Der schwarze US-Amerikaner George Floyd, der bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis getötet wurde, ruft die Diskussion über ein altes Problem wieder auf den Plan: die Polizeigewalt in den USA. Der Politikwissenschaftler Michael Dreyer erklärt, wofür das Problem ein Symptom ist, welche Rolle die Waffenproblematik spielt und wieso Trumps Politik die Situation befeuert.

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Es ist ein Name, der eine alte Diskussion wieder aufflammen lässt: George Floyd. Ein Name von vielen, der einer brutalen Geschichte von Polizeigewalt in den USA ein Gesicht gibt. Eric Garner, Michael Brown, Tamir Rice, Freddie Gray und Alton Sterling – der in Minneapolis getötete Floyd reiht sich in eine lange Liste ein.

Die Tötung durch einen Polizisten ist die sechsthäufigste Todesursache für junge Amerikaner. Wessen Hautfarbe Schwarz ist, für den steigt das Risiko: Schwarze kommen bei Polizeieinsätzen fast dreimal häufiger ums Leben als Weiße. Warum ist das noch immer so?

"Das Problem ist so alt wie die USA selbst, wobei die Polizeigewalt nur das Symptom ist", sagt Politikwissenschaftler Michael Dreyer. Es erwachse aus der Geschichte der Sklaverei und nachfolgender jahrzehntelanger Diskriminierung und Benachteiligung der Afroamerikaner in den USA.

Aus dieser Zeit stamme auch die Furcht vor "schwarzen Gewalttätern". In den 60er Jahren habe mit der Bürgerrechtsbewegung die Hoffnung bestanden, dass sich die Situation ändern würde. "Der Fall Floyd zeigt, dass dies nicht passiert ist. Dass Begegnungen mit der Polizei für Schwarze tödlich enden können, konnte man in den letzten Jahren immer wieder beobachten", so Experte Dreyer.

Blick in die Vergangenheit

Stets seien Gegenbewegungen entstanden und die öffentliche Aufmerksamkeit sei in den letzten Jahren gewachsen. Nachdem Rodney King von Polizeibeamten mit Stockschlägen und Fußtritten brutal niedergeknüppelt worden war, aber alle Polizisten freigesprochen wurden, brachen 1992 in Los Angeles Aufstände aus. "Es besteht gesellschaftlicher Konsens, dass die Gewalt unerträglich und inakzeptabel ist. Doch auch die jüngste Bewegung 'BlackLivesMatter' hat das Problem noch nicht endgültig bekämpft", sagt Dreyer.

Denn nicht nur die Historie erklärt, warum Schwarze schneller verdächtigt, brutaler behandelt und häufiger bei Polizeieinsätzen getötet werden. Im "Deutschlandfunk" nannte der Kulturwissenschaftler Michael Hochgeschwender eine weitere Ursache: die soziale Realität der Minderheiten. Denn die ist von Armut geprägt und erklärt, warum es häufiger Schwarze oder Latinos sind, die sich Jugendgangs oder Banden der organisierten Kriminalität anschließen.

Minderheiten von Armut betroffen

Zahlen belegen das: Während bei den Weißen jeder Dritte einen College-Abschluss macht, sind es laut "Pew Research Center" nur 21 Prozent der Schwarzen. Das schlägt sich auf das Einkommen nieder: Das Durchschnittseinkommen weißer US-Amerikaner liegt mit 67.700 Dollar fast 30.000 Dollar über dem von Schwarzen.

Dreyer macht weitere Ursachen für die Polizeigewalt aus: "Die Gewaltbereitschaft ist in den USA im Vergleich zu Europa generell viel höher, denn die Polizisten fühlen sich im Dienst gefährdeter", analysiert der Experte.

Die Furcht von Polizeibeamten, im Einsatz bewaffneten Bürgern zu begegnen, ist nicht unbegründet – schließlich liegen die USA unter den reichen Industrieländern beim Pro-Kopf-Waffenbesitz auf Platz eins. Während unter 100 Einwohnern in der Zivilbevölkerung in den USA 101 Waffen kursieren, sind es in Deutschland 32, in Großbritannien sogar nur vier. Es überrascht nicht, dass mehr als 99 Prozent der Getöteten eine Schusswaffe bei sich trugen.

Polizei mangelt es an Professionalität

"Wenn sich jemand auffällig verhält, reagieren Beamte deshalb schneller unverhältnismäßig", so Dreyer. Zwar habe es im Jahr 2018 fast 400 Polizeitötungen gegeben – gleichzeitig seien aber auch 150 Polizeibeamte im Dienst gestorben. Wenn es durch striktere Waffengesetze unwahrscheinlicher sei, dass das Gegenüber bewaffnet ist, würden Polizisten vielleicht auch seltener zu Gewalt greifen. "Dass der Appell gehört wird, ist aber mehr als unwahrscheinlich, weil das 'Second Amendment' den Waffenbesitz in den USA schützt", wirft Dreyer ein.

