… bloß nicht! Das ist ein Befehl im grammatikalischen Sinne. Hier erfahren Sie, was ein Befehl (Abkürzung: Bef) im Eisenbahnbetrieb ist und warum Sie den Befehl zu Beginn (nicht) verweigern sollten.
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen, sagte Matthias Claudius angeblich schon 1775. Im Deutschland des Jahres 2024 könnte ein geflügeltes Wort heißen: Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben. Vor allem, wenn er sich entscheidet, die Reise mit der Bahn zu unternehmen.
Sie haben keine Lust auf Bahn-Bashing? Keine Angst, ich auch nicht. Denn ein Zug ist für alle Insassen bis auf einen fast so gut wie ein autonom fahrendes Auto – man kann (in der Regel) darin sitzen und sich mit etwas anderem beschäftigen als zu steuern, zum Beispiel damit, diesen Text zu verfassen.
Verspätungen – geschenkte Zeit, mit der man wenig anfangen kann
Nur manchmal machen einen die Erlebnisse auf einer Zugreise so fassungslos, dass man sich nur noch schwer konzentrieren kann. So geschehen auf Reisen Mitte Oktober. Startpunkt München am Sonntagvormittag. Ziel: der Pariser Autosalon. Paris mit der Bahn – da denkt man an den TGV und freut sich. Der französische Schnellzug gilt, ja nun, als schnell und vor allem zuverlässig.
Hilft nur nix, wenn man versucht, ihn mit der Deutschen Bahn zu erreichen: Der ICE in München kommt dort schon 25 Minuten zu spät an bzw. entsprechend später los (Stellwerksprobleme auf dem Weg aus Innsbruck). Schon in Stuttgart lautet die Empfehlung der Bahn: Aussteigen und auf einen ICE nach Paris zwei Stunden später warten statt in Mannheim in den geplanten TGV steigen – der würde nicht warten. Knapp zwei Stunden in Stuttgart 21 verbringen ist nicht vergnügungssteuerpflichtig, aber ganz kommod, wenn man in die Lounge kann – da haben allerdings die wenigsten Bahnkunden Einlass, obwohl es gefühlt alle verdient hätten, denen die Bahn mehr als eine halbe Stunde Verspätung eingeschenkt hat.
Hat man die Durchfahrtsstrafe abgesessen, muss man im Folgezug selbst in der 1. Klasse um einen Sitzplatz bangen, auch wenn man zuvor bis zum Reisezentrum gefunden hat und eine (gedruckte sowie unterschrieben) Verspätungsbestätigung erhalten hat – die Reservierung gilt natürlich trotzdem nur für den verpassten TGV. Entgegen der Warnung des Schaffners ("Zug ist ab Straßburg ausgebucht") wird der eigene Sitzplatz von niemand anderem beansprucht. Vermutlich haben andere Fahrgäste diesen Zug verpasst, weil sich die Zubringer verspätet haben.
Züge können schnell sein – das hilft nur nicht
So wankt der ICE mit wechselnder Geschwindigkeit gen Frankreich. Auffällig: Kaum ist Straßburg passiert, holt die Lok einmal tief Luft und zischt mit 291 km/h wie auf den sprichwörtlichen Schienen über die Gleise in offensichtlich gutem Zustand. Das Shuttle in Paris hat Sonntag nur punktuell mit Verkehr zu kämpfen und lässt den Fahrgast alle Vorteile elektrischer Auto-Mobilität spüren: leise, schnell und komfortabel bringt es ihn vom Gare de L’est punktgenau zum individuellen Ziel.
Die Rückfahrt via Gare du Nord am Werktagmorgen hingegen macht klar, dass auch E-Autos die Verkehrsprobleme in Metropolen nicht lösen können: Für etwa 15 Kilometer brauchen wir etwa 1:15 h und zwischendurch muss man fürchten den Eurostar Richtung Düsseldorf zu verpassen. Zeit genug, das reservierte Ticket auf dem Handy runterzuladen.
Zugfahren kann auch first class sein
Freundliche Mitarbeiterinnen in farbenfrohen Uniformen kontrollieren es schon vor dem Einsteigen, in der ersten Klasse empfangen Velour-Sitze mit Tisch und Lämpchen, wenige Minuten nach Abfahrt zeigt der Monitor 300 km/h, was selbst die Bediensteten mit Servierwagen nicht spüren. "Kaffee und ein Stück Kuchen?", später "Mittagessen vegetarisch oder mit Fleisch? Was möchten Sie trinken?" Der deutsche Bahnfahrer reibt sich die Augen. Diese Zugfahrt verdient die Bezeichnung 1. Klasse. Kostenpunkt: 165 Euro für die Fahrt von Paris nach Düsseldorf in laut Fahrplan weniger als vier Stunden.
