Erst Stuttgart, dann Frankfurt. Erneut hat es in einer deutschen Großstadt nächtliche Krawalle gegeben. Was ist da los? Wie kommt es zu den Aggressionen und was kann dagegen unternommen werden?
Es ist Sommer, die Nächte sind warm, die Clubs wegen Corona geschlossen. In deutschen Großstädten versammeln sich seit Wochen Tausende vor allem junge Leute auf öffentlichen Plätzen oder in Parks. Es wird getrunken und gefeiert - und plötzlich kippt die Stimmung. Erst in Stuttgart, dann in Frankfurt. Es kommt zu Ausschreitungen und Krawallen. Auch die Polizei wird massiv angegangen. Die Fälle in den beiden Städten ähneln sich, auch wenn sie nicht 1:1 miteinander vergleichbar sind. Dennoch stellen sich erneut die Fragen: Was ist da los? Wie kommt es zu den Aggressionen und was kann dagegen unternommen werden?
"Die Ausschreitungen in Frankfurt und Stuttgart haben einen deutlichen Bezug zur aktuellen Situation", sagte der Bochumer Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes. Diskotheken seien geschlossen, die jungen Leute fühlten sich seit Monaten eingesperrt und suchten nach alternativen Treffpunkten, "wo sie dann als störend empfunden werden". Greift die Polizei ein, werde sie als "Spaßbremse" empfunden. Die Leute solidarisierten sich mit der Gruppe und stellten sich gemeinsam gegen die Polizei. Nachts sei zumeist viel Alkohol oder Drogen im Spiel und "jegliches rationale Denken wird schnell abgeschaltet".
Nächtliche Ausschreitungen in Frankfurt und Stuttgart
Rückblick: In der Nacht zum Sonntag am Frankfurter Opernplatz, dem Party-Hot-Spot in der Corona-Krise. In einer aufgeheizten Stimmung kommt es zu einer Schlägerei. Ein Verletzter liegt am Boden. Nach Angaben der Polizei wollen die Beamten zur Hilfe eilen und werden aus der Menge mit Flaschen attackiert, obwohl sie deeskalierend gehandelt hätten. Mehrere Beamte werden verletzt, Polizeifahrzeuge und eine Bushaltestelle beschädigt. 500 bis 800 Anwesenden hätten gejubelt, wenn eine Flasche die Polizisten getroffen habe. 39 überwiegend junge Menschen im Alter zwischen 17 und 23 Jahren, viele davon mit Migrationshintergrund, werden vorübergehend festgenommen.
In der Krawallnacht vier Wochen zuvor in Stuttgart waren nach Polizeiangaben 400 bis 500 Menschen beteiligt oder hatten zugeschaut. Damals wurden 32 Polizisten verletzt. Zwischenzeitlich wurden 39 Verdächtige ermittelt. Dort haben sich die Polizei, das Land und die Stadt zu einer "Sicherheitspartnerschaft" zusammengeschlossen. Dazu gehört beispielsweise, dass eine spezielle Ermittlungseinheit schwere Gewalttaten bearbeiten und Intensivtäter identifizieren soll. Ausländische Intensivtäter sollen auch ausländerrechtliche Maßnahmen zu spüren bekommen. Von mehr Videoüberwachung erhofft sich Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) auch eine abschreckende Wirkung.
Auch in Frankfurt bemühen sich Stadt und Polizei nach den Ausschreitungen um schnelle Handlungssignale. Mehr Beamte sollen eingesetzt werden. Auch von einem "Zapfenstreich" ist die Rede - so gilt auf dem Opernplatz künftig am Wochenende ab Mitternacht ein Betretungsverbot. Gegen ein Großteil der Tatverdächtigen, der aus anderen Städten nach Frankfurt gekommen war, soll eine Aufenthaltsverbotsverfügungen ausgesprochen werden.
