Drogenabhängige gehören zu den besonders von Corona betroffenen Risikogruppen, weil sie anfälliger für Infektionen sind. Zur höheren Gefährdung kommt hinzu, dass Suchthilfeeinrichtungen wegen der Krise ihre Hilfsangebote zurückfahren mussten. Doch die Mitarbeiter kämpfen aufopferungsvoll.

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"Unsere Klientel steht massiv unter Druck", sagt Rüdiger Krause. Der Sozialpädagoge und Suchttherapeut leitet die Fachambulanz für substitutionsgestützte Behandlung bei der Caritas in München.

Er und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versorgen Drogenabhängige mit Ersatzmitteln, die deren Sucht unter Kontrolle halten sollen. Doch das ist zurzeit nicht einfach.

Denn viele Hilfs- und Beratungsstellen haben in Zeiten der Coronakrise ihr Angebot heruntergefahren: "Überwiegend halten die Berater nur noch telefonischen Kontakt zu ihrer Klientel", sagt Krause.

Das trifft Drogenabhängige besonders hart, weil viele von ihnen psychische Vorerkrankungen haben: Sie leiden beispielsweise unter Depressionen, Psychosen, Angst- und Panikstörungen.

Außerdem lebten viele Abhängige schon vor der Corona-Pandemie in großer sozialer Isolation - ihre Kontakte beschränken sich oft auf andere Süchtige und Dealer. Wenn diese wegen der derzeitigen Kontaktbeschränkungen wegfallen, wird der Suchtberater schnell zum einzigen Ansprechpartner.

Dazu kommen oft körperliche Vorbelastungen: Unter Drogenabhängigen sind Krankheiten wie Aids und Hepatitis C, Asthma und chronische Lungenerkrankungen weit verbreitet, viele sind starke Raucher. Man könne bei ihnen allgemein von einem "deutlich geschwächten Immunsystem" sprechen, sagt Krause. Dazu kommen weitere Erschwernisse wie die Obdachlosigkeit vieler Drogenkonsumenten.

80.000 Menschen brauchen Drogen-Ersatzstoffe

Wird also wegen Corona die Zahl der Drogentoten steigen? Darüber gibt es derzeit noch keine Zahlen, doch die Befürchtung sei nicht von der Hand zu weisen, meint Esther Neumeier, Leiterin der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht.

Zumal es aus einzelnen Städten Berichte gebe, "dass der Stoff auf den Straßen schlechter wird" - eine weitere Gefahr für die Konsumenten, seit geschlossene Grenzen die Handelswege der Drogen behindern und Ausgangsbeschränkungen gelten.

Schon im vergangenen Jahr war die Zahl der Drogenopfer in Deutschland auf 1.398 gestiegen - um knapp zehn Prozent im Vergleich zu 2018. Woran das liegt, lässt sich im Detail nicht klären. Klar ist aber, dass ein weiteres Ansteigen der Zahlen nur mit funktionierender Drogensubstitution verhindert werden kann.

Fast 80.000 Menschen, die von Opioiden wie etwa Heroin abhängig sind, bekommen in Deutschland regelmäßig Ersatzstoffe. Wenn dieses System ausfalle, so Neumeier, "dann hätten wir ein riesiges Problem und müssten ansteigende Todeszahlen befürchten".

Schon im März hatte die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig gewarnt, Deutschland brauche eine "noch flächendeckendere Substitutionsversorgung". Die Coronakrise erfordere "einen gemeinsamen Kraftakt von Bund, Ländern, Kommunen, Suchthilfe, Krankenkassen und Ärzten" - es gehe darum, Leben zu retten.

Der Appell scheint angekommen zu sein. So haben die Versicherer einen Beschluss rückgängig gemacht, nach dem sie ursprünglich für die Dauer der Coronakrise keine Rehamaßnahmen mehr beginnen wollten. Und Esther Neumeier berichtet, dass manche Kommunen Schritte einleiten, um die Substitution weiterhin sicherzustellen und sie beispielsweise auch für Menschen ohne Krankenversicherung kurzfristig zu ermöglichen.

