- Am Donnerstag jährt sich die Katastrophe von Fukushima zum zehnten Mal.
- Nach dem Reaktorunglück legte die deutsche Bundesregierung eine Kehrtwende in der Energiepolitik hin und beschloss den Atomausstieg bis 2022 - verbunden mit enormen Kosten.
- Seit 2010 ist der Anteil an erneuerbaren Energien am deutschen Strom von 17 auf 45 Prozent gestiegen.
11. März 2011, 15:27 Uhr: Eine 14 Meter hohe Flutwelle prallt auf das japanische Atomkraftwerk Fukushima. Acht Minuten später schlägt eine weitere Welle ein. Der Tsunami flutet sechs Reaktorblöcke, Pumpen fallen aus und Notstromaggregate. Die Kraftwerksblöcke eins bis drei können nicht mehr gekühlt werden, es kommt zur Kernschmelze. Durch Wasserstoff-Explosionen gelangen radioaktive Stoffe in die Umwelt. Mehr als 100.000 Menschen müssen ihre Heimat verlassen, Teile der Region um Fukushima werden unbewohnbar bleiben.
Ausgelöst worden war der Tsunami von einem Erdbeben der Stärke 9,0. Das Wasser erreichte mit rund 800 Stundenkilometern Geschwindigkeit die Küste – mehr als 18.500 Menschen verloren vor zehn Jahren durch die Katastrophe ihr Leben.
Sofortiges Aus für acht Kraftwerke
Drei Monate nach Fukushima beschloss das deutsche Bundeskabinett das sofortige Aus von acht Atomkraftwerken – und den stufenweisen Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022. Seitdem sind elf Kernkraftwerke abgeschaltet worden. 27 sind in Deutschland je gebaut worden. Sechs davon sind noch aktiv. Drei werden in diesem Jahr vom Netz gehen, die letzten dann Ende kommenden Jahres: Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim.
"Wir haben inzwischen die meisten Kernkraftwerke stillgelegt und weiterhin eine sichere Stromversorgung. Das ist eine tolle Leistung, auch der Übertragungsnetzbetreiber", sagt Professor Kai Hufendiek, Leiter des Instituts für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart.
Hohe Kosten durch schnellen Ausstieg
Aus seiner Sicht war der nach Fukushima bestrittene Pfad an vielen Stellen jedoch zu teuer – etwa wegen hoher Entschädigungen für Atom- und Kohlekraftwerksbetreiber oder der Art, wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz umgesetzt worden ist. "Bei anderer Gestaltung wären dieselben Ziele wesentlich kosteneffizienter erreichbar gewesen", glaubt Hufendiek.
"Wenn man den Ausstieg über einen längeren Zeitraum gestreckt hätte, wie das etwa die Schweden oder die Schweizer tun, und gleichzeitig den Ausbau der erneuerbaren Energien effizienter gefördert hätte." Dafür sei die Debatte in Deutschland jedoch zu emotional und zu ideologisch geführt worden. Die Kosten der Energiewende werden sehr unterschiedlich erhoben und beziffert.
Bis 2050 geht es je nach Randbedingungen um 500 bis mehr als 3000 Milliarden Euro, schrieben Karen Pittel vom Ifo-Institut und Hans-Martin Henning vom Fraunhofer-Institut 2019 in einem Gastbeitrag in der FAZ.
Kohleausstieg bis 2038
Mit Blick auf den Klimaschutz gibt Hufendiek zu bedenken, dass es sich bei Kernenergie um eine klimaneutrale Technologie handele. Atomkraftwerke verursachen im Betrieb keine CO2-Emissionen, in der Vor- und Nachbereitung werden aber Treibhausgase emittiert.
Hufendiek geht davon aus, dass der Anteil an Kohleenergie früher heruntergefahren worden wäre, wäre die Atomenergie länger als Brückentechnologie für die Energiewende eingesetzt worden. Nun sollen die Kohlemeiler in Deutschland bis 2038 stillgelegt sein. Die Betreiber erhalten hohe Entschädigungen, 4,35 Milliarden Euro sollen an RWE und LEAG gehen. 2020 ist mit Datteln IV sogar noch ein neues Steinkohlekraftwerk ans Netz gekommen.
Wichtige Reduzierung der Co2-Zertifikate
Ob durch einen früheren Kohle-Ausstieg europaweit ein Klimaschutzeffekt entstanden wäre, ist nicht sicher, erklärt Hufendiek: "Die Anlagen unterliegen dem europäischen Emissionshandelssystem. Das enthält eine gewisse Anzahl von Zertifikaten – und so lange die nicht verringert wird, werden die Emissionen zunächst nur verlagert." Das gelte leider auch für den jetzt teuer beschlossenen Kohleausstieg. Andere Betreiber können die deutschen Zertifikate kaufen – und entsprechend dieselbe Menge CO2 emittieren.
