- Die Türkei hat trotz der Erdbeben-Katastrophe an der türkisch-syrischen Grenze offenbar wieder Luftangriffe in Syrien geflogen.
- Davon berichten unter anderem Aktivisten vor Ort.
- Hilfslieferungen in die betroffenen Gebiete in Syrien sind besonders erschwert.
Trotz der schweren Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion hat die Türkei im Kampf gegen kurdische Milizen offensichtlich wieder eine Stellung in Syrien angegriffen. Durch eine türkische Rakete seien vier Menschen zum Teil schwer verletzt worden, teilten die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte sowie die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) am Mittwoch mit.
Es handele sich dabei um von Kurden unterstützte Mitglieder des Militärrats von Manbidsch, die die dortige Gegend kontrollieren. Der Angriff habe sich bereits am Dienstag ereignet. Die Erdbeben hatten das Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien, darunter auch Manbidsch, am Montag erschüttert. Retter vermuten noch immer Tausende Verschüttete unter Trümmern.
Von den Luftangriffen berichteten auch Aktivisten vor Ort. In der Nacht auf Dienstag habe es Nachbeben in Syrien gegeben. "Trotzdem wurden weiter türkische Luftangriffe in der Region geflogen, im Nordwesten bei Afrin", sagte Fee Baumann von der Hilfsorganisation "Kurdischer Roter Halbmond" dem ZDF. Dies sei "gerade die Region, die schwer betroffen von den Erdbeben ist und schon vorher von den Luftangriffen in Mitleidenschaft gezogen worden ist".
Von der Türkei nach Syrien ist nur ein Grenzübergang – Bab al-Hawa – geöffnet. Dies mache es schon "schwierig genug", Hilfsmittel zu liefern, erklärte Baumann. Diese würden "kaum ankommen" und "wenn, dann viel zu spät". "Abgesehen davon werden die Hilfsmittel mit größter Wahrscheinlichkeit die kurdisch bewohnten Gebiete nicht erreichen", sagte sie weiter.
Nutzt Erdogan die Erdbeben-Katastrophe für politische Zwecke?
Die Türkei, die im Norden Syriens Gebiete besetzt hält, geht dort schon seit langem gegen kurdische Milizen vor. Im November flog Ankara auch Luftangriffe im Nachbarland. Auch die syrische Kurdenmiliz YPG kontrolliert Regionen im Bürgerkriegsland. Die Türkei sieht sie als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Die PKK gilt unter anderem auch in Deutschland als Terrororganisation, die YPG hingegen nicht. Die USA sehen in der YPG einen Partner im Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS).
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) äußert sich in einer Mitteilung besorgt über türkische Versuche, das Erdbeben für politische Zwecke zu missbrauchen. "Betroffene vor Ort berichten uns, dass islamistische Söldner im Auftrag der Türkei Hilfsgüter beschlagnahmen und gezielt von kurdischen Siedlungen fernhalten", sagte der GfbV-Nahostexperte Dr. Kamal Sido am Donnerstag in Göttingen. "Die fast völlig zerstörte Kleinstadt Dschindires liegt direkt am Grenzübergang Hamam. Dort kommen keine humanitären Lieferungen an." Bei Aufräumarbeiten würden Häuser kurdischer Familien benachteiligt.
Es sei zu befürchten, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und "seine islamistischen Schergen im Zuge des Wiederaufbaus durch Siedlungsbau versuchen werden, die kurdische Präsenz samt ihrer Sprache und kulturellen Identität weiter zurückzudrängen", so Sido.
Außenministerin Baerbock fordert Grenzöffnungen
Bundesaußenministerin
"In so einer Situation tun wir alles dafür, Menschenleben zu retten", hob Baerbock hervor. "Minütlich erreichen uns neue Todeszahlen", verwies sie auf die furchtbare Lage in dem Katastrophengebiet beiderseits der türkisch-syrischen Grenze. Neben Baerbock fordert auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne), die Öffnung der Grenzen zwischen der Türkei nach Syrien. "Die Grenzübergänge müssen geöffnet werden für Hilfslieferungen", sagte Amtsberg im ZDF-"Morgenmagazin". Das sei "zwingend notwendig".
Baerbock macht Regime in Damaskus für Lage mitverantwortlich: Auch Bomben von dort?
Für den fehlenden Zugang zu den von Rebellen kontrollierten Gebieten im Nordwesten Syriens machte Außenministerin Baerbock vor allem die syrische Regierung verantwortlich. "Wenn ein Regime sich in den Kopf gesetzt hat, seine eigene Bevölkerung in dieser Situation nicht zu versorgen, dann liegt das nicht daran, dass wir keine Bagger über die Grenzen bekommen, sondern daran, dass das syrische Regime diese Grenze nicht öffnet", kritisierte Baerbock.
Derzeit unterstütze Deutschland in Syrien finanziell Hilfsleistungen über UN-Organisationen sowie über bereits vor Ort tätige Organisationen wie die Weißhelme oder die Malteser. Dem Regime in Damaskus warf Baerbock zudem vor, vom Erdbeben betroffene Gebiete im Nordwesten immer wieder zu bombardieren. Sie beschuldigte das Regime von Baschar al-Assad einer "Terrorisierung seiner eigenen Bevölkerung". (dpa/AFP/tas)
Verwendete Quellen:
- Deutsche Presse-Agentur (dpa)
- Agence France-Presse (AFP)
- Zdf.de: Nordsyrien: Offenbar Bomben auf Bebengebiet
- Gfbv.de: Nach dem schweren Erdbeben: Minderheiten bei Hilfslieferungen benachteiligt
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