- Kinder unter 13 nutzen Social-Media-Apps oft mehrere Stunden täglich, obwohl diese laut AGB meistens erst ab einem Mindestalter von 13 erlaubt sind
- Instagram will deshalb eine Kinder-App entwickeln, die auch besser von Eltern kontrolliert werden kann
- Die Vermittlung von Medienkompetenz spielt eine immer wichtigere Rolle bei der elterlichen Erziehung
Erwachsene und Jugendliche nutzen Social Media ständig und überall: Pausenlos vernetzen sie sich mit anderen im Internet, um Inhalte zu erhalten, zu senden oder auszutauschen. Doch auch immer mehr jüngere Kinder scheinen regelmäßig in Social-Media-Apps unterwegs zu sein.
Eine Studie der DAK Krankenkasse belegt: Allein 67 Prozent der Mädchen und 57 Prozent der Jungen im Alter von 10 bis 12 Jahren nutzen Social-Media-Apps täglich. Dabei verbringen rund zwei Drittel von ihnen bis zu drei Stunden in den Apps, der Rest sogar noch länger.
Doch an der intensiven Nutzung von Social Media in diesem jungen Alter gibt es starke Kritik. Warum ist das so und was können und sollten Eltern tun, wenn ihre vorpubertären Kinder plötzlich Social Media nutzen wollen?
Immer wieder geraten Social-Media-Apps wie TikTok, Facebook und Instagram in die Kritik, weil sie nicht verhindern, dass junge Kinder unter 13 Jahren ihre Anwendungen nutzen, obwohl dies in ihren AGBs ausdrücklich untersagt ist. Das Problem: Häufig geben jüngere Kinder bewusst ein falsches Alter an, um an der App teilzunehmen.
Wie weitverbreitet dieses Phänomen ist, zeigen Untersuchungen aus den USA. Demnach haben bereits 81 Prozent der Kinder zwischen 8 und 13 Jahren mit der Nutzung von sozialen Medien begonnen. Deshalb kündigten Facebook bzw. Instagram jüngst an, an einer Social-Media-App für unter 13-Jährige zu arbeiten.
Diese soll ermöglichen, mit Familie und Freunden in einer sicheren und werbefreien Umgebung in Kontakt zu bleiben. Auch an Lösungen, das Alter des Nutzenden mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz besser einschätzen zu können, wird gefeilt.
Warum stellt zu viel Social Media besonders für jüngere Kinder eine Gefahr da
Da Social-Media-Inhalte nachweislich oft zu lange und intensiv von Kindern unter 13 Jahren konsumiert werden, besteht zum einen die Gefahr, dass der intensive Selbstfindungsprozess durch zu viele ungefilterte, nicht altersgemäße Inhalte beeinträchtigt werden kann. Viele Inhalte, die die jungen Kinder sehen, können sie noch nicht einordnen, falsch verstehen und die eigene Selbstwahrnehmung und Identitätsbildung kann nachhaltig gestört werden.
So orientieren sich besonders junge die Apps nutzende Personen sehr stark an unerreichbaren, übertriebenen Instagram- beziehungsweise Schönheitsidealen oder perfekt inszenierten Youtube-und TikTok-Stars. Was die Kinder nicht ahnen: Viele der Bilder sind bearbeitet, die gezeigten Realitäten perfekt inszeniert und nicht echt – und damit auch gar nicht erreichbar.
Langfristig kann dieser Widerspruch zu einem verminderten Selbstwertgefühl führen, das Körperbild der jungen Kinder negativ beeinflussen oder zur Übernahme von falschen stereotypischen Rollenbildern führen.
Darüber hinaus können sich hinter Kontakten, mit denen sich die Kinder vernetzen, Fake-Profile verbergen. Hier ist große Vorsicht geboten; nichts selten stecken dahinter Betrüger oder Pädophile. Diese versuchen die Kinder zu manipulieren und ihnen zu schaden.
Warum finden Kinder Social-Media-Apps so spannend?
