Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in Frankreich fragen sich viele: Was tun Piloten, wenn die Technik versagt? Die Ausbildung bereitet sie zwar auf alle möglichen Extremsituationen vor – doch das reiche nicht immer aus, erklärt Flugkapitän Siegfried Lenz. Er sieht vor allem die harten Arbeitszeiten als Gefahr für die Sicherheit.

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Es war doch eine unproblematische Strecke, sagte ein Angestellter der Flughafenbehörde in Barcelona, als ihn die Nachricht vom Absturz von Germanwings-Flug 4U9525 in Frankreich erreichte. Und wenn es Turbulenzen gibt, seien die Crews geschult, damit umzugehen. Auch er vertraut den Piloten, vertraut auf die Ausbildung, in denen die Piloten lernen, ihr Flugzeug auch unter schwersten Bedingungen sicher auf den Boden zu bringen. So wie Chesley Sullenberger, der 2009 seinen Airbus A320 auf dem Hudson River landete. Kurz nach dem Start in New York war ein Vogelschwarm in die Triebwerke geraten, für eine Umkehr flog die Maschine noch nicht hoch genug. Die Notwasserung war die einzige Möglichkeit, das Leben der 155 Passagiere zu retten. Sullenberger schaffte es. Vor allem seine Erfahrung wurde gepriesen – doch auch die hilft manchmal nicht weiter.

"Fliegen ist wie die Seefahrt eine Tätigkeit, in der man immer etwas Neues entdeckt", sagt Flugkapitän Siegfried Lenz. Er arbeitet seit 25 Jahren in seinem Job und ist Generalsekretär der österreichischen Pilotenvereinigung Austrian Cockpit Association (ACA). Man könne nicht pauschal sagen, wann ein Pilot genug Routine habe, um schwierige Situationen zu meistern, fügt er hinzu. "Selbst ich kann nicht behaupten, dass ich schon alles gesehen habe."

Im Notfall hilft kein Autopilot

In der Ausbildung der Piloten wird viel Wert gelegt auf "ungewöhnliche Flugzustände", wie Lenz es nennt. Die Gefahren sind vielfältig: Das Flugverhalten ändert sich durch die Wetterbedingungen, aber auch, wenn etwa ein Triebwerk ausfällt, die Sensoren oder gleich der Steuerungscomputer. Manchmal wird im Simulator auch einfach ein Kurzschluss geübt. Dann müssen der Kapitän und der Co-Pilot das, was sie theoretisch gelernt haben, anwenden: Checklisten abarbeiten, den Fehler finden, die Maschine landen. "Rund siebzig Prozent der Zeit im Simulator gehen für solche Übungen drauf", erklärt Lenz. Dort lernen die angehenden Piloten auch schon die Besonderheiten und typischen Probleme bestimmter Flugsysteme kennen. Die Auszubildenden müssen auf alles vorbereitet sein, sagt Lenz: "Grundsätzlich soll ein frisch ausgebildeter Pilot in seinem ersten Flug als Co-Pilot schon den Kapitän ersetzen können, wenn der ausfällt."

In der Realität geht es zum Glück meist ruhiger zu als im Simulator. Die Herausforderung liegt vor allem darin, die Konzentration aufrecht zu erhalten. "Ein Reiseflug ist so spannend wie eine 1.000 Kilometer lange Autobahnfahrt ohne Verkehr", sagt Siegfried Lenz. Die Steuerung übernimmt dann ohnehin der Autopilot, das ist auch so vorgeschrieben und hat seine Vorteile: "Der Autopilot kann sicherstellen, dass die Maschine drei Stunden lang schnurgerade fliegt." Im Notfall einen Sinkflug einleiten kann er aber nicht, er ist eher ein multidimensionaler Tempomat, erklärt Lenz. "Deswegen muss der Pilot in jeder Situation manuell übernehmen können, das wird gefordert und trainiert."

"Pilotenprekariat" als Sicherheitsproblem

Der Autopilot kann auch eine Landung übernehmen, wenn es sein muss – beim Flug AB-9721von Palma de Mallorca nach München im Mai 2012 musste es sein. Die Crew setzte kurz vor der Landung einen Notruf ab und bat um die Erlaubnis, per Autopilot zu landen. Der Grund: Die Piloten waren übermüdet und sahen sich nicht in der Lage, die Maschine per Hand sicher auf den Boden zu bringen. Immer wieder weisen die Gewerkschaften der Piloten auf die Gefahren hin, die durch zu lange Arbeitszeiten entstehen. Die deutsche Pilotenvereinigung Cockpit führte 2011 dazu eine Umfrage durch, das Ergebnis: Rund ein Drittel der Piloten gab zu, sie seien schon einmal ungewollt am Steuer eingeschlafen, satte 93 Prozent sagten, sie hätten wegen Müdigkeit schon einmal einen Fehler im Cockpit gemacht – und rund jeder Achte hatte deswegen einen "sicherheitskritischen Vorfall" erlebt.

Für die Piloten sind Arbeitstage von elf Stunden mit drei bis vier Einsätzen völlig normal. Bei Langstreckenflügen sitzen sie auch mal zwölf bis vierzehn Stunden im Cockpit. Eine Studie im Auftrag der US-Bundesluftfahrtbehörde kam zum Schluss, dass die Unfallrate nach zehn bis zwölf Stunden rasant ansteigt – um 65 Prozent. Die Regierung zog die Konsequenzen und begrenzte die zulässige Dienstzeit zumindest auf neun bis dreizehn Stunden, je nach Anzahl der Flüge. Die Europäische Flugsicherheitsbehörde EASA kam in einer Studie zu dem Schluss, dass gerade bei Nachtflügen nach zehn Stunden die Grenze der Leistungsfähigkeit erreicht sei – allerdings erlaubt die neue EU-Verordnung noch immer elf Stunden Nachtflugzeit. Für Pilotenvertreter wie Lenz sind die neuen Regelungen, die ab nächstem Jahr in Kraft treten, ein gefährlicher Kompromiss zwischen den Interessen der Piloten und der Airlines: "Das geht nach dem Motto: Wir wissen nicht, ob die Brücke 40 Tonnen trägt, aber wir lassen sie erst mal dafür zu."

Piloten müssen für Ausbildung zahlen

Nicht zuletzt steht dabei die Sicherheit der Reisenden auf dem Spiel. Die sieht Lenz auch durch einen neuen Trend bei der Ausbildung der Piloten gefährdet: Die Kosten der Ausbildung wälzen die Airlines nämlich zunehmend auf die Piloten ab. Bis man die Lizenz in der Hand hält, muss man bis zu 100.000 Euro investieren. Und die wollen bei dem schwierigen Arbeitsmarkt erst einmal wieder hereingeholt werden. "Da bildet sich ein Pilotenprekariat, das ein Sicherheitsrisiko darstellt", sagt Lenz. Noch gibt es Fälle, in denen Piloten ihre Maschine einfach abstellen, wenn sie ihre maximale Flugzeit überschritten haben – so wie vor einem Monat, als ein Flug der Air France von New York nach Paris in Manchester zwischenlandete und das Personal sich weigerte, weiterzufliegen. Doch je prekärer die Arbeitsbedingungen für Piloten, um so höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Sicherheitsbestimmungen unterlaufen werden, fürchtet Lenz: "Diese Leute werden sich überlegen, ob sie aus Sicherheitsgründen eine Maschine lieber stehen lassen oder doch fliegen."

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