• Der Schlaf ist so alt wie die Tierwelt. Ohne den seltsamen Zustand in der Nacht würde unser Gehirn nicht funktionieren.
  • Er dient dazu, Nervenzellen zu regenerieren, das Gedächtnis zu optimieren und den Körper zu stärken.

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Alle Menschen und auch Tiere müssen schlafen. Doch warum hat die Evolution den Schlaf hervorgebracht? In den letzten Jahren und Jahrzehnten haben Forschende darauf Antworten gefunden: Während der Nachtruhe entsorgt das Gehirn Abfallstoffe, stärkt Gelerntes, verarbeitet Emotionen und entrümpelt überflüssige Erinnerungen. Wie das alles funktioniert und weshalb es unterschiedliche Schlafstadien gibt, ist inzwischen großenteils geklärt.

Rund ein Drittel unseres Lebens befinden wir uns in diesem körperlichen Ausnahmezustand: Die Sinne sind stark eingeschränkt, der Stoffwechsel ist heruntergefahren, das Bewusstsein weitgehend abwesend. Aus der Perspektive der Evolution ist Schlafen eine höchst gefährliche Angelegenheit, weil sie ein Lebewesen gegenüber Feinden extrem verletzlich macht. Und doch sind Schlaf und Traum so nötig wie Essen und Trinken.

Schlafentzug führt auf Dauer zu Halluzinationen, wird sogar als Foltermethode eingesetzt und endet im Extremfall mit dem Tod. Zudem fördert der Mangel an nächtlicher Ruhe Herz-Kreislauf-Krankheiten, Übergewicht, Diabetes und die Anfälligkeit für Infektionen. Der Schlaf ist ganz offensichtlich so ungeheuer wichtig, dass die Natur ihn einfach erfinden musste.

Manche Tiere schlafen mit nur einer Hirnhälfte

Und es sind ja nicht nur Menschen, die schlafen. Auch Tiere benötigen regelmäßige Ruhephasen – und das unter teils abenteuerlichen Umständen. Seltsam etwa wirkt der Anblick schlafender Pottwale, die durchschnittlich zwölf Minuten lang senkrecht stehend unter der Wasserlinie verharren, bevor sie endlich an die Meeresoberfläche kommen, um einen Atemzug zu nehmen. Rund sieben Prozent ihrer Zeit verbringen die grauen Meeresriesen in solchen Ruhephasen.

Delfine und manche Robben schlafen mit nur einer Hirnhälfte (und schließen das entsprechende Auge). Währenddessen wacht die andere Hirnhälfte, steuert den Körper, lässt ihn zum Atmen auftauchen und beobachtet die Umgebung. Selbst in der Luft wird geschlafen: Fregattvögel, die monatelang über das Meer fliegen, ohne zwischendurch auf dem Wasser zu ruhen, nutzen Aufwinde, um sich kilometerweit tragen zu lassen und sich dabei ein paar Minuten Schlaf zu gönnen.

Sogar Quallen müssen ruhen

Um herauszufinden, wann die Evolution den Schlaf hervorgebracht hat, haben Forschende sich im gesamten Tierreich umgeschaut – und dabei Erstaunliches entdeckt. Nicht nur Säugetiere sondern auch Reptilien, Fische und Insekten, ja selbst so einfach gebaute Wesen wie Fadenwürmer, Süßwasserpolypen (Hydra) oder Quallen benötigen schlafähnliche Ruhephasen. Das lässt im Grunde nur einen Schluss zu: Schlaf gibt es so lange wie die Tiere selbst (also seit mindestens 700 Millionen Jahren), vielleicht sogar schon seit mehr als einer Milliarde Jahren. Und er muss mit etwas zu tun haben, das allen tierischen Lebewesen gemeinsam ist. Denn bei anderen Organismen – etwa Pflanzen, Pilzen oder Bakterien – ließ sich ein entsprechender Zustand nicht nachweisen.