Außerdem werde die ohnehin vorgesehene Möglichkeit, das Substitutionsmittel für eine begrenzte Zeit mit nach Hause zu nehmen, in der Krise mehr genutzt.

Vermehrt psychische Krisen

Doch Substitutionsmittel allein reichen nicht aus - gefordert sind die Berater vor Ort. Weil ihre Klienten vermehrt in psychische Krisen geraten, da die soziale Isolation in manchen Fällen zu erhöhtem Drogenkonsum und zur Gefahr von tödlichen Überdosierungen führt, weil immer öfter auch Suizid­ge­danken geäußert werden, wollen Rüdiger Krauses Mitarbeiter nicht mehr auf persönliche Vor-Ort-Kontakte verzichten.

Abhängige, die sich bisher dem persönlichen Kontakt ent­zo­gen hätten, "hängen jetzt locker mal eine volle Stunde in der Leitung", berichtet Krause; dabei werde "teilweise fast um Unterstützung gebettelt".

Während Esther Neumeier von manchen Beratungsstellen Berichte über Probleme bei der Beschaffung von Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln vorliegen, fühlen sich die Münchner Caritas-Mitarbeiter ausreichend ausgestattet. Sie trafen daher - bei allem persönlichen Risiko - in der vergangenen Woche den einstimmigen Beschluss: "Wir werden die persönliche Betreuung trotz des Infektionsrisikos wieder ausweiten."

Denn laut Neumeier machen sich die Mitarbeiter "viel mehr Sorgen um ihre Klienten als um sich selbst". Natürlich täten Träger und Teamleitungen aber alles dafür, "Ihre Mitarbeiter zu schützen und auch nach anderen Wegen der Betreuung suchen".

Drogenkonsum oft Folge anderer Probleme

Die allermeisten Drogenkonsumenten, so Neumeier, seien "extrem dankbar für die Betreuung" - einzelne Fälle ausgenommen, "aber in keinem helfenden Beruf schlägt einem immer nur Dankbarkeit entgegen - egal ob im Altersheim, im Krankenhaus oder in einer Beratungsstelle".

Rüdiger Krause hat großen Respekt für das aufopfernde Engagement seiner Mitarbeiter und möchte mit dem Vorurteil aufräumen, Drogenkonsumenten seien doch "selbst schuld" an ihren Pro­blemen: "Viele haben mit dem Drogenkonsum in einem Alter begonnen, als sie die Folgen noch gar nicht überblicken konnten. Oft gab es schon vorher psychische Erkrankungen. Und sehr viele haben in der Kindheit traumatische Gewalterfahrungen erlitten."

Die Suchterkrankung, so Krause, sei meist eine Sekundärerkrankung als Folgeerscheinung anderer Probleme. Dass die Situation der Betroffenen jetzt auch noch durch Corona weiter beeinträchtigt werde, dass gar steigende Todeszahlen zu befürchten sein könnten, wollen er und sein Team nicht hinnehmen.

Über die Gesprächspartner:
Die Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Esther Neumeier arbeitet am Münchner Institut für Therapieforschung (IFT) und leitet dort die Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD).
Rüdiger Krause ist Diplom-Sozialpädagoge und Suchttherapeut (M.Sc) und leitet die Fachambulanz für substitutionsgestützte Behandlung der Caritas München.

Verwendete Quellen:

  • Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht: Neueste Informationen der EMCDDA über die Auswirkungen von COVID-19 auf Drogenkonsumierende und die Drogenhilfe
  • Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung: 1.398 Menschen an illegalen Drogen gestorben. Pressemitteilung vom 24.3.2020
  • Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung: Suchtrehabilitation bleibt trotz Corona bestehen. Pressemitteilung vom 31.3.2020
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