In Deutschland wird bald für jeden Krankenversicherten eine elektronische Patientenakte angelegt. Im Interview spricht der Patientenbeauftragter der Bundesregierung, Stefan Schwartze, über die Vorteile der Reform – und die Stellen, an denen noch nachgearbeitet werden muss.
Abrechnungen für Arztbesuche, Befunde, eine Liste der verschriebenen Medikamente: Diese und weitere Informationen kann jeder gesetzlich Krankenversicherte bald in der eigenen elektronischen Patientenakte sammeln, einsehen und verwalten. Die "ePA" soll die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorantreiben, Behandlungsfehler vermeiden sowie Patienten und Ärzten einen besseren Überblick ermöglichen.
Ab dem 15. Januar wird schrittweise für jeden gesetzlich Krankenversicherten eine eigene ePA angelegt – es sei denn, man widerspricht. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD), ist erleichtert, dass es mit der Einführung jetzt losgeht. Er sieht aber auch noch Nachbesserungsbedarf.
Herr Schwartze, ab Mitte Januar kommt die Elektronische Patientenakte, kurz ePA. Ist das eine gute Nachricht für Patientinnen und Patienten?
Stefan Schwartze: Ich setze in Sachen Patientensicherheit große Hoffnungen in die elektronische Patientenakte. Wenn die wichtigsten Gesundheitsdaten dort zusammengefasst sind, ist das in medizinischen Notfällen ein großer Vorteil. Ich setze auch große Hoffnung in die hinterlegten Medikationspläne. Wenn die Akte eine Liste der verordneten Medikamente erhält, verringert sich das Risiko, dass unverträgliche Medikamente verschrieben werden. Bisher landen pro Jahr 200.000 Patienten wegen solcher Fehlmedikationen im Krankenhaus.
Trotzdem ist es nicht jedem Menschen geheuer, dass seine Gesundheitsdaten auf diese Weise gespeichert werden. Schließlich handelt es sich um sehr sensible Daten.
Es gibt die Möglichkeit eines Opt-out. Man kann sich also dagegen entscheiden, dass die Krankenkasse eine elektronische Patientenakte anlegen lässt. Wer Bedenken hat, kann sich das erstmal in Ruhe anschauen und abwarten, wie es sich entwickelt. Aus meiner Sicht überwiegen die Vorteile aber eindeutig. Auch an den Schnittstellen im Gesundheitssystem – zum Beispiel zwischen Haus- und Facharzt – kann die ePA sehr hilfreich sein.
Um die eigene elektronische Patientenakte einzusehen und zu verwalten, braucht man allerdings ein Smartphone oder einen Computer. Die allermeisten Menschen sind damit ausgestattet – aber manche sind es eben nicht.
Da muss die elektronische Patientenakte noch besser werden. Es gibt Menschen, die digital nicht so geschult sind, dass sie die ePA nutzen können. Sie brauchen eine stärkere Unterstützung und müssen eine Beratung an die Hand bekommen. Das kann in Seniorenheimen oder in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung passieren. Das kann auch in Apotheken oder in gesonderten Sprechstunden der Ärztinnen und Ärzte passieren. Wir dürfen keine zusätzlichen Barrieren ins Gesundheitssystem einbauen. Auf der anderen Seite kann diese elektronische Patientenakte natürlich auch Barrieren abbauen – zum Beispiel, wenn man sich dort Befunde vorlesen lassen kann.
Wie man die elektronische Patientenakte nutzt
- Die gesetzlichen Krankenkassen müssen ihren Versicherten eine App zur Verfügung stellen. Damit können diese die eigene elektronische Patientenakte auf dem Smartphone einsehen und wenn gewünscht selbst mit Dokumenten befüllen. Zum Beispiel mit dem Impfpass, älteren Arztbriefen oder einer Patientenverfügung. Auch eine Nutzung über den Computer soll möglich sein.
- Arztpraxen oder Krankenhäuser können auf die ePA zugreifen, wenn der Patient seine Versichertenkarte in das Lesegerät steckt.
Es handelt sich wie gesagt um sensible Daten. Wie sicher sind sie in der elektronischen Patientenakte?
Es ist sehr wichtig, sensibel mit diesen Daten umzugehen. Die Politik muss die Sorgen und Anregungen sehr ernst nehmen. Die elektronische Patientenakte wurde zusammen mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik entwickelt. Wir haben das so gut wie möglich auf den neuesten technischen Stand gebracht. Darum denke ich, dass die Daten gut geschützt sind. Jeder Versicherte darf außerdem selbst festlegen, welche Informationen eine Ärztin oder ein Arzt einsehen darf.
Informationen über sensible Erkrankungen lassen sich in der Akte unsichtbar machen. Allerdings kritisiert zum Beispiel die Aids-Hilfe: Aus der Liste der verordneten Medikamente könnte ein Arzt trotzdem auf eine HIV-Infektion schließen.
Ich habe mit einer Gruppe der Aids-Hilfe selbst über die Problematik gesprochen. Ich verstehe diese Sorgen. Ich sage aber auch: Für eine vernünftige Behandlung und für die Verschreibung von weiteren Medikamenten muss man ja sowieso mitteilen, was man schon nimmt. Nur so sind gefährliche Wechselwirkungen zu vermeiden. Aber auch hier gilt: Wer Bedenken hat, kann zunächst mit der elektronischen Patientenakte abwarten.
Die allermeisten Patientinnen und Patienten dürften dagegen noch gar keine Meinung zur ePA haben – weil sie sich damit noch gar nicht befasst haben.
Umfragen zeigen in der Tat, dass viele Menschen davon noch nichts gehört haben und mit der elektronischen Patientenakte nicht viel anfangen können. Anschreiben oder Broschüren von der Krankenkasse liest sich eben nicht jeder durch. Deswegen ist es wichtig, die Informationen über die ePA in großer Breite öffentlich zu machen.
Über den Gesprächspartner
- Stefan Schwartze wurde 1974 in Bad Oeynhausen geboren. Der Industriemechaniker trat 1994 in die SPD ein. Seit Oktober 2009 ist er Mitglied des Bundestags, seit Januar 2022 Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.