Erst Krawalltage auf den Straßen von Hamburg, nun krawallartiger Streit zwischen den Parteien: Vor allem Union und SPD liefern sich eine heftige Auseinandersetzung um die Bewertung der Randale rund um den G20-Gipfel in der Hansestadt.
Brennende Autos, geplünderte Läden, unpassierbare Straßen, mehr als 200 verletzte Polizisten, mehr als 400 Festnahmen – Deutschlands zweitgrößte Stadt wurde anlässlich des Treffens der 20 wichtigsten Industrieländer tagelang von gewalttätigen Autonomen und Chaoten auf Trab gehalten.
Nach dem Ende der Randale hagelt es politische Schuldzuweisungen – und alles, was sich links nennt, ist in die Defensive geraten. Denn als „Linke“ sehen sich auch die Randalierer der „Chaostage in Hamburg“ – und bringen so die etablierten linken Parteien in Erklärungsnot.
„Links“, urteilt der „Spiegel“, „das ist in diesen Tagen ein Schimpfwort.“ Und die „rechte“ Seite des politischen Spektrums nutzt diesen Zustand leidlich aus.
Innere Sicherheit: der Markenkern der Union
Der Parteienforscher und Wahlexperte Prof. Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin sieht darin nichts Verwunderliches: „Das Thema innere Sicherheit gehört zum Markenkern der Union.“
Die Bevölkerung traue ihr bei diesem Thema „schon immer mehr zu, und das wird diesmal nicht anders sein.“ Unionspolitiker würden die Vorfälle in Hamburg daher „im Wahlkampf natürlich als Munition verwenden, um daraus Vorteile zu ziehen.“
Profitieren könne von der Diskussion nur die Union, die AfD sei „momentan bei weitem nicht mehr so bei den Bürgern präsent, dass sie für das Thema wichtig wäre.“
Umgekehrt schade die Diskussion „selbstverständlich“ allen Parteien links der Mitte: „Die SPD, die Grünen und die Linken haben da ein gemeinsames Problem, weil sie zu einer Abgrenzungsdiskussion gegen die Linksextremisten gezwungen sind.“
Einzig die Liberalen werden wohl vom Thema wenig berührt werden. Zwar fordert FDP-Chef Christian Lindner, die linksextreme Szene müsse „viel stärker vom Verfassungsschutz in den Blick genommen werden.“
Doch Wortführer in der Angelegenheit bleibe „eindeutig die Union.“
Der SPD fehlt die einheitliche Sprachregelung
Zwar, so Niedermeyer, lasse sich momentan noch keine konkrete Verschiebung bei den Umfrageergebnissen zur Bundestagswahl erkennen – „dazu ist es eindeutig zu früh“ – doch mittelfristig werde vor allem die SPD unter der Diskussion leiden, „auch weil sie keine einheitliche Sprachregelung zur Frage entwickelt hat, ob ein solcher Gipfel in einer deutschen Stadt wie Hamburg sinnvoll ist oder nicht.“
SPD-Chef und Kanzlerkandidat
„Gewalt der Autonomen hat mit ‚linken Motiven‘ nichts zu tun“, twittert beispielsweise Gabriel.
Schulz erklärt im ZDF: „Links und Gewaltanwendung schließt sich gegenseitig aus“ - und fügt hinzu: „Die SPD in Verbindung mit diesem Mob zu bringen, ist eine Frechheit.“
Für die Bundestagswahl kommt die Abgrenzungsdiskussion zu spät
Damit machen es sich die Politiker jedoch zu einfach, meint der Berliner Parteienforscher. Dass „eine sich als links verstehende Haltung und Gewaltanwendung sich ausschließen, ist empirisch falsch.“
Ein Blick in die Geschichte von Mao bis zum linken Terrorismus der RAF genüge, um dies deutlich zu machen. Natürlich könne man der SPD keine Nähe zur Gewalt vorwerfen. Aber insgesamt müssten sich linke Parteien mit diesem Aspekt der Geschichte auseinandersetzen.
Die Bürger würden es erkennen, „wenn man dieses Problem einfach wegzudefinieren versucht.“ Das aber werde für alle linken Parteien eine schwierige Diskussion, die zudem zu spät komme: „Für die Bundestagswahl wird das nicht mehr helfen.“
Kein Wunder, dass Unionspolitiker in diesem Dilemma der politischen Gegner eine Chance sehen und versuchen, eine Verbindung zwischen linker Politik und Gewaltaffinität deutlich zu machen.
Es sei „ganz normal und nicht erstaunlich, dass das Thema im Wahlkampf von unterschiedlichen Parteien unterschiedlich gesehen und parteipolitisch gefärbt diskutiert wird“, meint Niedermayer.
Kompetenzvorsprung im wichtigsten Bereich
Da die Wähler den Unionsparteien beim Thema innere Sicherheit ohnehin mehr Kompetenz einräumten als der SPD, werde man im konservativen Lager versuchen, „das Thema am Kochen zu halten – da gibt’s ja viele Möglichkeiten, wie man sowas politisch macht.“
Die CDU könnte beispielsweise einen Untersuchungsausschuss in Hamburg fordern, um die Verantwortlichkeiten für die Randale zu untersuchen – das würde Bürgermeister Olaf Scholz und die SPD weiter in die Enge treiben und das Thema für viele Wochen in den Medien halten.
Und für den bevorstehenden Wahlkampf könnte das eine schärfere Gangart bedeuten. Die sah Niedermayer schon, als Martin Schulz der Kanzlerin im Juni einen „Angriff auf die Demokratie“ vorwarf, weil sie sich vor inhaltlichen Auseinandersetzungen scheue.
„Die Wähler“, sagt Niedermayer, „schätzen es nicht, wenn der Wahlkampf zu sehr in persönliche Anfeindungen übergeht“.
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