"Verweilverbote" auf öffentlichen Plätzen sollen helfen
In Köln kam es zwar noch nicht zu vergleichbaren Krawallen, dennoch gibt es auch für den dortigen Brüsseler Platz im angesagten Belgischen Viertel ein sogenanntes Verweilverbot. Und die neuste Idee in der Domstadt ist ein sogenannter Pop-up-Biergarten auf einem rund 270 Meter langen gesperrten Straßenabschnitt, der seit dem vergangenen Wochenende getestet wird. Dort passen 450 Leute rein.
Auch die Stadt Frankfurt will auf Gastronomen und Clubbetreiber zugehen, "um im öffentlichen Raum Konzepte zuzulassen." Wie diese aussehen sollen, ist noch unklar. Matthias Morgenstern, Inhaber des Tanzhaus West in Frankfurt und Vorsitzender des Netzwerks "Clubs am Main" hatte kürzlich schon angemahnt, die Partymeilen auf den Straßen seien "ein Folgeproblem der nach wie vor ohne Öffnungsperspektive geschlossenen Clubs". In Frankfurt verteilten sich normalerweise 50 000 Menschen auf die Clubs. "Die sind jetzt woanders, auf der Straße und suchen sich ihre eigenen Freiräume."
Aber was sind die genauen Ursachen für die Krawalle? Annemarie Schmoll vom Deutschen Jugendinstitut in München sagte: "Es gibt eigentlich nie nur einen Grund. Ich denke, dass es multifaktoriell bedingt ist, auch bei diesen jungen Leuten könnte das möglicherweise der Fall sein." Zu einer "gewissen Dynamik und Eskalation" könne die Nachtzeit und Alkoholkonsum sowie die Konstellation als Gruppe beigetragen haben, so die Rechts- und Sozialwissenschaftlerin, die betonte, derartige Vorfälle nicht verharmlosen zu wollen.
Zunehmend negative Stimmung gegenüber der Polizei
Auch Erziehungswissenschaftler Benno Hafeneger spricht von einer "Generation Corona", die im Lockdown mehrere Wochen "eingesperrt" war und jetzt nach außen dränge und ihre aufgestauten Bedürfnisse und ihr Gefühlsleben zeige. Es gebe aber nicht nur die Mehrheit der braven Feiernden, "sondern auch aggressive und gewaltbereite Gruppen, die sich hier ausagieren und die Treffen als Gelegenheit nutzen, zu randalieren, die Polizei anzugreifen, ihren Hass auf "das System" zu zeigen, sagt der emeritierte Professor. Er appelliert auch an die Mehrheit der Partygänger, sich öffentlich von der Gewalt zu distanzieren.
Frankfurts Polizeipräsident Gerhard Bereswill beobachtete eine zunehmende negative Stimmung gegenüber der Polizei. Er glaube, die Situation habe "mit mehreren pauschalen Vorwurfslagen" zu tun, sagte er dem Sender hr-Info. Dazu gehören die Rassismusvorwürfe oder Fälle von Polizeigewalt in die USA die auch die hiesige Stimmung beeinflussten.
Auch Innenminister Horst Seehofer (CSU) beklagte, "der Respekt vor dem staatlichen Gewaltmonopol scheint immer mehr geschrumpft zu sein". Es gebe einen Trend, der davon geprägt sei, Gewalt gegen Polizeibeamte auszuüben - und dafür von umstehenden Passanten noch angefeuert zu werden, sagte er dem "Münchner Merkur". Die Corona-Schließungen und die Verlagerung des Nachtlebens sind für ihn keine Entschuldigung. "Es gibt viele Faktoren, dieser gehört sicher auch dazu. All das ist aber keine Rechtfertigung für diese erschreckende Gewalt."
Kriminologe Feltes betonte derweil, dass die Jugendgewalt in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen sei. Die Vorfälle in Stuttgart und Frankfurt seien Ausnahmesituationen, "die man nicht überbewerten, allerdings auch nicht unterschätzen sollte". (dpa/fra)
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