Afghanistan ist ein zentralasiatisches Land, das seit Jahrzehnten von Kriegen, Umstürzen und Konflikten gebeutelt wird. Nach dem sowjetischen Truppenabzug 1989 und der anschließenden Instabilität im Land konnten sich die Taliban formieren und die Macht an sich reißen. Ab 1998 wurde die Taliban-Regierung mit internationalen Sanktionen belegt. Hintergrund waren Anschläge auf US-Einrichtungen in Tansania und Kenia, für die die US-Regierung Al-Qaida-Anführer Osama bin Laden verantwortlich machte, der ein Gastrecht auf afghanischem Territorium genoss.

Nach dem 11. September 2001 intervenierten die USA ab 7. Oktober 2001 gegen die Taliban mit Flächenbombardements und versetzten die Nordallianz so in die Lage, Kabul einzunehmen. Dies war der Beginn der US-geführten Militäroperation "Enduring Freedom", die mit dem NATO-Bündnisfall und der Entsendung einer "International Security Assistance Force" (ISAF) ab Anfang 2002 die militärische Intervention prägte. Die Taliban galten schnell als militärisch besiegt und die Bush-Administration erklärte die Verfolgung von Al-Qaida und Osama bin Laden zu einem zentralen Ziel des "Kriegs gegen den Terror".

Nachdem die USA sich nach 2001 lange geweigert hatten, mit den Taliban direkt zu verhandeln und mehrere alternative Gesprächsansätze, z.B. Russlands und Norwegens, erfolglos geblieben waren, brachte das US-Taliban-Abkommen von Doha (Katar) im Februar 2020 eine Kehrtwende in der internationalen Bearbeitung des Afghanistan-Konflikts. Die Vereinbarungen regelten den Abzug der US- und aller anderen ausländischen Truppen 2021.

Nach ihrer weitgehend gewaltlosen Machtübernahme im August 2021 haben die Taliban eine Übergangsregierung gebildet und das "Islamische Emirat Afghanistan" ausgerufen. Sie konnten sich bisher gegen die noch verbleibende bewaffnete Opposition behaupten, die im Wesentlichen aus Anhängern und Sicherheitskräften der Vorgängerregierung – organisiert u.a. in der Nationalen Widerstandsfront – und dem lokalen Ableger des Terrornetzwerks "Islamischer Staat" besteht. Während die Nationale Widerstandsfront mit kleineren Anschlägen auf sich aufmerksam macht und eine Regierungsbeteiligung anstrebt, verübt der Islamische Staat-Provinz Khorasan (ISPK) immer wieder Anschläge gegen Schiiten und Taliban, mit teilweise hohen Opferzahlen. Der ISPK rekrutiert auch international, um Anschläge auszuführen, so gegen eine Veranstaltungshalle in Krasnogorsk (Russland) im März 2024, mutmaßlich verübt von vier tadschikischen Gastarbeitern mit mehr als 140 Todesopfern.

Das aktuelle Gewaltniveau in Afghanistan ist deutlich geringer als vor 2021. Gleichwohl sind zahlreiche gewaltsame Repressionen gegen vermeintliche Regimegegner belegt. Sie richten sich insbesondere gegen Angehörige der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräfte, Salafisten, protestierende Frauen und Männer, Journalisten sowie Bewohner von Gebieten, die als Unterstützungsregionen für die Nationale Widerstandsfront gelten. Zur Auflösung der Fußnote[4] Opfer fordert ebenfalls der immer wieder eskalierende Konflikt mit Pakistan in den Grenzregionen.

Die US- und UN-Sanktionen gegen einzelne Mitglieder der Taliban sind mit deren Regierungseintritt auf den afghanischen Staat übergegangen. So steht der amtierende Premier, Mullah Akhund, auf der UN-Sanktionsliste. Das FBI hat 2008 für Hinweise zur Ergreifung des amtierenden Innenministers, Siradschudin Haqqani, ein Kopfgeld von bis zu zehn Mio. US-Dollar ausgesetzt.

Sanktionsbedingt sind die zum Großteil im Ausland deponierten Budget- und Währungsreserven von etwa neun Mrd. US-Dollar eingefroren und stehen nicht zur Deckung dringender humanitärer Bedarfe, vornehmlich im Gesundheitsbereich, zur Verfügung. Die humanitäre Lage ist entsprechend prekär und wird durch Erdbeben und Naturkatastrophen, wie Dürren und Überschwemmungen, zusätzlich verschärft. Seit Oktober 2023 hat Pakistan mehr als eine halbe Million Afghanen und Afghaninnen abgeschoben. Die Zahl der abgeschobenen Arbeitsmigranten aus dem Iran ist noch höher. In der Folge gehen auch die Rücküberweisungen aus dem Ausland zurück.

Laut UNO können 69 % der Afghaninnen und Afghanen ihren Lebensunterhalt nicht decken; die Hälfte der Bevölkerung lebt laut Weltbank unterhalb der Armutsgrenze. Die für Mitte 2024 vorgesehene Abschiebung weiterer 800.000 Afghanen aus Pakistan wird die prekäre Arbeitsmarktsituation weiter verschlechtern. Zudem sind 43 % der Bevölkerung jünger als 15 Jahre und mehr als eine halbe Million junge Menschen erreichen jährlich das erwerbsfähige Alter. Der Wegfall von Verdienstmöglichkeiten durch die Anbauverbote für Schlafmohn, Cannabis und Ephedra hat vielen Afghanen eine wichtige Lebensgrundlage entzogen und den Migrationsdruck zusätzlich verschärft.

Katja Mielke für bpb.de/the