• Wir Menschen sind echte Gewohnheitstiere – doch nicht alle unsere Gewohnheiten sind gut für uns.
  • Schlechte Angewohnheiten loszuwerden, ist eine Herausforderung. Wie schwer es uns fällt, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
  • Ein Psychotherapeut gibt Tipps, wie sich schlechte Angewohnheiten ablegen und durch neue Verhaltensmuster ersetzen lassen.

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Rauchen und Alkohol schaden unserer Gesundheit. Zu wenig Bewegung auch. Wir wissen das – und trotzdem wird immer noch geraucht, getrunken und der Aufzug der Treppe vorgezogen. Schlechte Angewohnheiten abzulegen, fällt uns schwer. Unser Gehirn liebt Gewohnheiten – denn ohne sie wären wir im Alltag überfordert. "Die Wissenschaft geht davon aus, dass 50 bis 95 Prozent unseres Lebens auf individuellen Gewohnheiten basiert", sagt Psychotherapeut Philipp Lioznov. "Immer alles bewusst neu zu analysieren, wäre sehr anstrengend für uns. Wir sparen durch Gewohnheiten Energie."

Gewohnheiten sind also zunächst einmal etwas Gutes. Sie entstehen in einem Lernprozess: Von Kindheit an probieren wir Dinge aus. Haben wir damit Erfolg oder gibt es uns ein gutes Gefühl, wiederholen wir die Tätigkeit – so wird sie zur Gewohnheit. Doch wir gewöhnen uns eben nicht nur nützliche Dinge an – und das kann für unsere Gesundheit zum Problem werden.

Neue Gewohnheiten zu etablieren dauert 14 bis 250 Tage

Wie schwer es uns fällt, schlechte Gewohnheiten abzulegen, hänge dabei von verschiedenen individuellen Faktoren ab. Etwa, wie stark eine Angewohnheit ausgeprägt ist und wie lange man sie schon hat. "Je länger Sie eine Angewohnheit haben, desto schwerer ist es, sie wieder loszuwerden oder ein neues Verhalten zu erlernen", sagt der Psychotherapeut. Wer also seit 40 Jahren raucht, wird sich schwerer tun als jemand, der seit zwei Wochen exzessiv Kaffee trinkt. "Wir brauchen ungefähr 14 bis 250 Tage, um eine neue Gewohnheit zu etablieren", sagt Lioznov. Neben dem Willen braucht es also mitunter viel Geduld, um das Verhalten zu ändern.

Auch wie negativ wir schlechte Angewohnheiten bewerten, hat laut Philipp Lioznov Einfluss darauf, wie leicht oder schwer es uns fällt. Halten wir unsere Angewohnheit für etwas Schlimmes, steigt unsere Motivation. Der Psychotherapeut rät jedoch, sich nicht zu sehr für seine Laster zu verurteilen. "Sehen Sie die schlechte Angewohnheit nicht als Makel, das ist schlecht für die Psyche." Entscheidend ist demnach nicht, dass Sie eine schlechte Angewohnheit haben – sondern dass Sie diese ablegen und etwas an sich verändern möchten. Aber wie geht man dabei am besten vor?

Tipp 1: Identifizieren und analysieren Sie Ihre schlechte Angewohnheit

Im ersten Schritt gilt es mehr über die Gründe und Ursachen für die Angewohnheit herauszufinden. "Sie müssen die schlechte Angewohnheit zunächst einmal identifizieren und analysieren", rät Philipp Lioznov. Das geht alleine, zusammen mit einem Freund oder einer Freundin oder auch im Rahmen einer Psychotherapie. Fragen Sie sich: Was genau will ich mir abgewöhnen? Welche Reize triggern meine Angewohnheit? Und warum mach ich das eigentlich? Durch unsere schlechte Angewohnheit bekommen wir vielleicht eine kurzfristige Befriedigung, eine Art "Belohnung", doch auf lange Sicht ist sie schädlich. "Sich das vor Augen zu halten, motiviert uns, die Angewohnheit loszuwerden", sagt Lioznov.

Tipp 2: Erstellen Sie einen Plan

Es ist sinnvoll, sich einen Plan zu überlegen, wie man der schlechten Angewohnheit beikommen möchte. Wichtig ist dabei laut Philipp Lioznov, dass der Plan möglichst konkret und vor allem realistisch ist. "Häufig scheitern unsere Ziele daran, dass sie nicht realistisch sind oder wir zu wenig Zeit dafür einplanen." Er empfiehlt, das Ziel nach der sogenannten SMART-Methode zu definieren. Das Akronym steht für spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert. "Werden Pläne nach diesen Regeln aufgestellt, fällt es unserem Gehirn leichter."

  • Spezifisch: Was möchten Sie sich abgewöhnen? Formulieren Sie Ihr Ziel möglichst konkret.
  • Messbar: Wie lässt sich der Erfolg feststellen? Wann ist das Ziel erreicht?
  • Attraktiv: Warum wollen Sie sich eine Angewohnheit abgewöhnen? Was ist Ihre Motivation?
  • Realistisch: Das Ziel darf ambitioniert, aber nicht unerreichbar sein. Überfordern Sie sich nicht – wer nie Sport getrieben hat, kann nicht in zwei Wochen einen Marathon laufen.
  • Terminiert: Setzen Sie einen zeitlichen Rahmen, in dem das Ziel erreicht werden soll. Denken Sie daran, dass es bis zu 250 Tage dauern kann, um neue Verhaltensweisen zu erlernen.

