Bei den Grünen wächst der Unmut über die Zustimmung von Annalena Baerbock zur EU-Asylreform. Sowohl an der Basis als auch an der Spitze ist die Empörung groß, weil die Reform die Rechte von Asylbewerbern einschränkt. Die Parteispitze ringt um eine gemeinsame Linie.

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Wie viele Kompromisse verträgt die Partei noch? Nachdem die Grünen in der Ampelkoalition bereits beim Klimaschutz schwere Zugeständnisse machen mussten, spaltet nun die Zustimmung zur EU-Asylreform die Partei. Annalena Baerbock war mit dem Ziel in die Verhandlungen gegangen, die Rechte von Asylbewerbern in einem konservativ-rechts geprägten EU-Rat zu verteidigen.

Konkret sollte erreicht werden, dass Familien mit Kindern von den umstrittenen Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen ausgenommen werden. Es wird befürchtet, dass sich Flüchtlinge dort haftähnlichen Zuständen ausgesetzt sehen, was die Grünen zumindest Kindern und Familien ersparen wollen.

Das ist nun vorerst nicht gelungen. Lediglich unbegleitete Minderjährige sind von den Verfahren ausgenommen, was jedoch bereits länger feststand. Baerbock versuchte, die "schwierige Entscheidung" zu verteidigen: "Ich halte diese Grenzverfahren für falsch, aber hätten wir gesagt, wir werden darüber gar nicht verhandeln, hätten wir nicht die Möglichkeit gehabt, überhaupt in die Verteilung zu gehen," erklärte sie am Samstag beim evangelischen Kirchentag. Baerbock führte an, dass die Situation für Geflüchtete womöglich noch schlechter wäre, wenn es gar keinen Kompromiss gegeben hätte.

Für Trittin geht es um echte grüne DNA

Diese Argumentation stößt bei vielen Grünen auf wenig Verständnis. Nach Zugeständnissen in der Klimapolitik könnte der nächste bittere Kompromiss das Fass zum Überlaufen bringen. Für Außenpolitiker Jürgen Trittin gehe es beim Asylrecht um echte grüne DNA.

Er stellte im "Stern" die Einigung des EU-Rats von letzter Woche infrage: "Familien und Kinder müssen, so wie es ursprünglich verabredet war, von den Verfahren an den EU-Außengrenzen ausgenommen werden. Ich sehe nicht, wie man sonst eine unschöne Zuspitzung des Streits in Fraktion und Partei verhindern will."

Auf Twitter kritisierte Trittin die Einigung scharf: "Man muss wissen, wo die Grenzen des Vertretbaren sind. Diese sind überschritten worden: Europas Flüchtlingspolitik wurde auf einem Niveau der Schäbigkeit harmonisiert."

Parteivorstand wirbt vor kleinem Parteitag für Zusammenhalt

Manche Grüne hatten gar einen Sonderparteitag ins Spiel gebracht. Um den zu vermeiden, hat die Parteispitze nun einen Leitantrag verabschiedet, der beim kleinen Parteitag, dem sogenannten Länderrat, am Samstag besprochen werden soll.

Der Grünen-Vorstand, zu dem unter anderem die Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour gehören, kritisiert darin den EU-Beschluss deutlich. "Die erzielte Einigung kann zentrale Anforderungen nicht erfüllen, die wir an eine Asylpolitik der Humanität und Ordnung stellen", schreibt der Bundesvorstand in der neuen Version. "Das vorliegende Ergebnis ist von den Positionen unserer Partei weit entfernt."

Die Parteispitze geht zugleich auf die Bewertung innerhalb der Partei und auch der Spitzengremien ein: "In der Gesamtschau bewerten wir das Ergebnis unterschiedlich", heißt es in dem Leitantrag. "Wir zollen unseren jeweiligen Meinungen großen Respekt und stehen fest zusammen beim gemeinsamen Vorhaben, weiterhin mit aller Kraft für eine Verbesserung der Situation für Schutzsuchende um und in Europa zu kämpfen."

Mit dem Leitantrag kommt die Parteispitze den Kritikern in der eigenen Partei etwas entgegen. In der aktuellen Krise mit Umfragewerten von 15 Prozent und weniger wären innerparteiliche Scharmützel das Letzte, was die Grünen brauchen.

Auch wenn der innere Frieden am Samstag gewahrt werden kann, bleibt fraglich, ob die Grünen ihre Punkte in der EU durchsetzen können. Nach der Einigung im EU-Rat stehen nun die Beratungen zwischen Rat, Kommission und dem EU-Parlament an.

EU-Parlament will Ausnahmen für Familien mit Kindern

Die Parteispitze versichert in ihrem Leitantrag, dass man sich dort für Verbesserungen einsetzen will, "etwa für den besseren Schutz von Familien mit Kindern und verpflichtende Verteilung." An der bereits erfolgten Zustimmung der Regierung im EU-Rat ändert das nichts. Die Bundes-Grünen geben damit die Verantwortung an das EU-Parlament ab.

Das EU-Parlament hat bereits im April eine gemeinsame Position zur EU-Asylreform formuliert. Dort sprechen sich die Parlamentarier für die Grenzverfahren und damit für eine Verschärfung des Asylrechts aus. Anders als der EU-Rat sehen sie in ihrem Beschluss allerdings noch eine Ausnahme für Familien mit Kindern vor.

Von den Bundes-Grünen erhofft sich der grüne Europaabgeordnete Rasmus Andresen Rückenwind für die Verhandlungen. Der kleine Parteitag am Wochenende müsse sich deutlich vom Beschluss der EU-Innenminister distanzieren. "Falls es uns nicht gelingt durchzusetzen, Familien mit Kindern aus den geplanten Haftlagern auszunehmen, darf es keine deutsche Zustimmung zum Asylpaket geben", sagte Andresen am Dienstag der dpa.

Verwendete Quellen:

  • Material der afp und dpa
  • stern.de: Asylstreit verschärft sich – Grünen-Politiker bringen Sonderparteitag ins Spiel
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