Wie kann es sein, dass aus armen Kriegsflüchtlingen erst kriminelle Clans und dann kriminelle Familienunternehmen werden? Die ARD sendet eine Doku mit spannenden Einblicken, harten Urteilen – aber auch einigen Leerstellen.
Die Behörden wussten, dass da was aus dem Ruder läuft. Allerspätestens seit 2004. Die Zerschlagung krimineller Strukturen in Clans werde "nur noch in Teilen" möglich sein, hieß es da in einem internen Bericht zu "ethnisch abgeschlossenen Subkulturen".
Heute wissen wir: Politik und Sicherheitsbehörden haben nicht die richtigen Schlüsse gezogen – wozu das geführt hat, zeigte am Montagabend die ARD-Dokumentation "Beuteland – Die Millionengeschäfte krimineller Clans".
Diebstahl der Goldmünze von Clans begangen
Im Boulevard sorgen meist arabischstämmige Clans seit Jahren für Schlagzeilen, vor allem mit aufsehenerregenden Verbrechen wie dem Diebstahl der Goldmünze "Big Maple Leaf" aus dem Berliner Bode-Museum im März 2017.
Doch wie die Autoren Olaf Sundermeyer und René Althammer in ihrem Film zeigen, basiert die Stärke der Remmos, Miris und al-Zeins vor allem auf Schwächen in der deutschen Gesetzgebung - so war es lange viel zu einfach, Geld aus illegalen Geschäften reinzuwaschen. So konnten sie sich weiterentwickeln, zu "kriminellen Wirtschaftsunternehmen", wie es Sebastian Fiedler vom Bund Deutscher Kriminalbeamter ausdrückt.
Doch seit einiger Zeit zeigt der deutsche Staat Härte, zieht Immobilien ein, setzt die Clans mit Razzien unter Druck. Wer die 60-Minuten-Doku am Montagabend verfolgt, bekommt den Eindruck: Das kommt viel zu spät - und hoffentlich noch rechtzeitig, um die neue Welle von kriminellen Großfamilien zu stoppen.
BKA-Präsident: "Wir dürfen das nicht laufen lassen"
Offenbar organisieren sich auch Migranten aus Syrien und dem Irak in Familienzusammenhängen, schon ein Drittel der Tatverdächtigen in den einschlägigen Verfahren sind Zuwanderer. Teilweise liefern sie sich schon Gebietskämpfe mit den "Alteingesessenen", die Doku zeigt Bilder einer Straßenschlacht aus Peine 2017.
"Wir dürfen das nicht einfach laufen lassen", sagt der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch: "Das ist die Lehre, die wir aus den letzten 30 Jahren ziehen müssen."
In diesen 30 Jahren haben einige Clans mächtig viel Geld gemacht mit allem, was das StGB so bietet: Schutzgelderpressung, Drogenhandel, Raub. Mit der Beute haben sie legale Geschäfte erworben, Restaurants, Shisha-Bars, oft auch Immobilien.
Die Autoren schildern, wie ganz gezielt Zwangsversteigerungen genutzt werden. Die Kriminellen drängen dabei offenbar systematisch potenzielle Mitbieter aus den Verfahren, erst mit kleineren Geldsummen, dann mit Gewaltandrohungen.
Für Clans herrscht das Recht des Stärkeren
Der Remmo-Clan hat unter anderem eine ganze Kleingartenkolonie in Berlin gekauft, auf den Namen einer Frau, die im Libanon lebt. Die Autoren wollten sie in Beirut aufspüren, sie fanden nur Strohmänner – und einen Mann, der sein Büro in einem Haus der Remmos hat. Er sprach mit den deutschen Journalisten, einen Tag später wurde er verprügelt.
Die Szene beweist deutlich: Für die Clans herrscht das Gesetz der Straße, das Recht des Stärkeren. Aber es bleibt nur ein anekdotischer Beweis unter vielen, die "Beuteland" atemlos nebeneinanderstellt.
Wenn es an die Fakten geht, schwächelt die Dokumentation. Wie viele Menschen überhaupt in Deutschland als Berufskriminelle in familiären Zusammenhängen agieren, was die Clans genau von Gruppen ohne Blutsverwandschaft, aber mit ähnlicher Struktur unterscheidet, wie viele Straftaten sie genau in welchen Bereichen begehen, welcher Schaden entsteht, all das bleibt vage – was auch daran liegt, dass Polizei und Justiz sich gerade erst ein genaueres Bild machen.
Teilweise wird man aber auch das Gefühl nicht los, dass die Autoren bewusst dass große Bild im Dunkeln lassen, um sich ungestört auf arabische Großfamilien fokussieren zu können. Das BKA etwa führt arabische Gruppen im Bereich Organisierte Kriminalität erst auf Rang 9. Die meisten ausländisch geprägten Gruppen sind türkisch beherrscht, gefolgt von polnischen und albanischen.
