• Die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) will vorläufig alle Angriffe in der Türkei einstellen.
  • So sollen Kräfte für den Rettungseinsatz im Erdbebengebiet gebündelt werden.
  • Das sagte PKK-Führer Cemil Bayik und kündigte an, wie lange die Kampfpause andauern soll.

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Nach dem Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet will die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorläufig alle Angriffe in der Türkei einstellen, um Kräfte für den Rettungseinsatz zu bündeln. "Wir haben entschieden, keine Angriffe auszuführen, solange uns der türkische Staat nicht angreift", sagte PKK-Führer Cemil Bayik.

Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler kritisierte, der türkische Katastrophenschutz sei zu wenig in den kurdischen Gebieten tätig. Präsident Recep Tayyip Erdogan räumte ein, dass die Rettungsarbeiten nicht schnell genug erfolgten.

"Das Beben hat eine riesige Katastrophe verursacht. Tausende unserer Menschen liegen unter den Trümmern", zitierte die der PKK nahestehende Nachrichtenagentur Firat in der Nacht zum Freitag den PKK-Führer. Alle müssten nun "sämtliche Mittel mobilisieren", sagte Bayik. Die Kampfpause werde so lange andauern, "bis der Schmerz unseres Volkes gelindert ist und seine Wunden geheilt sind", fügte er hinzu.

Erdbeben traf Region, die Schauplatz einiger der schwersten Kämpfe gewesen war

Die von der Türkei und den meisten westlichen Staaten als "Terrororganisation" eingestufte PKK führt seit Jahrzehnten einen Kampf gegen den türkischen Staat, bei dem bereits Zehntausende Zivilisten und Sicherheitskräfte ums Leben gekommen sind.

Das Erbeben der Stärke 7,8 am Montagmorgen mit nach derzeitigem Stand mehr als 22.000 Toten traf eine Region, in der viele Kurden leben, und die in der Vergangenheit Schauplatz einiger der schwersten Kämpfe zwischen Regierungstruppen und der PKK gewesen war.

Die Türkei bekämpft auch die Kurden im Nordirak sowie die Kurdenmiliz YPG in Syrien, die sie als syrischen Ableger der PKK betrachtet. Im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hatte die YPG die von den USA geführte Anti-IS-Koalition unterstützt.

Kurz vor den für den 14. Mai geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei versucht Ankara, die prokurdische Partei HPD – die drittgrößte Partei im türkischen Parlament – zu verbieten, der sie Verbindungen zur PKK vorwirft. Das Verfassungsgericht hatte im Juni 2021 ein Verbotsverfahren gegen die HDP eröffnet. Mit einem baldigen Verbot der linksgerichteten HDP würde Erdogan rechtzeitig vor der Wahl einen wichtigen politischen Gegner kalt stellen.

Die deutsche Linken-Vorsitzende Wissler, die zur Beobachtung des HDP-Prozesses in die Türkei gereist war und das Erdbeben in Diyarbakir miterlebt hatte, kritisierte das Krisenmanagement der türkischen Regierung nach dem Erdbeben. Es mehrten sich Berichte aus der Türkei, wonach der staatliche Katastrophenschutz vor allem in den Hochburgen der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP tätig sei, "aber bislang zu wenig in den kurdischen Gebieten", sagte Wissler der Nachrichtenagentur AFP. Dort seien "die Menschen vielfach auf sich allein gestellt".

Wissler: "Kritische Berichterstattung soll mundtot gemacht werden"

Zudem seien Ermittlungsverfahren gegen Journalisten eingeleitet worden, die auf Versäumnisse im Krisenmanagement hingewiesen hatten. "Kritische Berichterstattung soll mundtot gemacht werden", sagte Wissler.

Mit Blick auf die Wahlen im Mai zeigte sich Wissler besorgt, dass in zehn von dem Erdbeben betroffenen Provinzen für drei Monate der Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Es "besteht die akute Gefahr, dass der Ausnahmezustand genutzt werden wird, um die türkische Opposition am Wahlkampf zu hindern", sagte Wissler.

Erdogan gab unterdessen am Freitag erstmals zu, dass die Rettungsmaßnahmen im Erdbebengebiet nicht schnell genug vorankommen. "Es wurden so viele Gebäude beschädigt, dass wir leider nicht in der Lage waren, unsere Einsätze so zu beschleunigen, wie wir es gerne getan hätten", sagte Erdogan bei einem Besuch in der schwer getroffenen Stadt Adiyaman.

"Ich habe bis um 14:00 Uhr am zweiten Tag nach dem Erdbeben niemanden gesehen", sagte Mehmet Yildirim, ein Einwohner aus Adiyaman. "Keine Regierung, kein Staat, keine Polizei, keine Soldaten. Schämt euch! Ihr habt uns allein gelassen." (pak/AFP)

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