Die Spur führte zu den Nervenzellen (Neuronen), die nur Tiere besitzen. Diese hochspezialisierten Zellen kommunizieren untereinander mithilfe elektrischer Impulse. Auf diese Weise vermögen sie Sinneseindrücke zu verarbeiten, Gedanken und Gefühle zu erzeugen sowie Bewegungen zu steuern. Viele Forschende vermuten, dass die Nervenzellen immer wieder Phasen reduzierter Aktivität brauchen, um sich zu regenerieren. Eine Art Wartung, nach der sie wieder voll einsatzfähig sind.

Forscher beobachten Nervenzellen und machen erstaunliche Entdeckung

Und das ließ sich tatsächlich im Experiment bestätigen: Es gelang, im Labor isolierte Nervenzellen in einen schlafähnlichen Zustand zu bringen. Dazu ließen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Neuronen (zusammen mit sogenannten Gliazellen, die unter anderem für die Ernährung der Nervenzellen wichtig sind) auf einer mit Messfühlern ausgestatteten flachen Schale wachsen und sich miteinander vernetzen.

Sobald die Nervenzellen gereizt wurden, sendeten sie Signale an ihre Nachbarn, die diese wiederum weitergaben. Wurden die Neuronen aber lange genug traktiert, dann geschah Erstaunliches: Die Nervenzellen begannen plötzlich langsamer und im Gleichtakt zu feuern, mit regelmäßigen Pausen dazwischen. Sie zeigten somit ähnliche Erregungsmuster wie ein Gehirn im Schlaf. Offenbar waren die Neuronen erschöpft und ruhten sich auf diese Weise aus.

Träume kamen erst sehr viel später in die nächtlichen Ruhephasen

Doch eine Regeneration der Nervenzellen ist nicht die einzige biologische Funktion des Schlafes. Denn bei Tieren mit komplexer gebauten Gehirnen und bei Menschen zeigen sich unterschiedliche Phasen des Ruhebedürfnisses. Schon lange ist bekannt, dass sich in einer dieser Phasen die Augen unter den geschlossenen Lidern wild hin- und herbewegen. Deshalb wird sie heute REM-Schlaf (vom englischen "Rapid Eye Movement") genannt. In ihr ist auch die elektrische Aktivität des Gehirns – gemessen als EEG (Elektroenzephalogramm) – recht hoch und ähnelt der im Wachzustand. Ganz anders verläuft der sogenannte Non-REM-Schlaf, der zusätzlich in Leicht- und Tiefschlaf unterteilt wird.

Leichtschlaf ist ein Übergangsstadium zwischen Wach- und Schlafzustand, in dem wir immer mal wieder kurz aufwachen, ohne uns später daran zu erinnern. Im Tiefschlaf aber geschieht etwas Merkwürdiges: Dann feuern die Nervenzellen langsam und synchronisieren ihre Aktivität. Das EEG zeigt eine deutliche und vergleichsweise langsam auf- und niederschwingende Aktivität.

Gleichzeitig mit den unterschiedlichen Schlafphasen brachte die Evolution ein neues Phänomen hervor: den Traum. Beides hat wahrscheinlich mit dem Gedächtnis zu tun: Am Tag Erlebtes wird verarbeitet, neu gemachte Erfahrungen werden sortiert, unwichtige Erinnerungen gelöscht – und auf diese Weise Kapazitäten für neue Inhalte geschaffen.

An durchsichtigen Zebrafisch-Larven ließen sich unterschiedliche Schlafstadien nachweisen

Nicht nur Menschen, auch Säugetiere, Vögel und Reptilien zeigen solche unterschiedlichen Schlafphasen. Und offenbar kommt die komplexere Schlafstruktur selbst bei Fischen vor, deren Gehirne deutlich primitiver sind als die der landbewohnenden Wirbeltiere. Denn im Juli 2019 veröffentlichte ein Team um Louis Leung von der Stanford University die Ergebnisse von Studien an Zebrafisch-Larven, die die Forschenden zunächst unter Schlafentzug gesetzt und dann in der Ruhephase beobachtet hatten. Weil die jungen Fische durchsichtig sind, ließen sich deren Muskel- und Gehirnaktivität sowie der Herzschlag mithilfe eines Spezialmikroskops beobachten.