Erst ab Straßburg wandelt sich das Bild: Aus 300 km/h werden gefühlt 30 und der Fahreindruck lässt Landstraßen dritter Ordnung statt Schienen 1. Klasse vermuten. Am Ende stehen 16 Minuten Verspätung und ein halsbrecherischer Sprint von Gleis 4 nach Gleis 18, wo nur ein in die Tür gehaltener Koffer den Regionalexpress daran hindert, einem vor der Nase wegzufahren. Rügen wegen des rüden Türstopps könnte man nichts entgegnen – erst nach 15 Minuten kommt man wieder zu Atem.
Außerhalb hilft nur ein Auto
Angekommen herrscht überall reger Autoverkehr, aber ein Taxi ist nirgends zu entdecken, das Ziel noch 3,7 km entfernt. Zwei Buslinien bräuchten dafür mit Umsteigen 43 Minuten. Am Ende hilft nur abholen – und wieder hinbringen lassen, um schon vor dem aufgrund von Baustellen kaum erreichbaren Bahnsteig eine Durchsage zu hören: "Regionalexpress nach Köln, heute 40 Minuten später". Der ICE nach Stuttgart wartet nicht – also in der Bahnhofsgaststätte schnell ein Taxi rufen lassen. 34 Minuten, 140 Euro und einen weiteren Sprint später ist keine Tür mehr da, in die man einen Koffer schleudern könnte.
Die nächste Anschlussmöglichkeit kommt zwar schon 40 Minuten später, fährt aber nur nach Frankfurt. Man lernt: Das Fast-Food-Restaurant am Hauptbahnhof dort hat zwar lange offen, aber keine Toilette. Und schnell müsste es nicht sein, denn der ICE nach Stuttgart kommt zwar pünktlich, aber erst um 0:30 Uhr. Ankunft in Stuttgart um 2:00 Uhr morgens – Carsharing hilft bei der letzten Meile.
Ende der Woche steht noch die Heimfahrt nach München an. Die beginnt überraschend pünktlich, aber schon vor Ulm kommt es zum berüchtigten Halt auf freier Strecke. "Der Zug vor uns ist auf ein Hindernis aufgefahren, wir müssen uns langsam nähern", tönt es aus dem Lautsprecher. Macht 20 Minuten Verspätung. 20 Minuten später meldet die Stimme eine defekte Weiche in Günzburg. "Der Zugführer muss nun leider auf einen schriftlichen Fahrbefehl des Fahrdienstleiters warten und kann sich erst dann in Schrittgeschwindigkeit der defekten Weiche nähern." Eine junge Frau aus Spanien fragt ihre deutschen Reisebegleiterinnen: "Written? Really? Does it come by Fax?" Die scherzhafte Antwort: "Ne, per Brieftaube". Kollektives Gelächter.
Der Befehl und die fehlende Digitalisierung
Wikipedia schreibt ganz im Ernst: "Ein Befehl (Abkürzung: Bef) ist im Eisenbahnbetrieb ein schriftlicher Auftrag des Fahrdienstleiters an den Triebfahrzeugführer eines Zuges. Ein Befehl wird verwendet, wenn eine situationsgerechte Signalisierung nicht möglich ist oder anderweitig vom Regelbetrieb abgewichen werden muss." Und: "Der Fahrdienstleiter fertigt den Befehl aus, indem er den Befehlsvordruck ausfüllt. Anschließend übermittelt er den Befehl an den Triebfahrzeugführer. Die Übermittlung kann fernmündlich oder persönlich erfolgen. Eine elektronische Ausfertigung und Übermittlung (Digitaler Befehl) ist geplant."
Tröstlich: "Der digitale Befehl soll ab Januar 2025 auf der Schnellfahrstrecke Wendlingen–Ulm erprobt werden." Also immerhin da, wo der ICE auf der Heimfahrt weitere Verspätungsminuten sammelt. Am Ende werden es knapp 60 sein. Zu wenig für eine Entschädigung, aber auch weniger als angesichts der aufgetretenen Probleme befürchtet. Die allerdings sorgen für eine um ca. 40 Prozent verlängerte Reisezeit.
Lösungen für die Misere? Hören Sie hier!
Wie die Lösungen der Mobilitätsprobleme aussehen könnten, darüber haben wir auf dem auto motor und sport-Kongress in der Münchner Allianz-Arena mit Professor Markus Lienkamp von der TU München gesprochen.
Unser Podcast-Gast forscht auf dem Gebiet der Elektromobilität, dem autonomen Fahren und der Mobilität. Seit 2009 leitet er den Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik der Technischen Universität München (TUM). Zuvor war unter anderem auch bei Volkswagen. Den Autobauer hat er verlassen, "weil es immer nur darum ging, noch mehr Autos zu verkaufen" und das allein Mobilität nicht verbessert. Warum dabei ausgerechnet ein Projekt wie das Wiesn-Shuttle helfen soll, das Lienkamp mit Doktoranden und Studenten entwickelt, warum wir autonomes Fahren brauchen und wo das E-Auto die Zukunft ist, besprechen wir in dieser Folge von Moove, dem New Mobility Podcast von auto motor und sport.
Reinhören – lohnt sich!
© auto motor und sport
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