Noch an anderen Stellen muss etwas getan werden: "Es mangelt an flächendeckender Professionalität im Polizeiwesen", sagt Dreyer. Der Großteil der Polizei sei lokal organisiert und werde von der Kommune bezahlt – in Deutschland untersteht die Polizei dem jeweiligen Bundesland. "Dadurch entstehen große Unterschiede in den Arbeitsbedingungen, der Bezahlung und Ausbildung", merkt Dreyer an.

Der Teufelskreis: Gerade die armen Kommunen, in denen die Kriminalität besonders hoch ist, sind gezwungen, am Polizeikorps zu sparen. Wer sich zum Beispiel keine Fußstreifen mehr leisten kann, verliert in der Folge auch schneller den Kontakt zu Bürgern vor Ort. Weil es kein Bundesgesetz gebe und das meiste auf lokaler Ebene entschieden werde, seien Body-Cams auch nur teilweise im Einsatz.

Große Unterschiede in den Kommunen

"In den letzten 20 Jahren hat es in vielen Städten bereits Anstrengungen gegeben, dass die Polizisten mehr aussehen, wie der Rest des Landes", wirft Dreyer ein. Sie sei keine rein weiße Organisation, auch eine Menge "People of Color" gehörten zu den Teams. "Es gibt zwar auch Kommunen mit hervorragender Bezahlung, aber man muss sich die einzelnen Städte sehr konkret und differenziert anschauen", so Dreyer. In den Metropolen – Brennpunkte für Drogenkriminalität – sei das Problem besonders groß. Bei der Betrachtung getöteter Schwarzer im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil stechen besonders die Staaten Kalifornien, Florida und Texas hervor.

"Hier liegen Metropolen wie Los Angeles, Miami und Houston", kommentiert Dreyer. Im Süden der USA komme hinzu, dass dort die Gewaltbereitschaft noch höher sei als im Norden.

"In den Südstaaten ist die tatsächliche Ausübung des Rechtes, Waffen zu tragen, weiter verbreitet als in den Nordstaaten", erklärt Dreyer.

Präsident kein "healer in chief"

Auch die polarisierende Politik von Trump befeuere die gesamte Situation. "Er hat nun in keiner Weise die Rolle des Präsidenten als 'healer in chief' übernommen", urteilt Dreyer. In Zeiten großer Unruhen hätten Präsidenten immer als vereinigender Faktor fungiert – ob Bush nach den Anschlägen am 11. September oder Reagan nach dem Challenger-Absturz.

"Dafür braucht es aber Mitgefühl mit dem Leid anderer Menschen, diese Eigenschaft zeigt Trump sehr wenig", meint Dreyer. Der Präsident kenne nur das Konzept der politischen Spaltung, nicht aber des Ausgleiches. "In Reaktion auf den Mord an Floyd hat er die politische Gelegenheit genutzt, um seine Anhänger an seiner Seite zu versammeln" kritisiert der Wissenschaftler.

Wohlstandsfördernde Politik

Was also schafft Abhilfe? Vollständige Statistiken über Polizeigewalt fehlen, fast immer bleiben Polizeitötungen ohne Anklage. "Neben besserem Training der Polizei nehmen solche Auseinandersetzungen vor allem dann ab, wenn es dem Land gut geht", gibt Dreyer zu Bedenken. Eine Politik, die Wohlstand und Vollbeschäftigung fördere, sei deshalb auch Mittel gegen Polizeigewalt.

Aktuell deutet die Entwicklung vor dem Hintergrund der Coronakrise jedoch in eine andere Richtung: Fast 39 Millionen Amerikaner sind arbeitslos gemeldet.

Über den Experten: Prof. Dr. Michael Dreyer ist Politikwissenschaftler und lehrt an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Ideengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts in Deutschland und den USA, das politische System der USA, Minderheiten und die Theorie der Revolution. Dreyer lehrte im Rahmen einer DAAD-Professur an der Northwestern University im amerikanischen Evanston, Illinois.

Verwendete Quellen:

  • Deutschlandfunk: Ursachen der Polizeigewalt in den USA – Rassismus, Angst und schlechte Ausbildung
  • ZDF.de: Polizeigewalt in den USA: Mehr als Rassismus
  • Stern.de: Polizeigewalt ist eine der häufigsten Todesursachen für junge US-Amerikaner
  • Zeit.de: Wenn die Autoschlösser klicken, weil du Schwarz bist
  • Süddeutsche.de: Amerika, deine Waffen!

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