Pferde sind ihre große Liebe. Doch durch eine Autoimmunkrankheit schien es, als könnte Jenny Schlichenmayer nie wieder reiten. Aber sie ließ sich nicht unterkriegen – und ist heute erfolgreich im Para-Reiten. pferde.de sprach mit ihr über die Kraft, die sie durch ihre Pferde bekommt, und warum man Träume niemals aufgeben sollte…

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Wie sie aufs Pferd gekommen ist? Jenny Schlichenmayer lacht. "Ich saß irgendwie schon immer auf dem Pferd", sagt sie. Ihr Nachbar hatte ein Pferd und sie war mit seinem Sohn eng befreundet. "Da hat uns sein Vater schon mit zwei oder drei Jahren aufs Pferd gesetzt." Später nahm sie Unterricht. Und hatte Glück: "Bei uns war ein Handelsstall für Springpferde. Da war ich eigentlich ständig."

Zuerst durfte sie nur helfen, dann die Pferde mal Schritt reiten. Schließlich durfte sie reiten – und auch springen. "Das war meine große Leidenschaft", erinnert sich Schlichenmayer. "Ich durfte sogar mit einigen Pferden aufs Turnier." Dann kam die erste eigene Stute Carmina Burana. "Sie war ehrgeizig, hat immer gekämpft und alles gegeben."

Mit drei roten Flecken fing es an…

Als Schlichenmayer Anfang 20 war, entdeckte sie drei rote Flecken an ihrem Arm. "Sie verschwanden nicht, deshalb bin ich zum Arzt gegangen. Der sagte: Damit darf ich auf keinen Fall in die Sonne, das könnte lebensgefährlich sein." Schlichenmayer lacht. "Das war kurz bevor ich in den Urlaub in die Türkei wollte. Und natürlich bin ich trotzdem gefahren. Ich habe das damals alles noch nicht so ernst genommen."

Ein Jahr später schmerzten ihre Gelenke, die Muskulatur gab nach. "Dann kam die Diagnose: SLE, systemischer Lupus. Das ist eine Autoimmunkrankheit. Dabei greift das Immunsystem körpereigene gesunde Zellen an und löst so eine Entzündungsreaktion aus", so Schlichenmayer. Die Folge: Durch die Entzündungen werden auch Organe geschädigt. Und bei SLE kann jedes Organ und das ganze Skelett betroffen sein.

Der Traum vom eigenen Fohlen

"Das war natürlich erst einmal ein Schock", so Schlichenmayer. Doch gleichzeitig war ihr klar: Sie wird kämpfen. Und so versuchte sie, ihr Leben weiterzuführen wie bisher – zumindest so weit wie möglich. Dazu gehörte auch, dass sie sich den Traum vom eigenen Fohlen erfüllen wollte. "Ich habe meine Stute dann besamen lassen." Heraus kam ein Fuchs mit vier weißen Beinen, Fighting Louis. "Ich habe damals über dem Stall gewohnt und war bei der Geburt dabei", erinnert sich Schlichenmayer.

Während das Fohlen heranwuchs, kamen auch die nächsten Lupus-Schübe. "Dann ging es gesundheitlich einfach nicht mehr. Mit 32 bin ich dann verrentet worden", erinnert sie sich. "Da stand ich dann da: mit zwei Pferden, einem Hund, Wohnung, Auto und gerade mal 700 Euro Rente." Sie zog zurück zu ihren Eltern, stellte die Pferde in einen Pensionsstall. "Meine Rente geht für meine Tiere drauf." Noch schlimmer ist die Untätigkeit, die ihr Körper ihr aufzwang. "Früher habe ich alles gemacht: Badminton gespielt, bin gelaufen, gewandert, Ski gefahren. Und natürlich geritten. Und das meiste ging nicht mehr."