Vor allem die Foto- und Videoapp Instagram ist bei Kindern sehr beliebt. Kim Beck, Medienpädagogin aus München, Co-Host im Medienkompetenz-Podcast medially, erklärt: "Instagram und TikTok sind in der fünften, sechsten Klasse gesetzt und oft genauso beliebt wie WhatsApp. Die Zehn-, Elf-, Zwölfjährigen gucken sich die Inhalte dort an, weil sie sich mit Freunden und Bekannten vernetzen, sich an Älteren aus der Schule und an Influencern orientieren wollen."
Für Kim Beck, die in der Praxis viel mit Schülern, Eltern und Lehrern zusammenarbeitet, brauchen und suchen die Kinder vor allem den Kontakt zu Gleichaltrigen und nach Möglichkeiten der Integration.
Ob dafür unbedingt Social-Media-Apps notwendig sind, sieht sie etwas kritisch: "Ob die Kinder sich am Ende via Instagram und Co. dafür vernetzen müssen, ist die Frage. Fakt ist aber, dass fast alle Kinder einen Drang dazu haben, Neues von anderen mitbekommen zu wollen. Sie möchten an deren Leben teilhaben. Das findet heutzutage zu einem großen Teil auch online statt."
6 Tipps: So können Eltern Kinder auf Social Media vorbereiten
Es ist ratsam, Kinder schon relativ früh an Social-Media-Themen und Co. heranzuführen. Die Aufklärung sollte idealerweise in den Alltag integriert werden. "Medienerziehung erfolgt am besten langsam und über Jahre und kann schon im Kindergartenalter beginnen. Wenn Eltern zum Beispiel selbst gerade ihr Smartphone bedienen und dort Social Media nutzen, sollten sie immer mal wieder ihrem Kind erklären, was sie dort in WhatsApp und Co. genau tun", empfiehlt die erfahrene Medienpädagogin Kim Beck. Vor allem über die folgenden sechs Aspekte sollten Eltern dabei mit ihren Kindern sprechen.
- Wem folgt das Kind? Überlegen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind, wer genau die Freunde sind, denen das Kind via Social Media folgen möchte. Erarbeiten Sie zusammen eine Lösung, wie es gelingen kann, darüber Kontrolle zu behalten.
- Wer folgt meinem Kind? Gleiches gilt für die Follower. Wer soll dem Kind aus seiner Sicht folgen dürfen? Überzeugen Sie Ihr Kind am besten davon, sich ein privates Profil anzulegen. So können Kontaktanfragen einzeln geprüft und gegebenenfalls abgelehnt werden. Vergessen Sie nicht, zu erwähnen, dass man trotzdem von Fremden angeschrieben werden kann und dass sich dahinter auch Personen verbergen können, die sich für jemand anderes ausgeben und schaden wollen.
- Was sind die Vorbilder? Fragen Sie Ihr Kind, welche Vorbilder es im Internet hat. Besprechen Sie zusammen, wen sich das Kind gerne auf Youtube, TikTok u.Ä. anschaut. "Versuchen Sie dann in einem Gespräch herauszuarbeiten, was Ihrem Kind beim Betrachten von bestimmten Bildern genau auffällt. Fragen Sie etwa, ob man diese Kleidung anhaben muss oder was das Foto alles Privates über eine sich darstellende Person verrät. Ordnen Sie das Ganze dann ein und erklären Sie, wie man solche Inszenierungen am besten für sich bewerten sollte", rät Kim Beck.
- Ab wann sollte man ein Smartphone besitzen? Wenn Sie sich entscheiden, Ihrem Kind selbstständig ein Smartphone anzuvertrauen, kommunizieren Sie klar, dass dies an bestimmte Rahmenbedingungen geknüpft ist. Legen Sie fest, dass Sie beide sofort miteinander reden, wenn jemand ihr Kind anschreibt. Schauen Sie sich die Person dann zusammen genau an und treffen Sie anschließend eine Entscheidung, wie man darauf reagiert. Fremd bleibt fremd, egal ob auf der Straße oder im Internet. Mit Fremden sollte nur gesprochen werden, wenn die Eltern es erlauben.
