Der nur knapp sechswöchige Turbo-Wahlkampf in Großbritannien biegt nach dem zweiten direkten TV-Duell zwischen Premierminister Boris Johnson und seinem Herausforderer Jeremy Corbyn auf die Zielgerade ein. Auch in der Debatte am Freitagabend gelang es dem Herausforderer nicht, Johnson in die Enge zu treiben. Der Amtsinhaber distanzierte sich wenig glaubhaft von politischen Lügen.

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Auch im zweiten TV-Duell zwischen dem konservativen Premierminister Boris Johnson und seinem Herausforderer Jeremy Corbyn von der Labour-Party konnte keiner der Kandidaten einen entscheidenden Schlag landen. "Da die Tories in den Umfragen vorne liegen, ist das ein Ergebnis, was Boris Johnson gut passt", schlussfolgert BBC-Korrespondent Nick Eardley. Nach einer "YouGov"-Umfrage sahen 52 Prozent der Zuschauer Johnson als Sieger, während 48 Prozent Corbyn zum Gewinner erklärten.

Der Amtsinhaber versprach erneut, den Brexit so schnell wie möglich umzusetzen und warnte vor weiteren Schäden für die britische Wirtschaft, wenn sich der EU-Austritt durch ein von Corbyn gefordertes zweites Referendum weiter verzögern sollte. Der Labour-Chef warf Johnson Falschaussagen vor – bei der Verhandlungsdauer eines neuen Handelsabkommens mit der USA, der Nordirland-Frage und der Zahl der geplanten Krankenhaus-Neubauten. Knapp eine Woche vor der Wahl am 12. Dezember wiederholten die Kandidaten weitgehend ihre Argumente aus der ersten Fernsehdebatte Mitte November.

Nichtsdestotrotz bleibt die Spannung groß: Es ist längst nicht sicher, ob Johnson den deutlichen Vorsprung der Konservativen in den Umfragen in eine Mehrheit im House of Commons ummünzen kann. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Insel-Wahlkampf im Überblick.

Was waren die wichtigsten Themen in den TV-Duellen?

Das dominierende Thema war – natürlich – der Brexit. Boris Johnson wiederholte auch bei der zweiten Debatte bei jeder Gelegenheit sein Mantra "Get Brexit done". Zugleich strickte er aus Corbyns neutraler Haltung zu dem von Labour geforderten zweiten Referendum den Vorwurf, sein Widersacher sei führungsschwach und wisse nicht, was er wolle.

Corbyns Lieblingsthemen waren das Gesundheitsystem und die Umverteilung von Vermögen. Der Labour-Chef kündigte an, den chronisch unterversorgten National Health Service (NHS) mit milliardenschweren Investitionen aufzupeppeln. Johnson warf er dagegen vor, er wolle Teile des NHS in einem Handelsabkommen mit den USA privatisieren – was die Kosten für die Patienten angeblich verteuern würde. Zudem fordert Corbyn größere Anstrengungen bei der Bekämpfung von Armut, unter anderem sollen Vermögende stärker besteuert werden.

Wo zeigten Corbyn und Johnson Schwächen?

In den TV-Duellen stürzte sich Johnson vehement auf die unklare Haltung seines Widersachers, der im Falle eines Wahlsiegs eine zweite Brexit-Abstimmung versprochen hat. Die Neutralität Corbyns in dieser Frage habe Labour "thematisch den Wahlkampf verhagelt", sagt Prof. Thomas Jäger von der Universität Köln im Gespräch mit unserer Redaktion. "Weil sich viele Wähler fragen: Für was steht er denn eigentlich?"

Johnson wiederum sah bei Fragen schlecht aus, die seine persönliche Integrität betrafen. Als er im ersten TV-Duell im Sender ITV die Frage bejahte, ob die Wahrheit in dieser Wahl eine Rolle spiele, kam im Publikum Gelächter auf. Fragen nach seiner Verantwortung für die verbale Eskalation im Parlament beantwortete Johnson ausweichend. Dabei hatte er Brexit-Gegner unter anderem als "Verräter" bezeichnet. Als er in der zweiten Debatte erklärte, lügende Politiker sollten auf den Knien durch das House of Commons kriechen, schienen ihn diese Worte mehr zu amüsieren, als dass sie ernst gemeint waren.

Wer ist der Verlierer des Wahlkampfs?

Sie war mit der Hoffnung gestartet, das Duell zwischen dem Premierminister und seinem Herausforderer in einen Dreikampf zu verwandeln und wollte sich sogar in die TV-Debatten einklagen. Doch bislang war der Wahlkampf für Jo Swinson, die Vorsitzende der Liberaldemokratischen Partei, in vielerlei Hinsicht eine Enttäuschung. Zum einen wies der High Court in London ihre Klage zurück, an den beiden großen Debatten zwischen Johnson und Corbyn teilzunehmen. Swinson war der Meinung, dass ihrer Partei als größte Stimme des pro-europäischen "Remain"-Lagers ein Platz zusteht.