Heraus kam: Zunächst fielen die Tiere in eine Art Tiefschlafphase, bei der die Herzfrequenz von 200 auf 120 Schläge pro Minute abnahm, die Muskelspannung sank und die Gehirnaktivität langsame, synchrone Wellenschübe zeigte. Doch darauf folgte eine andere Phase: Die Muskelspannung ließ dramatisch nach, die Augenbewegungen verlangsamten sich, hörten schließlich ganz auf, der Herzschlag sank auf 90 je Minute, die Hirnstromwellen wurden ungeordnet.

Damit zeigen die Fische ähnliche Schlafphasen wie Säugetiere. Für Leung und sein Team sind das ganz klare Hinweise, dass sich die mehrphasige Schlafstruktur der Wirbeltiere bereits vor mehr als 450 Millionen Jahren entwickelte. Also noch bevor die Fische das Land eroberten und zu Amphibien (Lurche) wurden, aus denen dann Reptilien, Säugetiere und letztlich der Mensch hervorgingen.

Dank solcher Studien an Tieren sowie zahlloser Beobachtungen und Experimente an Menschen hat sich inzwischen ein detailliertes Bild des Schlafs und seiner Funktionen herausgeschält. Es zeigt, wie die einzelnen Phasen der nächtlichen Ruhe gesteuert werden und welchen biologischen Sinn das jeweils hat.

Wie das "Tor zum Bewusstsein" geschlossen und der Schlaf eingeleitet wird

Der Ablauf folgt dabei einer festgelegten Dramaturgie. Sie beginnt damit, dass sich unser Körper bereit macht für den Schlaf. Je weiter fortgeschritten der Abend ist, desto stärker schüttet die sogenannte Zirbeldrüse in unserem Gehirn das Hormon Melatonin aus. Dieser Wirkstoff folgt dem Tag-Nacht-Rhythmus des Menschen und sendet ein Nachtsignal in den Körper. Parallel zu seinem Ansteigen im Blut sinken Körpertemperatur und Blutdruck, der Stoffwechsel wird heruntergefahren, wir fühlen uns zunehmend müde. Langsam verblasst die Wahrnehmung, bis aus der Außenwelt kaum noch etwas ins Bewusstsein dringt.

Für dieses Schwinden ist eine zentral im Gehirn gelegene Region verantwortlich: Der sogenannte Thalamus. In ihm enden jene Nervenstränge, die Informationen aus dem Körper und der Außenwelt – Berührungen der Haut oder Geräusche etwa – zum Gehirn bringen. Damit wir sie bewusst wahrnehmen können, muss der Thalamus sie zur Großhirnrinde weiterleiten – jener Region, die etwa das aktive Nachdenken oder Reflektieren und eben auch das Verarbeiten von Sinnesreizen ermöglicht. Der Thalamus wird daher auch als "Tor zum Bewusstsein" bezeichnet.

Im Schlaf blockiert dieser Wächter nahezu sämtliche Reize. Lediglich besonders starke oder unbekannte Signale, die auf eine potenzielle Bedrohung hindeuten, dringen noch durch. Indem der Thalamus die Brücke zur Außenwelt abbricht, verschafft er dem Großhirn jene Ruhe, die es benötigt, um abzuschalten, und wir schlafen ein. Möglicherweise, so eine neue Theorie zweier Londoner Forscher, trägt auch eine Abkühlung des Körpers dazu bei, dass wir das Bewusstsein verlieren. Nervenzellen im Hypothalamus sorgen offenbar für diese Temperatur-Absenkung, die auch das Gehirn betrifft.