Schlichenmayer: Durch meine Pferde hatte ich eine Aufgabe

Nur das Reiten, das ließ sie sich nicht nehmen. "Es gab Phasen, in denen ich nicht aufs Pferd kam. Aber ich habe es immer wieder versucht. Und irgendwie ging es auch immer wieder." Das verdankt sie ihrem Louis. "Er war eine so coole Socke. In dieser Zeit hat er mir unendlich viel Kraft gegeben. Und mit seiner Ruhe hat er mich geerdet." Überhaupt verdankt sie ihren Pferden viel, sagt sie. "Durch sie hatte ich eine Aufgabe. Ich musste mich bewegen, musste mich um sie kümmern."

Doch dann der Schock: Louis starb bei einem Weideunfall. "Er war mit dem Huf im Heunetz hängengeblieben, hat sich dabei das Bein gebrochen." Sie muss ihn erlösen lassen. "Danach wollte ich erst einmal nichts mehr mit Pferden zu tun haben." Doch ihre Freundinnen und ihre Eltern bestärkten sie, dass sie ein neues Pferd braucht. "Dann habe ich gedacht: Okay, eins noch. Aber diesmal soll es ein Pony sein. Ich bin ja selbst nur 1,60 Meter groß, wiege 46 Kilo. Da war Louis mit seinen 1,76 Meter Stockmaß schon viel Pferd für mich…"

"Den hat Louis dir geschickt…"

Durch eine Stallfreundin kam sie zu Connemara-Ponys. "Ich bin mit ihr dann zu einem Hobbyzüchter in den Steigerwald gefahren." Sie lacht. "Es hat geschüttet wie sonst was. Der Züchter ist mit uns zur Koppel gefahren. Dann fiel ihm ein, dass er etwas vergessen hatte und fuhr wieder weg. Da standen wir dann im Regen, irgendwo an einer Koppel und wussten nicht, was jetzt passieren soll." Sie überlegt kurz. "Was dann kam, war so richtig kitschig. Aus der Herde löste sich ein Pferd und galoppierte zu uns…" Schlichenmayer stockt kurz. "Meine Freundin sagte: Den hat Louis dir geschickt."

Damit stand fest: Dieses Pony kommt zu ihr. "Colin konnte damals nichts, nur am Halfter gehen. Ich bin mit ihm deshalb erst einmal viel spazieren gegangen." Und ein Spaziergang wird ihr zum Verhängnis: "Colin hat sich erschrocken, sprang weg. Ich bin gestürzt – und habe mir die Schulter gebrochen." Sie musste für Wochen in die Klinik. Andere hätten in dieser Situation vielleicht aufgegeben. Doch Schlichenmayer dachte nicht eine Sekunde daran. "Ich habe Colin über den Winter auf die Weide gestellt und im nächsten Frühjahr dann angeritten." Im Sommer bekam Colin noch einmal eine Auszeit. "Und dann ging das Training wieder los."

Die Para-Reiterin erfährt Kraft durch ihre Pferde
Die Para-Reiterin erfährt Kraft durch ihre Pferde © Foto: pexels.com/Gulsah Aydogan (Symbolfoto)

Schlichenmayer: Keine Kraft zum Stehen

Doch genau in dieser Zeit hatte sie den nächsten Lupus-Schub. "Abends, bei einem Freund, ging es dann los. Plötzlich war mein Fuß gelähmt, ich hatte Schmerzen, meine Hände sind angeschwollen." Ihr Vater wollte sie sofort in die Klinik fahren. Aber Schlichenmayer schüttelte den Kopf. "Ich bin an dem Wochenende sogar noch geritten. Aber dann hatte ich nicht einmal mehr Kraft um zu stehen. Da wusste ich: Ich muss in die Klinik."

Zwei Wochen blieb sie diesmal. "Ich wurde zuerst mit Cortison behandelt. Danach musste ich elf Wochen in die Reha." Das Schlimmste in dieser Zeit: "Ich war ohne Colin, ohne meinen Hund – das war furchtbar." Sie hat aber auch Glück: "Stallfreunde haben sich um Colin gekümmert. Da musste ich mir keine Sorgen machen."

