Ungarns rechtskonservative Regierung unter Viktor Orbán hat eine neue Behörde geschaffen. Vordergründig soll sie die "Souveränität" des Landes schützen. Tatsächlich geht es wohl einmal mehr vor allem darum, kritische Journalisten und Nichtregierungsorganisationen zu schikanieren und in ihrer Arbeit zu behindern.

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In Ungarn nimmt am Donnerstag die neue Regierungsbehörde zum Schutz der "Souveränität" des Landes ihre Arbeit auf. Die Behörde soll das Land vor angeblicher "ausländischer Einmischung" schützen. Doch unabhängige Medien sowie Washington und Brüssel sehen darin eine weitere Maßnahme der rechtsnationalistischen Regierung, Kritiker mundtot zu machen. "Das ist eine neue, gefährliche Provokation von Regierungschef Viktor Orbán", urteilt die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF).

Die neue, in der Verfassung verankerte Behörde soll das Gesetz zum Schutz der nationalen "Souveränität" durchsetzen, das das Parlament im Dezember verabschiedet hatte. Ihre Aufgabe ist es, "Organisationen ausfindig zu machen und zu untersuchen, die Finanzmittel aus dem Ausland erhalten und darauf abzielen, den Wählerwillen zu beeinflussen".

Das Amt selbst kann keine Sanktionen verhängen, aber Material für gerichtliche Ermittlungen liefern. Wahlkandidaten, die Gelder aus dem Ausland annehmen, drohen bis zu drei Jahre Gefängnis.

Pressefreiheit schon jetzt massiv eingeschränkt

Die ungarische Regierung beschuldigt die EU und Organisationen aus dem Ausland, vor allem aus den USA, immer wieder, "Milliarden von Euro" an die Opposition zu verteilen, um "den Wählerwillen zu beeinflussen". Seit seiner Rückkehr an die Macht vor fast 14 Jahren schränkte Orbán, der enge Beziehungen zu Kreml-Chef Wladimir Putin pflegt, die Pressefreiheit immer weiter ein. Im RSF-Ranking zur Pressefreiheit rutschte Ungarn seit 2009 vom 25. auf den 72. von 180 Plätzen ab.

Auch ein Gesetz gegen Nichtregierungsorganisationen gab es in Ungarn bereits, doch es scheiterte 2021 vor dem Europäischen Gerichtshof. Das neue Amt kann nun im Vorfeld der Europa- und Kommunalwahlen im Juni agieren.

Behördenleiter ist Fidesz-Getreuer

Leiter der neuen Behörde ist Tamas Lanczi, der seine Karriere im Umfeld von Orbáns Fidesz-Partei gemacht hat. Als Chefredakteur einer Wirtschaftszeitung veröffentlichte er 2018 eine Liste mit den Namen von über 200 Wissenschaftlern, Journalisten und Mitarbeitern von Organisationen, die angeblich mit George Soros zusammenarbeiteten. Der aus Ungarn stammenden, jüdische US-Milliardär und Philanthrop war lange das Feindbild Nummer eins der rechtsnationalistischen Fidesz-Partei. Ein Gericht bezeichnete die Liste später als gesetzeswidrigen Einschüchterungsversuch.

Für Zoltan Ranschburg vom liberalen Thinktank Republikon verheißt die Personalie für die neue Behörde nichts Gutes: "Lanczi ist ein versierter, gut vernetzter Propagandist", urteilt er. "Ginge es der Regierung wirklich um die Verteidigung der Souveränität, hätte sie einen Spezialisten für nationale Sicherheit ernannt."

Verleumdungskampagnen befürchtet

Agnes Urban vom Institut Mertek Media Monitor befürchtet, dass Lanczi das Amt für weitere Verleumdungskampagnen missbrauchen könnte. Eine andere Sorge, auf die der Europarat Ende November hinwies, ist die "unbegrenzte Macht der Behörde, sensible Daten und private Informationen von jedermann ohne Kontrolle und ohne Rechtsmittel anzufordern".

Die Behörde könnte somit Medienunternehmen effektiv allein dadurch lahmlegen, indem sie Unmengen an Daten verlangt, warnt Urban. "Das könnt einen abschreckenden Effekt haben, sodass Journalisten heikle Themen meiden, um nicht ins Visier der Behörde zu geraten." In einem Brief warnten zehn unabhängige ungarische Medien, dass "die Pressefreiheit drastisch beeinträchtigt werden könnte".

Viele NGOs auf Spenden aus dem Ausland angewiesen

Für viele Nichtregierungsorganisationen ist die neue Gesetzeslage fatal. Sie seien auf Finanziers aus dem Ausland angewiesen, sagt Miklos Ligeti von Transparency International Ungarn. Denn regierungskritische Organisationen hätten ohnehin keinen Zugang zu staatlichen Zuschüssen und die Spenden aus dem Inland reichten nicht aus.

Kritik kommt auch von der Europäischen Kommission, die mit einem Vertragsverletzungsverfahren drohte, und den Vereinigten Staaten, für die das Gesetz "nicht mit der Rechtsstaatlichkeit vereinbar" ist. "Die Behörde hat ein Mandat von atemberaubendem Ausmaß", sagte der US-Botschafter in Ungarn, David Pressman. Im Vergleich dazu wirke das russische Gesetz über ausländische Agenten, mit dem der Kreml die Zivilgesellschaft unterdrückt, regelrecht milde. (afp/mcf)

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