Während der Nachtruhe läuft ein gigantischer Reparaturbetrieb im ganzen Körper ab

Eine der Veränderungen, die unser Körper in den nächsten Stunden durchläuft, lässt sich mit einem gigantischen Reparaturbetrieb vergleichen. So schüttet das Gehirn im Schlaf Hormone aus, die dafür sorgen, dass sich unsere Körperzellen erneuern, Muskeln und Gewebe wachsen, Eiweißstoffe und frisches Blut produziert werden. Auch bildet der Körper neue Hautzellen: Wer ausreichend schläft, hat daher meist eine rosigere Gesichtsfarbe und sieht insgesamt erholter und frischer aus als übermüdete Zeitgenossen. Den Schönheitsschlaf gibt es also wirklich.

Ebenso wird das Immunsystem durch die nächtliche Hormonausschüttung angekurbelt. Es nimmt verstärkt den Kampf gegen Krankheitserreger auf – was erklärt, weshalb wir uns bei einer Erkältung oder Fieber oft erschöpft fühlen und ins Bett legen. Wunden heilen im Schlaf schneller als tagsüber, denn Wachstumshormone fördern die Selbstheilungskraft. Zudem fabriziert der Körper Nachschub an wichtigen Biomolekülen und entsorgt vermehrt schädliche Stoffwechselprodukte, etwa die aggressiven "freien Radikale", die unsere Erbsubstanz angreifen können.

Zudem bauen wir im Schlaf Stresshormone ab. Und zumindest bei Mäusen, vermutlich aber auch beim Menschen, existiert laut einer Studie vom Juni 2022 ein vom Gehirn gesteuertes Einschlafprogramm, das nach außergewöhnlichen sozialen Belastungen gezielt beim Abbau von Stress und Ängsten hilft.

Das Gehirn muss schrumpfen, um Abfall zu entsorgen

Vor allem im Gehirn aber findet im Schlaf ein erstaunlicher Erholungsprozess statt. In unserem dicht vernetzten Denkorgan fehlt aus Platzgründen das sogenannte "Lymphsystem", über das andere Körperzellen ihre Abfälle abgeben. Diese Aufgabe übernimmt hier die frei zirkulierende Hirn-Rückenmarks-Flüssigkeit, die sämtliche Nervenzellen umspült. Allerdings fließt sie deutlich langsamer als die Lymphe und kann daher gerade einmal das Gröbste entfernen und an die Blutgefäße abgeben. Am Tage häuft sich daher der Abfall in unserem Gehirn an.
Und zwar nicht zu knapp: Das Organ ist derart stoffwechselintensiv, dass es fast 20 Prozent der gesamten Energie unseres Körpers verbraucht, obwohl es gerade mal zwei Prozent unseres Gewichtes ausmacht. Allein zwei Drittel des hohen Energiebedarfs beanspruchen die Synapsen – also jene Komponenten der Nervenzellen, mit denen Informationen von einem Neuron auf das nächste übertragen werden. Für ihren Aufbau und ihre Instandhaltung müssen ständig spezielle Nährstoffe, Signalmoleküle, Eiweiße und Fette zur Verfügung gestellt und nach Verschleiß wieder entsorgt werden. Geschieht dies nicht in ausreichendem Maße, kann auch die Signalverarbeitung nicht reibungslos funktionieren. Nach einer langen Wachphase hat sich also eine gewaltige Menge an Reststoffen angesammelt, die das Gehirn wieder entfernen muss.

Die Lösung für das Problem offenbart sich im Tiefschlaf: Dann nämlich schrumpfen bestimmte Zellen im Hirn, die Gliazellen, sodass der Raum zwischen den Neuronen um 60 Prozent zunimmt. Dadurch kann die Hirnflüssigkeit leichter zwischen die Nervenzellen dringen, sie optimal umspülen und abgesonderte Abfallstoffe aufnehmen. Dieser Müll wird abtransportiert und über das Blut entsorgt.

