Es ist eine bleibende Narbe, die der Terroranschlag während des Weihnachtsmarktes 2018 in der Elsassmetropole Straßburg hinterlassen hat.
Mehr als fünf Jahre nach der Attacke mit fünf Toten und elf Verletzten hat am Donnerstag vor einem Schwurgericht in Paris der Prozess gegen vier mutmaßliche Helfer des Täters begonnen. Die Männer sollen bei der Beschaffung von Waffen geholfen haben. Weit über die unmittelbar betroffenen Dutzenden von Nebenklägern hinaus erhoffen viele sich von dem Prozess eine Bewältigung des Schreckens, der Straßburg lange über den Tatabend hinaus im Griff gehalten hat.
Bei einer erbarmungslosen Menschenjagd hatte der Islamist Chérif Chekatt (29) am Abend des 11. Dezember 2018 im vorweihnachtlichen Trubel in Gassen und auf Plätzen Menschen mit einer Schusswaffe und einem großen Messer attackiert. Während seines blutigen Streifzugs durch die Stadt, in deren Straßen sich zunehmend blanke Panik ausbreitete, versuchten mehrere Musiker, den Angreifer zu stoppen. Es kam zu einem Schusswechsel mit den zum Schutz des Weihnachtsmarktes eingesetzten Militärkräften. Aber Chekatt gelang zunächst die Flucht mit einem Taxi. 49 Stunden lang fieberte Straßburg, ehe der Attentäter nach einer Großfahndung im französisch-deutschen Grenzgebiet bei einem Schusswechsel mit Beamten im Straßburger Viertel Neudorf getötet wurde.
Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte den Anschlag später für sich. Chekatt hatte dem IS in einem Video seine Treue geschworen. Die Aufnahme wurde auf einem USB-Stick in seiner Wohnung gefunden. Der junge Mann mit nordafrikanischen Wurzeln war den Behörden als islamistischer Gefährder bekannt. Er wurde wegen etlicher Diebstähle in Frankreich, der Schweiz und in Deutschland verurteilt, wo er in Konstanz und Freiburg in Haft saß. Dass ein solcher Kleinkrimineller einen islamistischen Anschlag verübt, ist nicht außergewöhnlich. Ähnlich war es auch bei Anis Amri, dem Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt 2016.
Den Angeklagten, die ebenfalls einen kleinkriminellen Hintergrund haben und allesamt Franzosen sind, drohen lange Haftstrafen. Hauptangeklagter ist ein Freund des Täters, der diesem Waffen verkauft haben soll. Der 42-jährige Rapper aus Straßburg gibt an, den Täter für einen einfachen Kriminellen gehalten und von seinen Anschlagsplänen nichts gewusst zu haben. Zum Prozessauftakt war der kahlköpfige Mann in weißem Hemd der einzige Angeklagte, der in einem gesicherten Bereich hinter Panzerglas Platz nehmen musste.
Außerdem angeklagt sind zwei 37 und 39 Jahre alte Brüder aus Sélestat sowie ein weiterer 34 Jahre alter Mann aus Haguenau, die den Kauf der Tatwaffe am Tag des Anschlags eingefädelt und vermittelt haben sollen. Aus Sicht der Anklage wussten sie von den Anschlagsplänen aber nichts. Diese drei Angeklagten befinden sich unter Justizaufsicht auf freiem Fuß, haben aber längere Zeit in Untersuchungshaft gesessen.
Unter den Nebenklägern, die am Donnerstag in den Pariser Justizpalast kamen, waren auch Angehörige der Opfer. Teils unter "Allahu Akbar"-Rufen ("Gott ist groß") hatte der Täter diese angegriffen, darunter einen Franzosen, der vor einem Restaurant auf seine Familie wartete, einen Touristen aus Thailand sowie einen Kriegsflüchtling aus Afghanistan, der vor den Augen seiner Familie erschossen wurde.
Über die getöteten und verletzten Opfer hinaus aber wurde auch eine größere Zahl unmittelbarer Augenzeugen schwer traumatisiert. Rund 1000 Menschen nahmen nach dem Anschlag psychische Hilfsangebote in Anspruch, etliche sind weiterhin in Behandlung. Zu Prozessstart ging das Gericht denn auch auf die vielleicht etwas technische, aber für viele Betroffene wichtige Abgrenzung ein, wer als Nebenkläger anerkannt werden kann.
"Ich versichere den Opfern dieser Tragödie, die unsere Stadt für immer gezeichnet hat, meine ganze Unterstützung", erklärte die Straßburger Bürgermeisterin Jeanne Barseghian am Donnerstagmorgen. "Dieser Prozess ist ein grundlegender Schritt auf dem Weg der Genesung der Opfer." Der Anschlag in Straßburg reihte sich in eine Serie von islamistischen Terrorattacken, die Frankreich in den vergangenen Jahren erschütterten und bei denen rund 250 Menschen aus dem Leben gerissen wurden. Frankreich als Nation wurde dadurch nachhaltig traumatisiert.
"Hinter jeder der französischen Städte, die von der Willkür islamistischer Gewalt heimgesucht werden, stehen geraubte Leben, gebrochene Herzen, traumatisierte Existenzen und untröstliche Seelen, die wir aufgrund der Wiederkehr dieser "großen Prozesse" nicht übersehen dürfen", schrieb Journalistin Hélène David am Donnerstag im Leitartikel der Straßburger Zeitung "Les Dernières Nouvelles d'Alsace". "Am 11. Dezember 2018 reihte sich Straßburg in die Litanei der trauernden Städte ein und die Bilder ihrer vertrauten, nun blutbefleckten Straßen prägten sich in die Netzhaut ihrer Bewohner ein." © dpa
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