Als die Schottin dann in einem TV-Duell mit allen wichtigen Parteichefs mitdiskutierte, konnte sie kritische Fragen zu ihrer politischen Vergangenheit nicht überzeugend beantworten. Zudem geriet sie aufgrund des Kurswechsels ihrer Partei unter Druck. Die "LibDems" wollen den Brexit einfach ohne erneutes Referendum per Ausstiegsantrag in Brüssel zurückziehen, was Kritiker als "undemokratisch" bezeichneten. Schließlich zog die 39-Jährige Spott auf sich, weil sie auf eigenen Wahlkampf-Flyern als "nächste britische Premierministerin" angekündigt wurde. Bei der Wahl 2017 holten ihre Partei aber nur zwölf von 650 Sitzen. "Eine Hoffnungsträgerin demontiert sich selbst", titelte das RND über Swinson.

Gab es verbale Tiefschläge?

Beschimpfungen, Anfeindungen, ja fast Hass: Die eine oder andere Unterhaus-Debatte in den vergangenen Monaten ließ für den Wahlkampf schlimmes befürchten. Prompt prangerte Moderatorin Julie Etchingham den Verfall der Sitten im Parlament im ersten TV-Duell offen an und überredete Johnson und Corbyn zu einem Händeschütteln, um Besserung zu geloben. "Das war kein Wahlkampf, der so schmutzig geführt wurde, wie man das aus den Vereinigten Staaten kennt", sagt Politologe Thomas Jäger. "Aber es war dennoch ein Wahlkampf, bei dem Social Media immer wieder eingesetzt wurde, um den politischen Gegner unter der Gürtellinie zu treffen. In den TV-Duellen behandelten sich die Kontrahenten hingegen respektvoll.

Was war der Lacher des Wahlkampfs?

Kein Nigel Farage? Kein Boris Johnson? Kein Problem! Das dachten sich offenbar die Verantwortlichen von "Channel 4". Weil der Anführer der Brexit Party und der Premierminister nicht zu einer Mehrparteien-Debatte mit Schwerpunkt Umweltschutz kommen wollten, wurden auf ihre Plätze zwei Eisskulpturen in Form der Erdkugel gestellt. Das sorgte nicht nur auf Facebook, Twitter und Co. für reichlich Spott.

Im Laufe der Sendung schmolz das Eis dahin – und die Konservativen beschwerten sich bei der Medienaufsicht über diesen aus ihrer Sicht "provokanten parteiischen Trick". Channel-4-Nachrichtenmann Ben de Pear sah das anders. "Setzt Euren Parteichef Boris Johnson neben die anderen Chefs und hört auf, Spielchen zu spielen. Verweigern Sie sich nicht und drohen Sie nicht mit unserer Lizenz, das ist eine heikle Angelegenheit", schrieb er auf Twitter.

Wer ist der Gewinner des Wahlkampfs?

Mitte des Jahres lagen die Konservativen in Umfragen bei knapp über 20 Prozent. Boris Johnson hat die Tories, nachdem er im Juni Parteivorsitzender und im Juli Premierminister wurde, wieder deutlich über 40 Prozent geführt. Im Wahlkampf musste Johnson im Grunde nur grobe Patzer vermeiden, um den Vorsprung nicht zu verspielen. Das ist ihm auch in den TV-Duellen gelungen. "Johnson hat im Wahlkampf eine weniger erratische Figur abgegeben als man von ihm gewohnt ist", sagt Experte Jäger. "Er hat den Tories eine Chance eröffnet, im Unterhaus eine Mehrheit zu bekommen."

Jeremy Corbyn hätte sich als Herausforderer dagegen angriffslustiger präsentieren müssen. Besonders als die Integrität Johnsons zur Debatte stand, vermied Corbyn die ganz harte Konfrontation. Beide TV-Duelle endeten ausgeglichen. "Für Jeremy Corbyn war das die letzte große Chance für Aufregung zu sorgen", sagte BBC-Politikredakteurin Laura Kuenssberg am Freitagabend. "Aber ich denke nicht, dass wir ein Anzeichen für so etwas gesehen haben."

Was kann bis zur Wahl noch passieren?

Sieben Tage vor der Abstimmung konnten die Konservativen laut Umfrage-Institut Survation auf 43 Prozent zulegen. Labour (32 Prozent) baute seine Stimmenanteile ebenfalls aus, die Liberaldemokraten rutschten auf 13 Prozent ab. Allerdings gilt es eine Besonderheit zu beachten: Das britische Mehrheitswahlrecht – nur die Stimmen der erstplatzierten Partei in einem Wahlkreis werden gewertet – schränkt die Aussagekraft der Umfragen erheblich ein. Schon Johnsons Vorgängerin Theresa May büßte bei den Wahlen 2017 trotz guter Umfragewerte am Wahltag noch einige Prozente ein.

Die große Frage ist, ob es für Johnson zu einer Alleinregierung reicht oder ob er auf eine Koalition mit den Liberaldemokraten angewiesen ist. Auf der Gegenseite könnte Labour mit den kleineren Parteien womöglich eine Minderheitsregierung formen. "In einer Woche vor den Wahlen kann noch viel passieren", schlussfolgert Thomas Jäger. "Gegessen ist der Käse noch nicht."

Quellen:

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