Damit es tatsächlich positive Auswirkungen aufs Klima gibt, müssen Zertifikate im Emissionshandel (ETS) gelöscht werden. Die Lage ist komplex. Es ist nicht so einfach zu berechnen, wie viel CO2 durch die Stilllegungen eingespart wird. Zudem wird die Gesamtmenge der Zertifikate derzeit reduziert, um den ETS wirksamer zu machen. Zwei Gutachten sollen analysieren, "ob und in welchem Umfang" die Bundesregierung darüber hinaus CO2-Zertifikate löschen wird.
Anteil an Atomstrom halbiert
Der Atom-Anteil am deutschen Strommix ist nach Angaben von Agora Energiewende von 2010 bis 2020 von 22 auf elf Prozent gesunken. Der Anteil der erneuerbaren Energien ist im selben Zeitraum von 17 auf 45 Prozent gestiegen. Dem Politiklabor zufolge haben sie den Atomausstieg "weit überkompensiert".
Der Ausbau der Windkraft stockt jedoch seit mehreren Jahren, oft scheitert er an gesellschaftlichem Protest. Kai Hufendiek hat gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Versorgungssicherheit in Süddeutschland untersucht. "Grundsätzlich war das Ergebnis für die kommenden Jahre nicht besorgniserregend."
Wenn bei der Kohle über die nächsten Jahre noch Leistung rausgenommen wird, komme bei Dunkelflaute aber ein Zeitpunkt, an dem Deutschland den eigenen Bedarf nicht mehr sicher decken kann. Das betreffe nicht nur den Süden, sondern das gesamte Land. "Dann wird Deutschland auf seine Nachbarländer angewiesen sein oder neue Kraftwerke bauen beziehungsweise alte als Reserve weiterhin vorhalten müssen."
Keine Krisenvorsorge für europäischen Markt
Schon im vergangenen Jahr hat Deutschland deutlich mehr Strom importiert als in den Vorjahren. Knapp 33.000 Gigawattstunden flossen nach Angaben der Bundesnetzagentur bis kurz vor Jahresende ins Stromnetz – rund 36 Prozent mehr als 2019. Der Exportüberschuss war mit rund 17.400 Megawattstunden nur halb so hoch wie 2019.
Generell sieht Hufendiek kein Problem im Import von Strom aus anderen europäischen Ländern. Doch bislang gebe es seiner Kenntnis nach keinerlei Verträge dafür. "Ich finde es kritisch, wenn wir uns darauf verlassen. Da sollten wir schon entsprechende Krisenvorsorge betreiben." Wenn doch mal einer die Versorgung unterbreche, etwa weil ihm selbst das Wasser bis zum Hals stehe, hätte Deutschland ein Problem.
Teure Atomenergie aus Frankreich?
Hat Deutschland seine Atomkraftwerke abgeschaltet, um Energie aus derselben Quelle nun teuer im Ausland einzukaufen? Ganz so einfach ist auch das nicht, betont Professor Hufendiek. Deutschland bezieht zwar zu bestimmten Zeiten größere Mengen Importstrom aus Frankreich, wo der Anteil an Kernenergie sehr hoch ist.
Da Kernkraftwerke aber üblicherweise hochausgelastet produzieren, sei es fraglich, ob die Stromproduktion aus Kernenergie erhöht werden kann, erklärt der Wissenschaftler. Es würden eher andere Kraftwerke in anderen Ländern hochgefahren, in die Frankreich zu diesen Zeiten weniger exportiert. Der Preis werde über die Knappheit bestimmt, nicht über die Quelle: "Wenn wir eine hohe erneuerbare Stromerzeugung haben, ist genug Strom vorhanden und am Markt entsprechend günstig – dann müssen wir nicht importieren."
Experte: "Keine Lösung ohne Nachteile"
Vieles in der Energiewende-Debatte werde sehr vereinfacht und interessengeleitet verbreitet, bedauert Kai Hufendiek. Bei näherem Hinsehen zeige sich, wie komplex die Themen sind. "Umweltschutz und Umweltauswirkungen zu reduzieren, ist absolut richtig. Aber auch erneuerbare Energien sind nicht unbedingt soft", sagt der Experte. "Sie haben zwar keine Luftschadstoff- oder Klimagasemissionen, das ist gut. Aber sie bedeuten bei Windenergie massive Eingriffe in die Landschaft." Es gebe nichts ohne Nachteile. Am Ende sei das eine gesellschaftliche Abwägung.
Verwendete Quellen:
- Zeit.de Energiewende: Vorsicht, Hochspannung!
- Agora Energiewende: 10 Jahre nach Fukushima - Welche Folgen hat der Atomausstieg für die Energiewende?
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