Deutsche Bauern beziehen fast die Hälfte ihres Einkommens aus Subventionen. Das meiste Geld kommt als sogenannte Flächenprämie von der EU. Doch dieses System, von dem viele Bauern abhängig sind, führt ökologisch und finanziell in die Sackgasse.
Steuern auf Agrardiesel hin oder her: Die Eckpunkte der europäischen Landwirtschaftspolitik werden in Brüssel festgelegt. Der Posten für die sogenannte Gemeinsame Agrarpolitik der EU-Staaten, kurz GAP, ist mit rund 30 Prozent der mit Abstand größte im Etat der Europäischen Union. Das Geld geht überwiegend an die Landwirte, wobei für einen Großteil der Direktzahlungen gilt: Wer viel Fläche hat, bekommt hohe Subventionen.
Diese Flächenprämien stehen seit Jahren massiv in der Kritik, weil sie kleine Betriebe benachteiligen und keine Anreize für Umwelt- und Klimaschutz liefern. Wohin führt das und warum ändert sich nichts? Das haben wir den Biobauern und Grünen-Europaabgeordneten Martin Häusling sowie den Agrarwissenschaftler Thomas Herzfeld gefragt. Beide sagen: Spätestens, wenn die Ukraine der EU beitritt, kann es in der EU-Agrarpolitik so nicht mehr weitergehen.
Was ist das Problem am derzeitigen System?
Thomas Herzfeld: Die Instrumente passen nicht zu den Zielen der EU-Agrarpolitik. Man setzt die Agrarpolitik aus den 80er- und 90er-Jahren fort, obwohl die Herausforderungen heute zum Teil ganz andere sind als damals – Stichwort Klimaschutz, Stichwort Biodiversität, Stichwort Tierwohl. Wir müssen von den Flächensubventionen wegkommen, sie sind nicht effizient. Doch anstatt das System grundlegend zu reformieren, hat man zuletzt immer nur versucht, es über Umwege wie Stilllegung oder Anbaudiversifizierung etwas grüner zu machen.
Martin Häusling: Die derzeitigen Preise decken fast nirgends die Kosten, somit sind Bauern von Subventionen abhängig. Da diese nach Fläche vergeben werden, war "Wachsen oder Weichen" immer das Motto. Immer mehr immer billiger zu produzieren bringt die Bauern an ihre Grenzen. Was ein Bauer verdient, ist abhängig von seiner Fläche, für die er Beihilfe bekommt, und dem Preis, den er für seine Produkte bekommt. Vom Verkaufspreis bekommen die Bauern immer weniger, nur noch rund 30 Prozent. Leistungen für Wasserschutz, Luftreinhaltung oder weniger CO₂-Emissionen werden nicht honoriert.
Warum hält die EU am System der Flächenprämien fest?
Herzfeld: Es gibt viele Betriebe, die profitieren. Wenn die Flächenprämien wegfielen, wäre das gerade für die großen Betriebe einschneidend und würde einen sehr großen Anpassungsprozess erfordern. Auch die Bodeneigentümer profitieren, weil durch das System die Boden- und Pachtpreise steigen.
Häusling: Die Beharrungskräfte im Agrarbereich sind groß. Der Bauernverband hat bei jeder Reform dafür gesorgt, dass es keine großen Veränderungen gibt und dass die Direktzahlungen weiter an möglichst wenige Auflagen gebunden sind. Und jetzt stellt er sich hin und schimpft auf die EU-Agrarpolitik. Der Mitgliedsbeitrag beim Bauernverband ist abhängig von der Fläche eines Betriebs. Was interessieren den Bauernverband also seine kleinen Mitglieder? Wenn Sie sich die Führungsstruktur anschauen, werden Sie sehen, dass die Entscheider nicht zu den Kleinen zählen. Jene, die jetzt an der Spitze des Bauverbandes stehen, haben immer für diesen Strukturwandel geworben.
Haben Sie noch Hoffnung auf Reformen?
