• Bund und Länder haben sich nach harten Verhandlungen auf einen neuen Fahrplan in der Coronakrise geeignet.
  • Teil des neuen Plans sind auch umfassende Lockerungen unter bestimmten Voraussetzungen.
  • Diese Lockerungen gehen manchen zu weit. Anderen sind sie jedoch nicht locker genug.
  • Die wichtigsten Reaktionen auf die neuen Beschlüsse von Bund und Ländern.

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Es war ein zähes Ringen um die neuen Beschlüsse im Kampf gegen die Coronapandemie. Erst gegen Mitternacht konnten Bundeskanzlerin Angela Merkel, sowie Michael Müller und Markus Söder vor die Presse treten. Vereinbart wurden eine neue Teststrategie und stufenweise Öffnungen mit eingebauter Notbremse.

Doch so richtig zufrieden zeigt sich mit den neuen Beschlüssen kaum jemand.

Der deutsche Landkreistag beispielsweise begrüßt die Beschlüsse des Corona-Gipfels, kritisiert den Kriterienkatalog für Öffnungen aber als zu kompliziert. "Die beschlossene Öffnungsmatrix ist sehr schwer verständlich. Das ist nicht gut in Anbetracht dessen, dass wir auf das Mitmachen der Bevölkerung und der Wirtschaft nach wie vor angewiesen sind", sagte Landkreistag-Präsident Reinhard Sager dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Donnerstag).

In eine ähnliche Kerbe schlägt Linkenfraktionschef Dietmar Bartsch. In den Zeitungen der Funke Mediengruppe sprach er von einem "Corona-Irrgarten" und von "Inzidenz- und Lockerungswirrwarr". Dies werde "die Bürger und Bürgerinnen weiter verunsichern". Dagegen habe "das Schlüsselthema des zügigen Impfens" eine zu geringe Rolle gespielt, sagte Bartsch weiter.

Kritik aus Wirtschaft und Politik

Der Deutsche Tourismusverband (DTV) kritisiert die Beschlüsse als "enttäuschend und nicht akzeptabel". Man brauche unverzüglich konkrete Vorschläge, unter welchen Bedingungen eine Öffnung für touristische Betriebe erfolgen könne, sagte DTV-Präsident Reinhard Meyer.

Ähnlich enttäuscht zeigt sich der Handelsverband HDE. Die Ergebnisse des Corona-Gipfels seien eine "Katastrophe" für den Einzelhandel.

Auch verschiedenen Politikern gehen die angekündigten Lockerungen noch nicht weit genug.

"Kein vernünftiges Schnelltestmanagement, kein Impfmanagement, keine Alternative zur einfältigen Schließung ganzer Branchen - nach über einem Jahr Pandemie. Mit dieser Politik schadet diese Bundesregierung dem Ansehen Deutschlands in der Welt massiv", erklärt beispielsweise der stellvertretende FDP-Chef Wolfang Kubicki der "Rheinischen Post". "Es ist ein Teufelskreis: Je länger dieser Lockdown anhält, umso deutlicher wird die Unfähigkeit dieser Regierung. Zugleich verlängert diese Unfähigkeit den Lockdown", sagte der Bundestagsvizepräsident weiter.

Und auch Kubickis Parteikollege, FDP-Chef Christian Lindner, gehen die Beschlüsse noch nicht weit genug. "Für die Bundesregierung bleibt offenbar der Lockdown das einzig denkbare Rezept", sagte er der Funke Mediengruppe. "Dabei wäre mit innovativen Konzepten mehr gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben möglich." Das beschlossene Angebot von einem Schnelltest pro Woche für alle kritisierte Lindner als "zu wenig".

Alice Weidel von der AfD nannte die Beschlüsse einen "Hohn für die Bürger, die zunehmend genug haben von der plan- und nutzlosen Lockdown-Politik der Bundesregierung und der Länder". Für die meisten Betriebe in Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungsgewerbe bedeuteten die Beschlüsse weitere Wochen der Unsicherheit.

Lauterbach sieht die dritte Welle kommen

Doch es gibt auch vermehrt Stimmen, denen die Lockerungspläne zu weit gehen. So zeigte sich beispielsweise Grünen-Chef Robert Habeck enttäuscht von den Beschlüssen. "Als Bürger fühlt man sich im Stich gelassen", sagt er im Deutschlandfunk. "Es wird auf Hoffnung gesetzt, das ist aber keine Strategie", kritisiert Habeck. "Wir sind am Beginn einer dritten Welle und reden über Öffnung, statt über Impfen und Tests zu reden." Es müsse erst getestet werden, dann könne es Öffnungen geben. Auch Grünen-Chefin Annalena Baerbock ist unzufrieden. Es sei zu lange auf Sicht gefahren worden, es gäbe keinen klaren Hauptverantwortlichen und das zeige sich besonders dramatisch bei Schulen und Kindern, erklärte sie im Morgenmagazin von ARD und ZDF.

Auch SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach sieht die Lockerungen mehr als kritisch. Für gut befindet er, dass die Impfintervalle gestreckt werden, und Astra-Zeneca künftig auch für Ältere verimpft werden soll. Auch die Möglichkeit für kostenlose Schnelltests begrüßt Lauterbach.

Dennoch sei er sehr besorgt, schreibt er bei Twitter: "Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass mit diesem Beschluss die 3. Welle langsam anläuft. Es kann sogar sein, dass das Terminshopping und Aussengastro kurz anläuft. Aber spätestens Anfang April liegt die Inzidenz über 100 und das Intermezzo ist beendet."

Wichtig sei die Notbremse bei einer Inzidenz von 100. "Wenn diese erreicht sein wird, spätestens Anfang April, muss man neu aufsetzen mit den dann hoffentlich vorhandenen Antigen Selbsttests. Der Weg bis dahin kostet viele Covidfälle und bringt auch der Wirtschaft wahrscheinlich wenig", glaubt Lauterbach.

Mit Galgenhumor kommentiert Karikaturist Ralph Ruthe die neuen Beschlüsse. Doch auch bei ihm überwiegt ganz offensichtlich die Sorge darüber, dass die Lockerungen deutlich zu früh kommen könnten.

Spahn verteidigt die Beschlüsse

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat derweil die neuen Beschlüsse verteidigt, jedoch auch bei möglichen nächsten Öffnungen in der Corona-Krise zu notwendiger Vorsicht gemahnt. Niemand wolle Einschränkungen einen Tag länger als nötig, sagte der CDU-Politiker am Donnerstag im Bundestag. Doch die Pandemie sei "noch nicht am Ende", wie die Infektionszahlen, die Lage auf den Intensivstationen und ein Blick in europäische Nachbarländer zeigten. Bei den neuen Beschlüssen sei vor allem um eine schwierige Balance zwischen dem Bedürfnis nach Normalität und der Kontrolle über die Pandemie gerungen worden. (dpa/afp/ska)

Corona, Schlumpf, Geld: Heftiger Streit von Söder und Scholz

Kurz vor dem Ende der Beratungen von Bund und Ländern zur weitere Corona-Strategie sind Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) heftig aneinandergeraten. Fotocredit: picture alliance/dpa


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