollten eigentlich die Verhandlungen zwischen der britischen Regierung und den europäischen Partnern in Brüssel beginnen.
Doch der deutsche EU-Kommissar Günter Oettinger bezweifelte im Deutschlandfunk, dass der bisherige Terminplan zu halten sei.
Theresa May ist jetzt noch stärker als bisher von den Hardlinern in ihrer eigenen Partei abhängig. Und die wollen einen klaren Schnitt: die Einwanderung aus der EU kontrollieren, keine Schulden an Brüssel zurückzahlen, den Europäischen Wirtschaftsraum verlassen.
Die politisch arg geschwächte Premierministerin wird jetzt möglicherweise erst recht entschieden auftreten, um ihre Autorität wiederzuerlangen.
4. Großbritannien droht ein politisches Chaos
Briten sprechen vom "hung parliament", wenn wie jetzt im Unterhaus keine Partei eine klare Mehrheit hat. In ihrem politischen System mit einer klaren Trennung von Regierung und Opposition ist eine solche Situation nicht vorgesehen.
Auch eine stabile Koalitionsmehrheit ist nicht wirklich in Sicht: Ein Bündnis aus Sozialdemokraten, Liberalen und Schottischen Nationalisten, über das im Vorfeld spekuliert worden war, bleibt ohne Mehrheit.
May will es nun offenbar mit der DUP versuchen - der Partei der Protestanten in Nordirland, die für einen harten Brexit eintritt. Nach derzeitigem Stand hätte diese Konstellation eine Mehrheit, jedoch eine von gerade mal einem Sitz.
"Wenn das nicht klappt, würde ich Neuwahlen im Herbst nicht ausschließen", sagte Nicolai von Ondarza, Großbritannien-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, im ZDF-Morgenmagazin.
Mehr als alles andere brauche das Land Stabilität, hatte Theresa May am Wahlabend gesagt. Derzeit sieht es eher nach sehr stürmischen Zeit auf der Insel aus.
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