Herzfeld: Ja! Auf die Ukraine lässt sich das bestehende System nicht eins zu eins übertragen. Allein schon aus der Argumentation heraus, dass die ukrainischen Betriebe zu jetzigen Bedingungen schon sehr erfolgreich wirtschaften können. Und zum Zweiten aus finanziellen Gründen. Weil die Ukraine riesige Agrarflächen hat, wären die Kosten für die EU enorm. Bei der nächsten Agrarreform 2027 muss etwas passieren. Wenn wir allerdings sehen, was allein die Kürzung beim Agrardiesel mit sich gebracht hat, obwohl es da um vergleichsweise kleine Beträge ging, dann ist für mich klar, dass man die Abkehr von den Flächenprämien nicht binnen zwei, drei Jahren durchziehen kann.
Häusling: Was meinen Sie, warum der Bauernverband gegen den Eintritt der Ukraine in den europäischen Markt ist? Die fürchten um ihre Pfründe. Wenn wir die Ukraine in die EU holen, ist das System der Flächensubventionen nicht mehr haltbar. Das muss allen klar sein. Vielleicht bezahlen wir die Bauern dann endlich für ihre ökologischen Leistungen oder für besseren Tierschutz.
Keine andere Branche erhält derart hohe Subventionen. Ist diese Sonderrolle der Landwirtschaft gerechtfertigt?
Herzfeld: Das ist eine politische Frage, keine ökonomische. Ich sehe die Sonderrolle bei der Landnutzung eher gerechtfertigt als bei der Lebensmittelproduktion. Rein ökonomisch betrachtet, könnte man die Lebensmittel auch importieren. In der Landwirtschaft arbeiten heute noch zwei Prozent aller Arbeitnehmer. Arbeitslosigkeit wäre somit ein eher geringes Problem. Aber wer kümmert sich dann um die Flächen? Bei der Landnutzung kommt man aus meiner Sicht nicht darum herum, die Landwirte für Leistungen zu honorieren, die der Markt nicht honoriert, Blühstreifen für Insekten zum Beispiel. Wenn wir alles aufforsten würden, hätten wir auch keine Biodiversität mehr.
Häusling: Wenn noch mehr Betriebe schließen, haben wir irgendwann amerikanische Verhältnisse: Kilometerweit Mais und Soja, viel Chemie, viel Gentechnik – eine Katastrophe für die Biodiversität, von den sozialen Strukturen mal abgesehen. Dass viele Menschen aus dem ländlichen Bereich mit den Bauern demonstrieren, hängt ja auch damit zusammen, dass die Dörfer mehr und mehr veröden.
Als Fazit: Was würden Sie ändern?
Herzfeld: Tragfähig sind für mich nur Zahlungen für freiwillige Leistungen, die wirklich auf die Ziele der Agrarpolitik einzahlen. Ein Beispiel: Wenn wir sagen, wir wollen Klimaneutralität, kann die Landwirtschaft etwa über die Wiedervernässung von Mooren einen großen Beitrag dazu leisten. Denn in Mooren wird CO₂ gebunden. Landwirte, die entsprechende Flächen vernässen und nicht mehr oder nur noch eingeschränkt nutzen, würden wir also entlohnen. Wer als Betrieb eine Förderung bekommen will, hat dann natürlich den Antragsaufwand, muss seine Leistung dokumentieren und wird eventuell auch mal kontrolliert. Betriebe, die daran kein Interesse haben, haben dafür weniger bürokratischen Aufwand.
Häusling: Öffentliches Geld für öffentliche Leistung. Nicht nur die Bio-Betriebe, sondern auch jene, die konventionell wirtschaften und etwas für die Umwelt tun, sollten dafür entlohnt werden.
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Über die Gesprächspartner:
- Professor Thomas Herzfeld hat Agrarwissenschaften mit Fachrichtung Ökonomie studiert. Seit 2011 ist er Direktor des Leibnitz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien in Halle und leitet dort die Abteilung Agrarpolitik.
- Martin Häusling ist gelernter Agrartechniker und sitzt seit 2009 für die Grünen im EU-Parlament. Dort ist er unter anderem Mitglied im Agrarausschuss. Seit 1988 bewirtschaftet seine Familie ihren Bauernhof in Nordhessen nach Bioland-Richtlinien. Heute führen die Söhne den Betrieb.
Weitere Quellen:
- Europäisches Parlament: "Die Gemeinsame Agrarpolitik in Zahlen"
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