Endlose Weiten, grenzenlose Freiheit: Das verbinden wohl viele mit der Nordsee. Doch in Wirklichkeit ist es voll auf dem Meer und streng reglementiert. Verteilungskonflikte dürften zunehmen.

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Auch auf 28.539 Quadratkilometern kann es eng werden. Wirtschaftsgruppen, Bundeswehr und Umweltschützer beanspruchen Platz in der deutschen Nordsee. Genauer gesagt in der sogenannten Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) einem Meeresgebiet nahezu so groß wie Belgien. Die Zone, die etwa 22 Kilometer hinter dem Festland beginnt, gehört zwar nicht zum Staatsgebiet. Deutschland hat dort aber begrenzt souveräne Rechte.

Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) aus Hamburg ist daran beteiligt, die Nutzung des Gebiets zu koordinieren. Dabei kommt es zu Überschneidungen: Laut Behörde sind derzeit etwa 50 Prozent der Flächen für Schifffahrt vorgesehen, rund 38 Prozent für Naturschutz und ungefähr 25 Prozent für Verteidigung. Dazu kommen Gebiete für Windindustrie, Leitungen, Fischerei, Forschung und Rohstoffgewinnung.

Schifffahrt: Konkurrenz um Flächen wächst

Für die Schifffahrt ist in der AWZ am meisten Raum, schließlich ist die Nordsee verkehrsreich. Reedereien müssen sogenannte Verkehrstrennungsgebiete nutzen, das sind Autobahnen für Handelsschiffe. Das funktioniere bislang gut, heißt es vom Verband Deutscher Reeder (VDR) aus Hamburg.

Die Schifffahrtsunternehmen befürchten allerdings, dass künftig Platz fehlt, um Routen zu erweitern und neue zu schaffen. "Die immer intensivere Nutzung des Meeresraums durch verschiedene Interessengruppen führt zu wachsender Konkurrenz um verfügbare Flächen", heißt es vom VDR. Der Verband pocht darauf, dass Abstand zwischen Routen und Windparks gewahrt bleibt.

Naturschützer: Es fehlen echte Schutzgebiete

Auch für den Naturschutz ist in der AWZ vergleichsweise viel Platz, denn sie ist ein wichtiger Lebensraum: Hier gibt es Meeressäuger wie Schweinswale und Robben, zahlreiche Seevogel- und Fischarten sowie Bodentiergemeinschaften. Mit Borkum Riffgrund, Doggerbank und Sylter Außenriff-Östliche Deutsche Bucht bestehen in der deutschen Nordsee-AWZ drei Meeresschutzgebiete.

Die ausgewiesenen Flächen seien nicht klein, allerdings habe menschliche Nutzung auch in Schutzgebieten Vorrang, kritisiert die Greenpeace-Meeresexpertin Daniela von Schaper. Von echten Schutzgebieten könne man nicht sprechen, weil Fischerei, Schifffahrt und Rohstoffförderung erlaubt seien.

"Die Nordsee steht enorm unter Druck", sagt die WWF-Meeresexpertin Carla Langsenkamp. Außerhalb der Schutzgebiete konkurrierten viele Nutzer um Fläche. Langsenkamp befürchtet deshalb, dass Aktivitäten in Schutzgebieten ausgeweitet werden. "Wir müssen aufpassen, dass die Nordsee nicht zum Gewerbegebiet verkommt und die Natur an den Rand gedrängt wird."

Marine: Keine weiteren Zugeständnisse möglich

Für Verteidigung ist laut BSH ein großer Teil in der AWZ vorgesehen. Das Gebiet ist für die deutsche Marine wichtig: als Ausbildungsort von Besatzungen von Fregatten und U-Booten, für Übungen und Schießtrainings. Die Marine habe in der Vergangenheit Zugeständnisse für den Ausbau der Windkraft gemacht, sagt eine Sprecherin des Marinekommandos. So wurde die Hälfte des U-Boottauchgebiets Weser mit einem Windpark und Kabelkanal bebaut.

