- Die Angst vor der zweiten Coronavirus-Welle war groß.
- Zurecht, wie an der nach wie vor hohen Zahl der Neuinfektionen jeden Tag zu sehen ist.
- Es gibt zwar Verbesserungen zur ersten Zeit, dennoch sinken die Fallzahlen nicht - warum?
Als das Robert-Koch-Institut (RKI) Anfang April dieses Jahres einen Höchststand von knapp 6.554 Coronavirus-Neuinfektionen vermeldete, ging bei vielen Menschen die Sorge um: Würde unser Gesundheitssystem mit solchen Zahlen auch auf längere Sicht umgehen können?
Mittlerweile zeigt sich: Es kann sogar mit noch höheren Infektionszahlen umgehen - wenn auch unter größter Anstrengung aller Beteiligten. Dass es geht, liegt auch daran, dass Krankenhäuser, Ärzte und die Politik aus der ersten Welle viel gelernt haben.
Erkrankte können besser behandelt werden
Auch wenn intensiv geforscht wird und die Hoffnungen groß sind: Im Moment gibt es noch kein gezieltes COVID-19-Medikament. Das liegt auch daran, dass COVID-19, wie man mittlerweile weiß, mehrere Organe in Mitleidenschaft zieht und keine reine Lungenkrankheit ist.
Es gibt jedoch ein paar Medikamente, die bei der Behandlung der Krankheit mitunter gut helfen, etwa Remdesivir und Dexamethason. Ihre Wirksamkeit wird inzwischen zumindest teilweise durch Studien belegt.
Bei schweren Verläufen ist eine gute Behandlung auch eine Frage der verfügbaren Krankenhausbetten. Da rund sechs Prozent der Menschen, die an COVID-19 erkranken, stationär behandelt werden müssen, wurde im Sommer ein Förderprogramm für die Krankenhäuser aufgelegt.
Dabei stellten Bund und Länder Geld bereit für mehr Intensivbetten mit Beatmungsplätzen und für eine Modernisierung der bestehenden. "Wir haben rund 28.000 Intensivbetten aktiv zur Verfügung plus einer Reserve von rund 11.000, die binnen sieben Tagen einsetzbar wäre", sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Georg Baum, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Aktuell sind laut DIVI-Intensivregister von den rund 28.000 verfügbaren Betten rund 5.700 frei, das entspricht etwa 26 Prozent. "Im Moment ist das Lastniveau unter massivstem Einsatz medizinisch noch gut zu erfüllen", sagt Baum.
"Allerdings ist es wichtig, dass die Welle der Neuinfektionen gebrochen wird und es kein exponentielles Wachstum mehr gibt." Denn: Je größer der Anteil der COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen wird, desto knapper werden die Ressourcen.
Mehr Schutzkleidung vorhanden
COVID-19-Patienten sind aufwendiger zu betreuen als andere Intensivpatienten. Allein dadurch, dass Ärzte und Pfleger immer wieder Schutzkleidung an- und ablegen müssen.
Diese Schutzkleidung, also zum Beispiel OP- und andere Schutzmasken, Handschuhe, aber auch Desinfektionsmittel waren zu Beginn der Pandemie zeitweilig schwer zu bekommen. Da weltweit die Produktion hochgefahren wurde und somit auch in Deutschland und Europa, was die Lieferwege verkürzt, ist die Lage hier deutlich besser als noch vor einigen Monaten.
Infizierte und Nicht-Infizierte werden besser voneinander getrennt
Das gilt auch für die Hygienepläne in Arztpraxen und Krankenhäusern, die zu Beginn der Pandemie entwickelt und jetzt einigermaßen eingespielt sein dürften. Diese Pläne dienen unter anderem dazu Patienten, die sich mit dem Virus infiziert haben, von anderen Patienten zu trennen. In den Praxen wurden teilweise extra Wartezimmer eingerichtet, auch die Einrichtung von mehreren hundert Test- und Behandlungszentren hat hier zu einer Entzerrung beigetragen.
Ansteckungen können nicht ausgeschlossen werden, allerdings gehören Arztpraxen und Krankenhäuser nicht zu den Orten, die vom RKI regelmäßig als die häufigsten Ansteckungsorte genannt werden. Das sind nach wie vor die privaten Haushalte, Alten- und Pflegeheime, Schulen und andere Gemeinschaftseinrichtungen.
Allerdings werden im aktuellen Lagebericht auch Krankenhäuser als Orte "kleinerer Ausbrüche" genannt - neben dem Arbeitsplatz und religiösen Veranstaltungen. Generell ist es nach wie vor so, dass bei den meisten Ausbrüchen der Ausgangspunkt gar nicht mehr festgestellt werden kann.
