Sie ist Abgeordnete im Deutschen Bundestag, die Parlamentarische Staatssekretärin beim Minister für Wirtschaft und Energie und ehemalige Justizministerin. Im Interview mit unserem Portal spricht Brigitte Zypries exklusiv über die Verfolgung von Whistleblowern wie Edward Snowden, den Datenschutz in sozialen Netzwerken und ihren Gewinn des "Big Brother Awards".
Frau Zypries, der Fall
Brigitte Zypries: Die Vereinigten Staaten haben ein anderes Verständnis von Geheimnisverrat und sehen andere Strafen dafür vor als Deutschland. Es handelt sich nicht um eine politische Verfolgung, wenn jemand, der Interna ausplaudert, nach den strafrechtlichen Normen zur Rechenschaft gezogen wird. Das ist ein fixierter Straftatbestand und hat deswegen mit Asyl für meine Begriffe gar nichts zu tun. Wer Asyl bekommt, ist in Deutschland in der Verfassung geregelt. Es sind politisch Verfolgte, die dieses Recht genießen.
Die NSA greift durch ihre Überwachung in die Grundrechte der Bürger ein. Sie sehen hier im Moment keinen Bedarf, an den Gesetzen etwas zu ändern, um jemanden zu schützen, der diese Vorgänge öffentlich macht?
Es ist ein großer Verdienst von Edward Snowden, dass diese Praktiken bekannt wurden. Die Frage, ob er in den USA politisch verfolgt wird, ist aber davon zu trennen.
Wird er denn ihrer Meinung nach in den USA politisch verfolgt?
Er würde strafrechtlich verfolgt. Wenn ein Deutscher Interna von deutschen Diensten weitergibt, ist das auch ein Straftatbestand.
Damit besteht in Deutschland derzeit keine Möglichkeit, Informanten wie Snowden effektiv zu schützen?
Nein, die gibt es nicht. Wir diskutieren aber schon lange ein Gesetz für Whistleblower, also die Frage, ob man Menschen, die so etwas machen wie Snowden, nicht schützen müsste. Allerdings gibt es aktuell keine gesetzliche Regelung in Deutschland.
Wie stehen Sie zu Enthüllungsplattformen wie "Wikileaks"?
Grundsätzlich gilt, dass Transparenz immer gut ist. Die Frage ist nur, ob vertrauliche Papiere gestohlen werden, um sie dann zu veröffentlichen. Das ist dann wieder dieselbe Problematik wie im Fall Snowden, denn der Zweck heiligt nicht die Mittel.
Viele Internet-Nutzer sind durch die NSA-Enthüllungen verunsichert worden. Die Themen Sicherheit und Datenschutz haben aber plötzlich viel Aufmerksamkeit bekommen. Haben sie selbst ihr Nutzungsverhalten im Netz geändert?
Ja, ich habe mir beispielsweise Threema (Anm. d. Red. Kurznachrichten-App mit einem besonderen Fokus auf Sicherheit) heruntergeladen. Aber für mich gilt schon lange der Grundsatz, dass ich Privates gar nicht über das Netz verbreite. Ich nutze das Internet hauptsächlich beruflich, also für die Publikation meiner politischen Überzeugung und nicht für private Befindlichkeiten.
Sie sind dann kein großer Fan von Facebook?
Ich habe eine Facebook-Seite, aber ich nutze sie nur für die Dokumentation, was ich in meinem Wahlkreis mache. Oder dafür, worüber gerade im Bundestag abgestimmt wird. Ich poste dort nicht, was ich gerade esse oder trinke...
...und das werden sie in Zukunft auch nicht machen?
Genau.
Da wir gerade bei sozialen Netzwerken sind: Das Thema Datenschutz spielt vor allem dort eine große Rolle - hier hat Deutschland ein Vorreiterrolle inne. Sind sie der Meinung, dass im Moment der Datenschutz in Deutschland ausreichend ist oder sehen Sie Nachbesserungsbedarf?
Ich begrüße die Bestrebung, mit der Datenschutzgrundverordnung eine einheitliche europäische Regelung für den Datenschutz herbeizuführen. Neben dem verbesserten Datenschutzrecht müssen wir die Menschen auch informieren, wie die im Netz angegebenen Informationen genutzt und verarbeitet werden und wie man ausschließen kann, dass sie gegen den eigenen Willen ausgewertet werden. Und das ist auch ein Ziel, das wir uns mit dem Koalitionsvertrag gesetzt haben.
Viele erfolgreiche Unternehmen im Ausland wie Facebook oder Google werten Nutzerdaten aus und bauen darauf ihr Geschäftsmodell auf. Sehen sie es als Vorteil oder Nachteil für Deutschland, dass hierzulande die Vorgaben für den Datenschutz so streng gehandhabt werden?
Diese Konzerne wurden nicht in den USA aufgebaut, weil das deutsche Datenschutzrecht so streng ist. Das hat andere Gründe. Deutschland kann aber aus der Tatsache, dass wir ein strenges Datenschutzrecht haben, ein Geschäftsmodell entwickeln. So sollte "Sichere IT made in Germany" ein Markenzeichen werden und damit auch ein Exportartikel. Wir beobachten, dass Unternehmen amerikanische Komponenten aus ihren Systemen entfernen und stattdessen deutsche Software verwenden, weil sie deren Sicherheit vertrauen.
Sie sehen es also als Vorteil, dass man mit Datenschutz ein eigenes Geschäftsmodell aufbauen kann?
Genau.
Ein kurzer Blick in ihre Vergangenheit: Sie haben zwei Mal den "Big Brother Award" erhalten. Diese werden laut Organisatoren "an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen". Stehen Sie zu Ihren damals kritisierten Entscheidungen noch heute oder waren das "Kinder ihrer Zeit"?
Den ersten habe ich für den sogenannten "Großen Lauschangriff" erhalten, den zweiten für die Vorratsdatenspeicherung - aber natürlich wird bei solchen 'Auszeichnungen' nie die ganze Geschichte erzählt. So hat Deutschland zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung eineinhalb Jahre auf europäischer Ebene vollständig blockiert. Wir waren als einziges Land in Europa gegen die Vorratsdatenspeicherung, konnten uns aber gegen die europäischen Partner nicht durchsetzen. Dann mussten wir verhandeln, um Schlimmeres zu verhindern. So sollten die Daten ursprünglich für drei Jahre gespeichert werden, jetzt sind es sechs Monate. Zudem sollte ein Bewegungsprofil aufgezeichnet werden und vieles mehr. Nach einer so intensiven Verhandlung muss man aber auch zustimmen, sonst desavouiert man sich auf der europäischen Ebene.
Frau Zypries, vielen Dank für das Gespräch.
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