Das große Geschäft mit Shisha-Tabak
Sundermeyer und Althammer hetzen in ihrer Dokumentation derweil von Hotspot zu Hotspot: Eben noch in Beirut, dann kurz auf ein Straßencafé in Duisburg-Marxloh geschwenkt, in dem angeblich "unter den Augen der Polizei" krumme Deals abgewickelt werden, schon geht es weiter nach Essen, wo Beamte verstärkt Shisha-Bars mit Razzien überziehen.
Oft finden sie dabei unversteuerten Tabak, eine der größten Einnahmequellen der Clans. Im Sommer 2018 entdeckte der Zoll am Stadtrand von Solingen eine illegale Tabakfabrik, insgesamt wurden im Zuge der Ermittlungen 2,3 Tonnen Wasserpfeifentabak, 550 Kilogramm Rohtabak, 22.700 Euro in bar und fünf Autos der Luxusklasse eingezogen. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt insgesamt zwölf Mitglieder einer polizeibekannten Großfamilie der Steuerhinterziehung.
Dieser Fall lässt sich klar der Clankriminalität zuordnen, schwieriger wird es beim Callcenter-Betrug, den eine Betroffene sehr ausführlich schildert – ein Anrufer hat sich als Mitarbeiter von Interpol ausgegeben und die alte Dame um 35.000 Euro erleichtert.
Die Verbindung zum Thema des Films: Ein Angehöriger des Miri-Clans gilt als Erfinder der Masche, er soll in der Türkei untergetaucht sein. Derselbe Mann soll angeblich auch in einem Gangster-Musikvideo mitwirken, das Sundermeyer und Althammer mit einem boulevardesken Kommentar unterlegen: "Die Betrüger sind nicht nur dreist, sondern scheinen sich auch vor deutschen Ermittlern sicher zu fühlen."
Es folgen Bilder einer arabischen Hochzeit mit Protzlimousinen und ein Interview-Ausschnitt mit einem Mitglied des Miri-Clans, der darüber schwadroniert, ein Mann müsse alles tun, um Frau und Kinder zu versorgen. Informationen vermitteln diese Szenen kaum, dafür eine Menge Emotionen: Was lassen "wir" uns von "denen" bieten? Diese Frage schwingt immer mit, auch in "Beuteland".
Abschottung oder versäumte Integration?
Sundermeyer und Althammer sind allerdings zu klug, um ihren Zuschauern nicht zu erklären, welchen Beitrag der deutsche Staat selbst zum Problem geleistet hat: Als im libanesischen Bürgerkrieg Tausende in die BRD flüchten, gewährt ihnen der Staat kein Asyl, sie werden nur geduldet, dürfen nicht arbeiten, die Kinder in den ersten Jahren nicht einmal in die Schule gehen.
Die Autoren graben Archivmaterial aus den 80ern aus: Die "Abendschau" ging mit Polizisten auf Streife, die libanesische Drogenhändler an der Potsdamer Straße hochnehmen.
Noch heute begründet Familienpatriarch Jamal el-Zein mit der versäumten Integration, warum so viele sich in die Kriminalität begeben haben: "Was machst Du, wenn Du essen willst? Dann klaue ich etwas und haue ab. Das ist die Geschichte unseres Lebens."
"Sie haben sich abgeschottet, so wie sie es kannten, und haben den Rechtsstaat nicht anerkannt", hält Sebastian Fiedler vom Bund deutscher Kriminalbeamter dagegen.
Warum der Staat so lange nichts getan hat? "Es war politisch nicht opportun, sich ausgerechnet ein Kriminalitätsphänomen vorzunehmen, wo es sich um migrantische Familienstrukturen handelt." Warum das so sein sollte, lässt der Film unbeantwortet – eine Leerstelle von vielen.
Immerhin holt der Staat jetzt nach, was er so lange versäumt hat. Neben den Razzien versucht er die Clans dort zu treffen, wo es wirklich weh tut: beim Geld. Einen Präzedenzfall versucht Berlin zu schaffen, dort wurden Immobilien der Familie Remmo im Wert von fast zehn Millionen Euro vorerst eingezogen.
Das Land handelt auf Grundlage des neuen Gesetzes zur Vermögensabschöpfung. Die Remmos müssen beweisen, dass sie die Immobilien mit legalen Geldern bezahlt haben. "Beschlagnahmungen und schärfere Gesetze – zumindest ein Anfang", bilanzieren die Filmautoren am Ende von "Beuteland". Vielleicht lässt sich der interne Polizeibericht von 2004 doch noch widerlegen.
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