Gezieltere Diagnose
Was das Wissen über das Virus SARS-CoV-2 und die Erkrankung COVID-19 angeht, sind Wissenschaftler und Ärzte jetzt, im Herbst, sehr viel besser aufgestellt als noch im Frühjahr. Die Symptome sind besser bekannt, es gibt sogar eines, das sehr typisch für die das ansonsten sehr diffuse Krankheitsbild von COVID-19 ist: der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn.
Um festzustellen, ob jemand sich mit dem Virus infiziert hat oder nicht, sind zudem zuverlässige Tests entwickelt worden. Als Standard gilt hier der PCR-Test, wobei PCR für Polymerase-Kettenreaktion steht. Über das Jahr stieg die Zahl der Tests kontinuierlich an, etwa von rund 380.000 Tests Mitte Juni auf rund 1,3 Millionen Mitte November.
Doch obwohl auch die Laborkapazitäten erhöht wurden und theoretisch jede Woche 1,7 bis 2,1 Millionen Tests gemacht werden könnten, kommt es zu Verzögerungen bei den Auswertungen. Teilweise müssen Getestete mehrere Tage auf ein Ergebnis warten. Laut RKI liegt das zum Teil daran, dass Arbeitsmaterial fehlt und im Herbst nun auch mehr Labormitarbeiterinnen und -mitarbeiter selbst krank werden.
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Bessere Verteilung von Patienten
Dass Personal fehlt, gilt in der Pandemie für viele Bereiche: die Labore, die Gesundheitsämter und in Krankenhäusern vor allem für das Pflegepersonal. Zwar gebe es für die aktiven Intensivplätze, also die rund 28.000 Betten, die sofort zur Verfügung stehen, auch das erforderliche Personal, sagt DKG-Hauptgeschäftsführer Baum. Jedoch sei nicht ausgeschlossen, dass es an einigen Orten zu Engpässen komme.
Hier gibt es Baum zufolge aber eine gute Zusammenarbeit zwischen den Krankenhäusern. Patienten würden zur Not verlegt, auch beim Personal gebe es Austausch.
Dass es hier aber auch noch Potenzial für Verbesserungen gibt, legt ein Papier des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) nahe, das die Abläufe bisher als "unstruktriert" bezeichnet und die Verfügbarkeit von Pflegekräften in vielen Krankenhäusern als "kritisch" einstuft. Die Vereinigungen schlagen ein Vier-Stufen-Warnsystem vor, das rechtzeitig vor einer Überlastung einer Einrichtung warnt und Patienten frühzeitig so verteilt, dass es nicht zu einer Überlastung einzelner Einrichtungen kommt.
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Fallzahlen sinken nicht
Ein Problem, das Deutschland zudem beschäftigt, ist die kontinuierlich hohe Zahl an Neuinfektionen. Diese geht trotz des seit Anfang November geltenden Lockdowns light kaum zurück.
Das Problem: der Lockdown light. "Ohne konsequente Maßnahmen sinken die Fallzahlen nicht", sagte kürzlich Viola Priesemann, Forscherin am Max-Planck-Institut, gegenüber der "Augsburger Allgemeine". Der Lockdown im März schränkte die Menschen zwar deutlich stärker ein, zeigte aber auch bessere Wirkung: Die Fallzahlen sanken.
Nun steht das öffentliche Leben zwar wieder weitestgehend still, doch haben etwa die Geschäfte noch offen. Im Einzelhandel kann es "unentdeckte Infektionsquellen geben", versucht Martin Stürmer, Virologe und Leiter beim IMD Labor Frankfurt/Main, die weiter hohen Fallzahlen gegenüber der "Bild" zu erklären.
Als mögliche Ursache, warum die beschlossenen Maßnahmen nicht greifen, sieht er auch den öffentlichen Nahverkehr. "Möglicherweise ist die Taktung zu eng, sodass Menschen keinen Abstand halten können", so Stürmer.
Als Infektionsherde macht die Politik auch Schulen und private Feiern aus. Zu Letzterem sagte Stürmer: "Das kann man nicht kontrollieren, wir können nur auf die Vernunft und Rücksichtnahme der Menschen hoffen."
Nun sei es erneut notwendig, den Reproduktionswert zu drücken, erklärte indes Priesemann weiter. Denn liegt der Wert über 1,0, steckt jeder Infizierter durchschnittlich einen Menschen ein, doch liegt er darunter, wird das Virus eingedämmt.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit dem Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Georg Baum
- Robert-Koch-Institut
- S2k-Leitlinie - Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19 der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)
- Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI)
- Whitepaper "Management des Pandemiegeschehens" der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
- Konzeptvorschlag für die Verteilung von COVID-19-Patienten des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI)
- "augsburger-allgemeine.de": Warum gehen die Corona-Zahlen nicht zurück?
- "bild.de": Warum sinken die Infektionszahlen nicht?
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