Die Bundeswehr sei an die Grenze des Vertretbaren gegangen. "Seitdem hat sich die Weltlage signifikant geändert", sagt die Sprecherin. Mit der "Zeitenwende" gebe es eine Rückbesinnung auf Landesverteidigung - auch in deutschen Gewässern. "Heutzutage sind keine weiteren Zugeständnisse mehr möglich", heißt es von der Marine. "Im Gegenteil wird sogar ein Rückgriff auf Ressourcen auch außerhalb der Marine nicht vollständig zu vermeiden sein."

Windenergiebranche: Flächen werden regelmäßig zugeteilt

Die Windindustrie soll laut BSH künftig ungefähr 18 Prozent der AWZ belegen. Die Behörde weist in Flächenentwicklungsplänen regelmäßig neue Gebiete für Windparks aus. Der Bundesverband Windenergie Offshore zeigt sich daher zuversichtlich, dass auch in Zukunft ausreichend Flächen für den Ausbau der Offshore-Windenergie in der deutschen Nordsee zur Verfügung stehen.

Aktuell sind mehr als neun Gigawatt Windenergie-Leistung in der Nordsee installiert, bis 2045 sollen es 70 Gigawatt sein. Um dies zu erreichen, sind nach Berechnungen des BSH weit größere Flächen erforderlich - mit einem Potenzial für 78 Gigawatt. Der Grund: Auf einem Teil der Flächen werden Anlagen neu- oder wieder zurückgebaut, in der Zeit können diese nicht in Betrieb sein.

Fischerei: Die Luft wird "immer dünner"

Für die Fischerei sind der BSH zufolge etwa fünf Prozent der Fläche eingeplant. Die verbliebenen Küstenfischer sorgen sich seit Jahren um ihre Fanggebiete die schrumpfen mit dem Ausbau der Windenergie. Anders als in Nachbarländern dürfen Fischer nicht in Windparks fischen. Der Präsident des Deutschen Fischereiverbandes, Dirk Sander, warnt angesichts des Ausbauziels bis 2045: "Dann ist die Nordsee zur Hälfte für die Fischerei verloren."

Hinzu kommen Flächen für Naturschutz: in 10 Prozent davon soll die Fischerei komplett verboten werden, und in weiteren 20 Prozent ist mit Einschränkungen zu rechnen. Auf Schifffahrtstraßen ist die Fischerei ebenfalls ausgeschlossen.

Auf Flächen, in denen gebaggert und verklappt wird, ist der Fischfang unmöglich. Werden Fischgebiete für das Militär gesperrt, bekommen Fischer zumindest Kompensation. "Die Luft für die Fischerei wird also immer dünner", sagt Verbandssprecher Claus Ubl.

Der Verband fordert eine Co-Nutzung in Windparks. "Ansonsten wird es künftig für die Fischerei nicht mehr genügend Fläche geben", sagt Ubl. Und beim Naturschutz müsse es Schutz mit Augenmaß geben: "Dort, wo die Fischerei dem Schutzzweck nicht entgegensteht, muss diese weiter möglich sein."

Raumfahrt: Während Raketenstarts braucht es Platz

Vom BSH nicht aufgezählt, aber auch relevant ist die Raumfahrt. Das Konsortium German Offshore Spaceport Alliance mehrerer Bremer Firmen plant einen Weltraumbahnhof auf See. Künftig sollen Microlauncher das sind Mini-Raketen von einer schwimmenden Plattform starten und Satelliten in den Weltraum transportieren.

Das Spezialschiff mit Startrampe soll nur bei Bedarf ab Bremerhaven in See stechen. Vor jedem Raketenstart müsse allerdings sichergestellt werden, dass keine anderen Schiffe in der Nähe seien, sagt eine Sprecherin des Konsortiums. Dafür werde ein Sicherheitsradius um das Schiff und die Flugbahn der Rakete eingerichtet. Der Radius variiere je nach Treibstoffmenge und Flugmission. (dpa/ bearbeitet durch lc)