In einem Brief an die Deutsche Reiterliche Vereinigung und den Weltreiterverband nahmen sich Wissenschaftler zwei Turniere vor. Ihr Vorwurf: Dort wurden die Grenzen des Tierschutzes überschritten. Jetzt nimmt Ingrid Klimke Stellung…

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Auslöser für den Brief der Wissenschaftler waren die Turniere in Amsterdam und in Neumünster. Dort wurden Bilder von Reitern gemacht. Die Fotos sollen zeigen, dass der Einsatz der Kandare die Grenzen des Tierschutzes überschritten. Insgesamt liegen sieben Bilder dem Schreiben bei, darunter Aufnahmen von Charlotte Fry (England) und Patrik Kittel (Schweden). Und sie erklären auch, warum das Schreiben auch an die FN ging. Denn: Auf zwei Bildern sind zwei deutsche Mitglieder des Dressurkaders zu sehen – Isabell Werth und Ingrid Klimke…

Die FN reagierte auf den Brief und ging in die Defensive. "Wir nehmen dieses Schreiben ernst und prüfen derzeit die vorliegenden Informationen sorgfältig", so sagt Dr. Dennis Peiler, stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der FN und Geschäftsführer des Bereiches Sport. Gleichzeitig macht er klar, dass die Bilder allein für ihn nicht genug seien. "Fotos sind immer Momentaufnahmen. Fotos allein reichen daher nicht aus, um eine vollständige Bewertung vorzunehmen. Aus diesem Grunde werden wir zusätzlich das verfügbare Videomaterial sichten, um die Situationen im Gesamtzusammenhang beurteilen und einordnen zu können."

Klimke über Kandarenpflicht: Eine rein sportliche Angelegenheit?

Während die meisten betroffenen Reiter bislang schweigen, meldet sich Ingrid Klimke mit einem ausführlichen Statement zu Wort. Darin stellt sie klar: Sie begrüße die wissenschaftliche Diskussion – und stellt dabei eine grundlegende Frage: "Ist die Kandarenpflicht eine rein sportliche Angelegenheit oder betrifft sie das grundlegende Wohlbefinden des Pferdes?"

Klimke betont, dass die Bilder Momentaufnahmen seien: "Sie geben keinen konstanten Zustand wieder, sondern einen Sekundenbruchteil eines komplexen Bewegungsablaufs." Gleichzeitig sei sie auch offen für Veränderungen. Sollten wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass die Kandare das Wohlbefinden der Pferde beeinträchtigt, sollte offen diskutiert werden, ob die Kandaren-Pflicht im internationalen Sport notwendig ist.

Hier das vollständige Statement von Ingrid Klimke:

"Während der internationalen CDI-Turniere in Amsterdam und Neumünster wurden Momentaufnahmen von Teilnehmern angefertigt, die die aktuelle Debatte über das Wohlergehen der Pferde im Grand-Prix-Sport und speziell die Rolle der Kandare aufgreifen und anheizen.

In wissenschaftlichen Kreisen besteht die Besorgnis, dass die nach internationalem Reglement geforderte Kandarenzäumung zu einer potenziellen Beeinträchtigung des Pferdemaules führen kann. Gleichzeitig gibt es Bedenken, dass Praktiken, die dem Pferd schaden könnten, unbemerkt bleiben oder durch die aktuelle Bewertungspraxis im Dressursport sogar begünstigt werden.

Als Reiterin liebe ich unseren Sport und lebe die klassische Reitlehre, die ich von meinem Vater übernommen habe. Ich bin mir bewusst, dass unser Sport unter kritischer Beobachtung steht und unterstütze jede konstruktive Diskussion über das Wohlbefinden der Pferde.

Die Bilder sind Momentaufnahmen

Gleichzeitig ist mir wichtig zu betonen, dass die gezeigten Bilder Momentaufnahmen sind. Sie geben keinen konstanten Zustand wieder, sondern einen Sekundenbruchteil eines komplexen Bewegungsablaufs. Die Herausforderung für jeden Grand-Prix-Reiter besteht darin, die Grundsätze der klassischen Reitlehre jederzeit mit den aktuellen Anforderungen des Spitzensports in Einklang zu bringen – ein Balanceakt, der nicht in jedem Moment perfekt gelingen kann. Pferde sind keine Maschinen und Reiter sind nur Menschen. Natürlich ist es mein Ziel, meine Pferde in perfekter Anlehnung nach den Grundsätzen der klassischen Reitlehre zu präsentieren, mit dem Genick als höchstem Punkt und der Nase vor der Senkrechten, was mir nicht immer gelingt.

Die aktuelle Diskussion um die Kandarenpflicht im internationalen Dressursport muss sachlich geführt werden. Eine zentrale Frage lautet: Ist die Kandarenpflicht eine rein sportliche Angelegenheit oder betrifft sie das grundlegende Wohlbefinden des Pferdes?

Jeder kann sich selbst ein Bild machen

Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse nachweislich zu der Annahme führen, dass die Einwirkung mit der Kandare, im Vergleich zu anderen Gebissen wie zum Beispiel der Trense, das Wohlbefinden unserer Pferde beeinträchtigt, sollte eine offene Debatte über die Notwendigkeit der Kandarenpflicht im internationalen Spitzensport geführt werden. Wir wissen alle, dass Momente, insbesondere in Prüfungssituationen, die ein deutlicheres Einwirken auf das Pferdemaul notwendig machen, sei es, um eine Lektion in letzter Perfektion zu zeigen oder einfach nur, um die Sicherheit von Pferd und Reiter zu gewährleisten, vermutlich nie gänzlich zu vermeiden sein werden.

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Mein Ziel bleibt es, den Sport im Einklang mit dem Wohlbefinden der Pferde weiterzuentwickeln. Ich lade jeden ein, sich selbst ein Bild zu machen – durch offenen Austausch und transparente Trainingsmethoden, die zeigen, dass das Wohl des Pferdes immer an erster Stelle steht. Ich unterstütze den offenen, sachlichen und fairen Diskurs um wissenschaftliche Erkenntnisse, die unseren Sport verbessern und langfristig erhalten."  © Pferde.de