Tipp 3: Etablieren Sie alternative Verhaltensweisen

Reize, die unsere schlechten Angewohnheiten triggern, lassen sich nicht immer abstellen oder vermeiden. In diesen Situationen kann helfen, sich alternative und gesündere Verhaltensweisen zu überlegen. Neigen Sie bei Stress etwa dazu, viele Süßigkeiten zu naschen, können Sie diese vielleicht durch Obst oder Gemüse ersetzen. "Oder ändern Sie den Kontext", rät Philipp Lioznov. Greifen Sie in der Küche immer zu Süßigkeiten, gehen Sie in Pausen stattdessen nach draußen. Zünden Sie sich in der Pause immer gleich eine Zigarette an, machen Sie stattdessen einen Spaziergang. "Mit der Zeit lassen sich so gute Gewohnheiten aufbauen", sagt Psychotherapeut Lioznov.

Tipp 4: Nehmen Sie sich nicht zu viele Ziele auf einmal vor

Wie viele verschiedene Ziele man sich vornehmen kann, ist ganz individuell. "Überlegen Sie, was Sie sich zutrauen und bewerten Sie dann immer wieder, wie es läuft", rät Lioznov. Läuft es gut, können Sie sich neben dem Rauchen vielleicht auch das Naschen abgewöhnen – vielleicht müssen Sie sich auch erst einmal auf ein Ziel konzentrieren. "Häufig steigt mit einem Erfolg das Gefühl der Selbstwirksamkeit, man wird selbstbewusster. Das motiviert, sich weitere Ziele vorzunehmen."

Tipp 5: Machen Sie Ihr Vorhaben öffentlich

Egal, ob Sie das Rauchen aufgeben oder mehr Sport treiben wollen: Weihen Sie Ihr Umfeld in Ihre Pläne ein. Das baut einen sozialen Druck auf und motiviert dranzubleiben – schließlich will man nicht als Lügner dastehen. "Häufig bekommt man positive Reaktionen, die zusätzlich motivieren und unterstützen", sagt Philipp Lioznov. "Vielleicht schließen sich auch andere dem Vorhaben an und man meistert das Ziel gemeinsam."

Gerade beim Rauchen kann der soziale Druck jedoch eine umgekehrte Rolle spielen. Wer aufhört zu rauchen, ist plötzlich nicht mehr Teil der Raucherclique. "Beziehungen sind unser wichtigstes Grundbedürfnis", sagt Lioznov. "Manchmal ist unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit größer als das Bedürfnis, mit dem Rauchen aufzuhören." Vielleicht schaffen Sie es, in die Raucherpausen mitzugehen, ohne zu rauchen. Falls nicht, helfe es nur, sich die eigene Motivation noch einmal vor Augen zu halten. "Werden Sie von den anderen immer wieder aufgefordert, doch mitzurauchen, müssen Sie das Gespräch suchen und sie bitten, das nicht mehr zu tun."

Tipp 6: Gibt es Veränderung in Ihrem Leben? Nutzen Sie das

"Die Umwelt ist der Kontext, in dem unsere Gewohnheiten stattfinden", sagt Lioznov. Viele kennen das aus dem Urlaub: Dort ist das Bedürfnis nach Zigaretten, Kaffee oder Süßigkeiten und Co. häufig geringer als zu Hause. Wer seit Jahren morgens in seiner Küche als Erstes eine Zigarette angezündet hat, wird daran noch lange erinnert. An einem neuen Ort haben wir diese Erinnerung nicht. "Wenn es Veränderung in Ihrem Leben gibt – ein Umzug, eine Trennung, ein neuer Arbeitsplatz – dann ist das tatsächlich ein guter Zeitpunkt, sich schlechte Gewohnheiten ab- und sich neue, gute Verhaltensweisen anzugewöhnen", sagt Philipp Lioznov.

Tipp 7: Seien Sie bei Rückschlägen nachsichtig mit sich

Sich Angewohnheiten abzulegen ist schwer – es kann immer wieder zu Rückfällen in die alten Verhaltensmuster kommen. Dann sind Geduld und Selbstmitgefühl gefragt. "Seien Sie sich ein guter Freund", rät Lioznov. "Im Vordergrund steht, dass Sie etwas verändern möchten und damit etwas Gutes für sich tun." Sehen Sie Rückschläge daher nicht als Schwäche. "Dieser fordernde, strafende Teil von uns ist nicht immer hilfreich. Bleiben Sie einfach weiter dran."

Über den Experten:
Philipp Lioznov ist Psychotherapeut mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie in Wien. Neben seiner Arbeit forscht er im Rahmen einer Doktorarbeit an der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien zum Thema Einsamkeit.

Verwendete Quellen:

  • Telefoninterview mit Psychotherapeut Philipp Lioznov
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