Alle lieben Rotkehlchen. Zu Recht – sie sind hübsch, zutraulich, emanzipiert und singen auch noch im Winter. Einer Legende zufolge hat eines sogar das Jesuskind gerettet. Aber man sollte sich vom Äußeren nicht täuschen lassen. In dem kleinen Körper steckt ein selbstbewusster Kämpfer.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Fabian Busch dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Die Nachbarin meiner Eltern hat einen großen Garten. Mit hohen Bäumen, Gebüsch und einem Teich. Und bei der Gartenarbeit hatte Angelika mal einen kleinen Begleiter. Ein Rotkehlchen saß in den Zweigen. Angst hatte es vor ihr offenbar nicht. Es kam immer noch ein bisschen näher heran, flog mal hier hin, mal dort hin, legte den Kopf schief und schaute Angelika zu. So, als wolle es sagen: "Wann bist du endlich fertig?"

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Das Rotkehlchen hat zu uns Menschen offenbar eine besondere Beziehung. Es wagt sich nah an uns heran. Wenn auch nur aus Eigennutz. Es folgt in der Tat gerne Personen bei der Gartenarbeit, weil es weiß: Wo gebuddelt oder die Erde aufgelockert wird, fällt meistens etwas zu fressen ab: Würmer, Larven, Kriechtiere.

Die Nähe beruht auf Gegenseitigkeit. Menschen lieben das Rotkehlchen. Als der Naturschutzbund 2021 erstmals ganz Deutschland dazu aufrief, den Vogel des Jahres zu wählen, gewann der kleine Vogel mit der orangefarbenen Brust und den großen schwarzen Augen. Mit großem Abstand.

Beim Rotkehlchen singt auch das Weibchen

Doch man sollte sich nicht täuschen lassen. Im kleinen Körper steckt eine selbstbewusste Persönlichkeit, ja sogar ein echter Kämpfer. Gegenüber Artgenossen kann das Rotkehlchen durchaus ruppig, geradezu aggressiv werden.

Rotkehlchen sind sehr territorial. Das heißt: Ihr Revier markieren sie mit geschwellter Brust, im Notfall verteidigen sie es intensiv. Es soll Versuche gegeben haben, bei denen die kleinen Vögel einen orangefarbenen Ball attackierten, der in "ihren" Garten geworfen wurde. Wenn keiner der Kontrahenten nachgibt, können Kämpfe zwischen Rotkehlchen in seltenen Fällen sogar tödlich enden.

Sein Revier hat der kleine Vogel aus der Familie der Fliegenschnäpper nicht nur in lichten Wäldern und Hecken, sondern auch in Parks und Gärten – allerdings nur, wenn die Natur dort nicht zu sehr eingehegt wird und es ausreichend Gebüsch und Sträucher gibt, in denen sich das kunstvolle Nest gut verstecken lässt.

Nur für die Brut finden Rotkehlchen-Paare zusammen. © dpa/imageBROKER/Marcus Siebert

Außerhalb der Brutzeit ist das Rotkehlchen ein Einzelgänger. Jedes Männchen und jedes Weibchen hat dann sein eigenes Revier, das es singend markiert. Das Rotkehlchen gehört damit zu den wenigen Vogelarten, bei denen auch die Weibchen singen. Der klirrende, melancholische Gesang besteht aus mehr als 275 verschiedenen Motiven. Er ist charakteristisch und doch nicht immer leicht zu bestimmen. Er klinge wie ein kleiner Gebirgsbach, sagen die einen. Er klinge nach deutscher Romantik, sagen die anderen.

Zum Nachhören

War das Rotkehlchen in der Weihnachtsnacht dabei?

Dass die kleinen Vögel ihr Revier so hartnäckig verteidigen und markieren, hat für uns Menschen einen angenehmen Nebeneffekt. Denn – noch so eine Besonderheit: Im Gegensatz zu den meisten anderen Vogelarten singen Rotkehlchen auch im Winter noch. Bei einem Spaziergang lassen sich die Sängerinnen und Sänger derzeit wegen des fehlenden Laubs besonders gut beobachten. Oft lassen sie ihr Publikum auch auf wenige Meter an sich heran.

Rotkehlchen sind sogenannte Teilzieher: Manche von ihnen bleiben in den kalten Monaten bei uns, sie steigen dann von Insektennahrung auf Körner und Beeren um. Andere treten dagegen die Reise Richtung Mittelmeer an. Ihr freigewordenes Revier übernehmen dann häufig andere Rotkehlchen, die vor dem noch härteren Winter in Nordeuropa zu uns fliehen.

Das Rotkehlchen lässt sich im Winter auch am Futterhaus beobachten. © dpa/empics/Peter Byrne

Das Rotkehlchen ist also ein echter Weihnachtsvogel. Das zeigt auch eine Legende, die man sich vor allem in Großbritannien erzählt. Dort ist der "Robin", so der englische Name, so etwas wie der Nationalvogel. Der Legende nach drohte in der Nacht von Jesu Geburt im Stall das wärmende Feuer zu erlöschen, weil die Menschen schliefen. Da flatterte ein kleiner Vogel in den Stall und fachte die Glut mit Flügelschlägen wieder an. Weil er der Hitze so nahekam, färbte sich seine Brust orangerot – und so bekam das Rotkehlchen seine auffällige Brust.

Ob man die Legende nun glaubt oder nicht: Schön ist sie allemal. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten! Vielleicht hören Sie an den Feiertagen ja ein Rotkehlchen singen.

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