Synapsen sind Energiefresser und neigen zur Übererregbarkeit

Auch die Synapsen durchlaufen in der Tiefschlafphase einen Erholungsprozess. Die italienischen Hirnforscher Chiara Cirelli und Giulio Tononi haben dazu eine interessante Hypothese formuliert. Demnach sind Synapsen zum einen "Energiefresser", zum anderen wird die Signalübertragung in Synapsen immer besser, je öfter ein Impuls weitergeleitet wird. Das ist die Grundlage aller Lernvorgänge. Doch eine zu leichte Weiterleitung kann zu einer Übererregung ganzer Hirnareale führen und so epileptische Anfälle auslösen.

Aus diesen Gründen müssen die Synapsen "heruntergeregelt" werden – und genau das geschieht im Tiefschlaf. Dieser Vorgang könnte auch das Auftreten der langsamen "Delta-Wellen" im Tiefschlaf erklären, denn da die Nervenzellen in diesem Zustand ihre elektrische Aktivität synchronisieren, sind die Synapsen alle gleichzeitig entweder aktiv oder pausieren. Das würde ihre Abschwächung und ihren Abbau erleichtern. Insgesamt werden die Synapsen also gedämpft, doch die häufig benutzten bleiben stärker.

Neu Gelerntes wird nachts ins Langzeitgedächtnis übertragen

Das aber ist nicht alles: Manche Synapsen werden im Schlaf auch verstärkt. Das Gehirn speichert neue Informationen im wachen Zustand zunächst im Hippocampus, einer Hirnregion, die für das Lernen unerlässlich ist. Im Schlaf werden die neuen Informationen nochmals aktiviert und dieselben Neuronen feuern in derselben Reihenfolge. Dabei regen sie auch Zellen der Hirnrinde an, in der sich das Langzeitgedächtnis befindet – und speichern die Informationen. Das am Tag Gelernte wird also nachts ins Langzeitgedächtnis umgeschrieben.

Und es geschieht noch mehr: Das Gehirn sortiert das Gedächtnis, arbeitet alte Erinnerungen auf, sucht nach Gemeinsamkeiten zwischen Altbekanntem und Neuem und ordnet die zusätzlich erworbenen Informationen in den bestehenden Wissensschatz ein. So vergrößern sich unsere Kenntnisse von der Welt mit jeder Nacht.

Vieles davon passiert in der Tiefschlaf-Phase, die etwa 20 bis 40 Minuten andauert. Ihr folgt nach einem kurzen Leichtschlaf-Intermezzo der REM-Schlaf.

Im Traumschlaf verbraucht das Gehirn enorm viel Energie

Sobald ein Mensch in die REM-Phase eintritt, erhöht sich die Frequenz der Ausschläge im EEG dramatisch, als würde der oder die Schlafende jeden Moment erwachen. Doch stattdessen beginnen die Augen wild unter den geschlossenen Lidern hin- und herzurollen. Zudem schnellen Puls und Blutdruck in die Höhe, die Atmung beschleunigt sich und das Gehirn verbraucht so viel Sauerstoff wie im Wachzustand oder gar noch mehr.

All dies geschieht, weil wir lebhaft träumen. Zwar fantasieren wir mehr oder weniger in allen Schlafphasen, aber in keiner anderen sind unsere Träume so intensiv, fesselnd und ereignisreich wie im REM-Schlaf. Das belegen die Berichte von Menschen, die nachts geweckt und nach ihren Erlebnissen gefragt wurden. Die REM-Phase wird daher oft mit dem Traumschlaf gleichgesetzt.

Weshalb wir beim Träumen quasi gelähmt sind

Die ausgeprägte Lebhaftigkeit ist wohl auch der Grund für eine weitere Besonderheit des REM-Schlafs: Während wir uns in der übrigen Nacht oft hin- und herwälzen und unsere Position verändern, erschlaffen unsere Gliedmaßen in dieser Phase komplett. Wir sind praktisch gelähmt. Denn jene Nervenfasern, die über das Rückenmark zur Körpermuskulatur verlaufen und sie antreiben, werden vom Gehirn blockiert. Diese Lähmung soll den Schlafenden vermutlich schützen. Sie verhindert, dass wir uns im Bett so bewegen, wie wir es uns in wilden Träumen gerade ausmalen.

