Jeder Fingerabdruck ist einzigartig, heißt es. Doch was, wenn ein und derselbe Täter Spuren an Tatorten hinterlässt, aber von verschiedenen Fingern? Eine neue Erkenntnis dazu könnte die Aufklärung ungeklärter Verbrechen ermöglichen.
Seit mehr als einem Jahrhundert zählen Analysen von Fingerabdrücken zu den wichtigsten Ermittlungsverfahren, um Straftaten aufzuklären und Täter zu überführen. Auch in der Digitaltechnik werden die Abdrücke genutzt - etwa zum Entsperren von Smartphones. Allerdings muss man dafür den richtigen Finger nehmen, denn jede Fingerkuppe eines Menschen hinterlässt einen anderen Abdruck. Bislang galt es deshalb als unmöglich, Abdrücke verschiedener Finger derselben Person einander zuzuordnen.
Diese Meinung wird nun erschüttert: Bei aller Einzigartigkeit hätten verschiedene Finger eines Menschen doch charakteristische Gemeinsamkeiten, berichtet ein US-Forschungsteam im Fachblatt "Science Advances". Eine speziell darauf trainierte Künstliche Intelligenz kann verschiedene Abdrücke einem Menschen recht zuverlässig zuordnen - unabhängig davon, um welche Finger genau es sich handelt, wie das Team um Gabe Guo von der Columbia University in New York schreibt.
Verschiedene Fingerabdrücke - KI kann Täterkreis massiv eingrenzen
Dies veranschaulichen die Forscher an einem Beispiel: "Stellen Sie sich vor, dass Kriminalbeamte von Verbrechensort A zwei Fingerabdrücke (etwa vom rechten Mittel- und Zeigefinger) erhalten", schreiben sie. Vom Verbrechensort B stammen zwei andere Fingerabdrücke, etwa vom linken kleinen Finger und vom linken Daumen. Für beide Straftaten haben die Ermittler Listen mit jeweils 1.000 Verdächtigen. Bisher galt es als unmöglich, zu ermitteln, ob ein Täter hinter beiden Verbrechen steckt. Mit der KI, so das Team, könnte man die Liste rein rechnerisch auf etwa 40 Menschen eindampfen.
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Zuvor hatte das Team die KI an Tausenden von Bildern von Fingerabdrücken trainiert - auch von Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen. Dabei konnte das System die Abdrücke von Fingerpaaren eines Menschen mit einer Genauigkeit von 77 Prozent einander zuordnen. Gab es mehr als zwei Abdrücke von einem Menschen, war die Trefferquote sogar noch höher.
Ausschlaggebend dafür sind jedoch nicht die sogenannten Minuzien – also die feinen Endungen und Verzweigungen der Papillarleisten, auf die sich Analysen traditionell konzentrieren. Stattdessen achtet die KI im Zentrum der Abdrücke auf die gröberen Merkmale: die Ausrichtungen und Krümmungen der Bögen, Wirbel und Schleifen.
Ziel der Forschung: Neue Hinweise und Unschuldige entlasten
Auch wenn die Genauigkeit des Systems noch nicht ausreicht, um Fingerabdrücke zweifelsfrei zuzuordnen, so könnte es Ermittler in Zweifelsfällen mitunter doch auf die richtige Spur führen, wie die Wissenschaftler schreiben. Ohnehin sei das Trainingspotenzial für die KI noch bei weitem nicht ausgereizt, betont die Gruppe und verweist darauf, dass allein die US-Bundespolizei FBI mehr als 150 Millionen Fingerabdrücke registriert hat.
Das Bundeskriminalamt (BKA) wollte sich auf Nachfrage der dpa nicht zu der Studie äußern. Die Forscher schreiben: "Wenn das System anhand sehr großer Regierungsdatenbanken, einschließlich partieller Fingerabdrücke, trainiert wird, könnte es wahrscheinlich eine deutlich nützlichere Leistung erzielen. (...) Wir hoffen, dass diese zusätzliche Information dazu beitragen kann, unschuldige Verdächtige zu entlasten, neue Hinweise bei ungeklärten Kriminalfällen zu erhalten und Spuren zu priorisieren, falls mehrere Möglichkeiten existieren." (Walter Willems, dpa/af)
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