Reiten? Wenigstens zehn Minuten im Schritt…

Als sie wieder zuhause war, konnte sich nicht frei stehen. Reiten? Eigentlich unmöglich. "Aber ich wollte es versuchen. Wenigstens zehn Minuten Schritt reiten ohne Sattel", so Schlichenmayer. Und Colin machte es mit. "Er blieb ganz ruhig, als wüsste er, dass ich ihn brauche." Dazu suchte sie sich eine Physiotherapeutin, die therapeutisches Reiten anbot. "Ich wusste: Sie kann mir helfen. Sie weiß, was ich brauche." Im Gespräch hatte die Therapeutin dann eine Idee. "Sie meinte, ich wäre doch was für den Para-Sport." Im ersten Moment wollte sie davon nichts wissen. "Aber dann dachte ich: Warum eigentlich nicht…"

Schlichenmayer nahm Kontakt zur Landestrainer für den bayerischen Para-Kader auf. "Sie sagte: Wir haben demnächst in Ansbach einen Lehrgang, komm doch vorbei." Jenny Schlichenmayer fuhr hin, da noch ohne ihren Colin. "Er konnte ja noch nichts. Ich war froh, wenn wir im Viereck eine Runde außen rum kamen." Doch der Lehrgang war auch so ein voller Erfolg. "Ich war danach total angefixt. Alle waren unheimlich offen, haben mir alles erzählt. Eine echte Gemeinschaft und ganz tolle Truppe. Das hat mich komplett geflasht."

Jenny Schlichenmayer trat sogar in Aachen zur Para-Dressur an

Und so wollte sie beim nächsten Bundestrainer-Lehrgang in Ising am Chiemsee dabei sein. "Das haben mir Freunde und Verwandte finanziert." Eine Freundin fuhr sie und Colin hin. "Der Trainer meinte damals, dass ich reiterlich gut bin. Und Colin würde es noch weit bringen." Zuhause trainierte sie weiter und tatsächlich: Beim nächsten Lehrgang konnte sie mit Colin endlich auch richtig angaloppieren. "Da kam dann die Frage: Willst Du nicht bei den bayerischen Meisterschaften mitreiten?"

Und wie sie wollte. "Aber Colin musste das alles erst noch lernen. Und ich brauchte einen Hänger." Doch wie sollte sie ihn finanzieren? "Ich habe dann einen Spendenaufruf an Freunde verschickt. Das war der Wahnsinn, es kam wirklich das Geld zusammen." Sie kaufte einen Hänger – und ließ die Vornamen aller Spender darauf schreiben.

Danach ging es los: Bei den Bayerischen Meisterschaften wurde sie bei ihrer Premiere gleich Dritte. Es folgten Turniere in Darmstadt, Rüsselsheim, Köln – und sogar in Aachen trat sie an. "In dem großen Stadion ist Colin ganz klein geworden. Aber er hat es phantastisch gemacht."

Ihr Traum? Mit der Para-Mannschaft nach L.A.

Im letzten Jahr wurde sie in Bayern Vize-Meisterin und wurde in den Dressur-Kader berufen. Und sie hat neue Träume: "2028 zur Olympiade nach Los Angeles – das wär’s", sagt sie lachend. Doch sie weiß, dass sie das mit Colin nicht schaffen wird. "Auch im Para-Sport kommst Du mit einem Pony ohne gute Gänge nicht weit." Was sie sich wünscht? "Wenn mir jemand ein Dressurpferd zur Verfügung stellen würde – das wäre cool. Vielleicht hat ein Züchter Spaß daran…"

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Denn zwei Pferde kann sie sich nicht leisten. Und Colin weggeben? "Niemals. Er bleibt bei mir." Dafür würde sie sogar auf ihre Träume verzichten: "Er hat alles für mich gegeben. Dafür werde ich auch alles für ihn geben…"  © Pferde.de