Der biologische Sinn der bizarren Fantasien war lange ein Rätsel. Inzwischen existieren mehrere Erklärungsansätze. Manche Forscher fanden etwa Belege, dass wir mithilfe der nächtlichen Fiktionen am Tage Erlebtes emotional verarbeiten, neue Einsichten gewinnen und womöglich so manches Problem auf freiere, assoziativere Art – ohne Einmischung des Verstandes – bearbeiten. Andere glauben, dass wir uns im geschützten Umfeld der Träume unseren Ängsten und Wünschen stellen und uns für kommende Herausforderungen wappnen.

Der REM-Schlaf stärkt positive Emotionen und verhindert Traumata

Dass der REM-Schlaf für die Verarbeitung von Emotionen wichtig ist, konnte jüngst ein Team um den Berner Neurophysiologen Antoine Adamantidis von der Universität Bern mit Experimenten an Mäusen nachweisen. Demnach sortiert das Gehirn während des REM-Schlafs Emotionen, um dabei positive Gefühle zu verstärken und die Entstehung traumatischer Erinnerungen zu verhindern.

Dabei entdeckten die Forschenden einen verblüffenden Mechanismus an den Nervenzellen: Während des REM-Schlafs werden deren Zellkörper deaktiviert. Die feinen Verästelungen jedoch, mit denen die Neuronen – über die Synapsen – Kontakte zu anderen Nervenzellen herstellen, sind aktiv wie im Wachzustand. Durch diese Entkoppelung könne das Gehirn positive und negative Gefühle unterscheiden und eine Überreaktion auf Emotionen, etwa auf Gefahr, verhindern. Das würde, so die Forschenden, neue Ansätze für die Behandlung traumatischer Erinnerungen eröffnen.

Die REM-Phase bildet den Abschluss eines Schlafzyklus, von denen wir jede Nacht etwa vier bis fünf durchlaufen. Der erste dauert rund eineinhalb Stunden, die folgenden sind kürzer, wobei vor allem der Tiefschlaf abnimmt. Die REM-Phase dagegen wird zum Morgen hin immer länger und damit traumreicher.

Unter seinen Verwandten ist der Mensch der größte Träumer

Überraschenderweise ist der Mensch unter seinen direkten Verwandten, den Affen, derjenige mit dem meisten REM-Schlaf, ermittelten zwei Forscher der Duke University in North Carolina. Rund 22 Prozent seiner Nachtruhe verbringt er in dieser Phase – obwohl er insgesamt nicht länger schläft als seine tierischen Vettern. Viele Affen schlummern sogar ausgiebiger.

Die Forscher erklären sich diese Unterschiede mit der Evolution der Gattung Homo. Als die Menschenvorfahren von einem Leben auf Bäumen zu einem Dasein in der Savanne wechselten, waren sie sehr viel größeren Gefahren durch Raubtiere – etwa Leoparden und Hyänen – ausgesetzt. Doch auch Konflikte zwischen verfeindeten Gruppen erforderten eine erhöhte Wachsamkeit. So wurde der menschliche Schlummer kurz, tief und hocheffizient.
Und während die Länge der Erholungszeit insgesamt abnahm, wurden die Phasen des Träumens immer ausgedehnter. Offenbar sind die nächtlichen Fantasien für den Menschen von besonderer Bedeutung. Sie könnten helfen, am Tage Erlebtes zu verarbeiten und geistige Fähigkeiten wie Vorstellungsvermögen, Kreativität, strategische Planung und Innovationskraft zu stärken.
Womöglich haben sie auf diese Weise zur Intelligenzentwicklung des Homo sapiens beigetragen. Auch unsere Träume könnten uns also zu dem gemacht haben, was wir sind: besonders begabte Tiere.

Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

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