- Wie chattet man richtig? Bringen Sie Ihren Kindern bei, was beim Chatten okay ist und wie man dort auch nicht kommuniziert. Erklären Sie, welche privaten Sachen man ruhigen Gewissens veröffentlichen darf und welche man lieber für sich behält. Schaffen Sie ein Verständnis dafür, dass man am besten weder Wohnort noch Details aus dem Zimmer preisgibt. Kim Beck rät, das spielerisch zu machen: "Schauen Sie sich Bilder von Influencern an und fragen Sie Ihr Kind, welche Informationen Sie beide daraus ziehen können. Machen Sie eine Art Detektivspiel daraus und überlegen Sie, ob es damit möglich wäre, den Influencer vor Ort auffindbar zu machen und ihn oder sie zu treffen. Das verdeutlicht Ihrem Kind, wie wichtig es ist, nicht alles von sich zu veröffentlichen."
- Wie verhält es sich mit dem Recht am eigenen Bild? Erklären Sie Ihrem Kind, dass es ein Recht hat, zu entscheiden, welches Bild von ihm benutzt und veröffentlicht werden soll. Machen Sie ihm klar, dass es auch die Möglichkeit hat, eigene Bilder, die andere von ihm tätigen, zu löschen. Niemand darf jemanden ohne dessen Zustimmung fotografieren oder dessen Bild verbreiten.
Gemeinsame Medienerziehung ist das Ziel
Beim Umgang der Eltern mit Social Media lassen sich oft zwei Extreme beobachten: Entweder wird Kindern irgendwann einfach ein Smartphone ohne irgendeine Einführung in und Begleitung durch das Internet überlassen. Oder aber Eltern verweigern sich dem Thema und verbieten ihren Kindern aus Sorge, ihnen könne im digitalen Raum etwas passieren, das Handy komplett.
Kim Beck warnt vor diesem radikalen Umgang mit dem Thema: "Beide Einstellungen sind nicht gut und führen langfristig zu Problemen." Sie schlägt Eltern vor, vielmehr immer wieder über die Chancen und Risiken der Apps und des Internets aufzuklären. "Schließlich lässt ja auch keiner sein Kind in einer fremden Stadt im Einkaufszentrum zurück und schaut dann, wie es dort zurechtkommt", meint die Medienpädagogin.
Sie empfiehlt Eltern, Social Media gegenüber stets offen zu bleiben und die Inhalte und Plattformen, die ihre Kinder nutzen, keinesfalls abzuwerten, oder gar zu verteufeln. Vielmehr gilt es, als Erwachsene mit den Kindern respektvoll auf Augenhöhe zu kommunizieren und ein vertrauensvolles Verhältnis zu schaffen, in dem Reden über durch Social Media entstehende Probleme immer möglich ist.
"Ich kenne Fälle, da erhalten Schüler in der 5. Klasse Drohungen über Kettenbriefe auf WhatsApp, die deshalb nachts nicht schlafen können. Doch ihren Eltern wollen sie sich nicht anvertrauen, weil diese sonst das Handy wegnehmen. Da können viele Erwachsene noch lernen, ein besseres Verhältnis zu ihren Kindern zu schaffen, damit sich diese bei Konflikten nicht alleine fühlen, jemanden zum Reden haben und sich ernst genommen fühlen."
Für die Expertin kann es deshalb nur den Weg der gemeinsamen Medienerziehung geben, der auf Aufklärung und Respekt statt auf Verbote setzt.
Verwendete Quellen:
- Interview mit Medienpädagogin Kim Beck
- Wall Street Journal: Facebook’s Instagram for Kids Will Be Money
- DAK: Mediensucht 2020 – Gaming und Social Media in Zeiten von Corona
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