Neun Milliarden Menschen könnten 2050 auf unserem Planeten leben. Sie alle müssen versorgt werden - mit Nahrungsmitteln, Energie, Medizin und etlichem mehr. Lösungen für die anstehenden Probleme könnte das Pflanzenreich bieten.
Gesundheit, Ernährung, Energie - schon jetzt werden Pflanzen vielfältig verwendet. Noch immer aber warte ein Füllhorn von Substanzen darauf, entdeckt und genutzt zu werden, sind die US-Biologen Eleanore Wurtzel und Toni Kutchan überzeugt. Interessant seien zudem bisher unbekannte Wege im Stoffwechsel, über die sich bestimmte Stoffe herstellen lassen könnten. Erst etwa 15 Prozent der geschätzt 350.000 Pflanzenarten seien auf ihre chemischen Bestandteile hin untersucht. Jede neue Entdeckung eines Enzyms oder einer Reaktionskette habe das Potenzial, die Medizin, den Bereich Bioenergie oder die Landwirtschaft entscheidend voranzubringen.
Schon seit Jahrtausenden sind Pflanzen nicht nur Nahrungsmittel. Die Sumerer hätten bereits 3400 v. Chr. Schlafmohn - Quelle des Rauschgifts Opium - für medizinische Zwecke genutzt, führen Wurtzel von der New Yorker City University und Kutchan vom Donald Danforth Plant Science Center in St. Louis im Fachmagazin "Science" aus. Weitere Beispiele seien bis heute zeremoniell zum Färben der Hände und Fußsohlen genutzte Pflanzenextrakte des Hennastrauchs oder das schon in der Antike als Duftstoff genutzte Rosenöl. Baumwolle werde schon seit Jahrtausenden für Kleidung verwendet, Papyrus zum Schreiben.
Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind wichtige Ziele
Mit den immer besseren Analysemethoden ließen sich interessante Substanzen und besondere Produktionswege von Pflanzen schneller und einfacher aufspüren, erklären die Forscher. Auf dieser Basis seien in den vergangenen Jahren Kartoffelknollen und Tomatenfrüchte mit geringerem Gehalt an giftigen Steroidalkaloiden entwickelt worden. Bei anderen Pflanzen sei der Gehalt an Vitaminen oder in der Medizin verwendeter Stoffe erhöht worden. Zudem würden pflanzliche Produktionswege auf Bakterien oder Pilze übertragen und zur effizienteren Produktion etwa von Aromastoffen wie Vanillin und Wirkstoffvorläufern wie Thebain genutzt.
Die Technik von morgen werde Superpflanzen mit einem Mix gezielt eingebrachter Eigenschaften anstreben - eine Multivitamin-Frucht zum Beispiel, noch erweitert um medizinisch wirksame Inhaltsstoffe und an das sich wandelnde Klima angepasst. Dafür sei allerdings ein fundamentales Wissen über die vielen Reaktions- und Regulationsketten nötig, das erst noch erlangt werden müsse. "Der Stoffwechsel für die Nutzpflanze der Zukunft wird durch präzises Gene Editing und die Übertragung kompletter Reaktionswege auf künstliche Chromosomen kreiert."
Einige Wissenschaftler sehen vor allem Nachhaltigkeit und Umweltschutz als wichtige Ziele an. Die nächste Innovationswelle bei der Pflanzenentwicklung müsse helfen, mit Bevölkerungswachstum und Klimawandel umzugehen, betonen Forscher um Joseph Jez von der Washington University in St. Louis. Die Fortschritte der vergangenen Jahre hin zu Pflanzen, die zum Beispiel Phosphor und Stickstoff besser verwerten oder mehr Kohlenstoff aufnehmen können, ließen darauf hoffen, die Landwirtschaft künftig nachhaltiger gestalten und Umwelteinflüsse vermindern zu können. Ein wichtiger Punkt sei auch der Wasserverbrauch: Derzeit entfielen auf die Bewässerung von Feldern 70 Prozent des globalen Süßwasserbedarfs.
Schätzungen gingen davon aus, dass die landwirtschaftliche Produktion im Zuge des Bevölkerungswachstums bis 2050 um 70 Prozent zulegen müsse, schreiben die Forscher um Jez. Dies gehe mit großen Herausforderungen einher, den Schaden für die Umwelt gering zu halten und mit Wasser und anderen Ressourcen zu haushalten - dies alles auch noch bei sich verändernden Klimabedingungen. Vielfach drohten mit der Intensivierung der Landwirtschaft vor allem in aufstrebenden Ländern ein verstärkter Düngemitteleinsatz, verschlechterte Bodenqualität, Wassermangel, Versalzung, Chemikalieneintrag und ein Verlust an Artenvielfalt.
Effizienter wachsende Pflanzen müssen geschaffen werden
Die derzeitigen Anbaumethoden benötigten große Energiemengen für Bodenbearbeitung, Bewässerung sowie Pestizid- und Düngemitteleinsatz und gingen dadurch zudem mit dem Ausstoß von Treibhausgasen einher, heißt es in dem Beitrag weiter. "Ohne Stickstoffdüngung würde die Landwirtschaft weniger als die Hälfte der derzeitigen Weltbevölkerung ernähren", nennen die Forscher ein Beispiel. Mit dem herkömmlichen Haber-Bosch-Verfahren würden jährlich rund 118 Millionen Tonnen Stickstoff produziert, fast die Hälfte davon werde im Weizen- Reis- und Maisanbau verbraucht. Der Prozess sei extrem energieaufwändig und trage erheblich zum Treibhausgasausstoß bei. Zudem schade die Überdüngung der Felder Ökosystemen an Land und im Wasser.
"Ein Weg, solche Einflüsse zu vermindern, ist die Entwicklung von Pflanzen, die Nährstoffe effizienter nutzen, mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre holen und die Boden- und Wasserqualität erhalten." Eine Pflanze, die Stickstoff effizienter nutze, verringere zum Beispiel die nötige Düngermenge, damit einhergehend den Energieaufwand und die Treibhausgas-Emissionen bei der Synthese und zudem auch den Stickstoffeintrag in Böden und Gewässer. Bereits gentechnisch geschaffen worden eine Rapsvariante, die 40 Prozent weniger Dünger als die Ursprungspflanze benötige, schreibt Jez' Team in "Science".
Gänzlich neu sei die Herausforderung nicht, effizienter wachsende Pflanzen zu schaffen, betonen die Forscher. Seit jeher sei es bei den Fortschritten der Landwirtschaft letztlich darum gegangen, die gesamte Menschheit ernähren zu können. Neu seien jedoch die Geschwindigkeit des Bevölkerungswachstums und der Klimawandel. Die landwirtschaftliche Produktion werde in den kommenden Jahrzehnten sicher an ihre Grenzen getrieben, sind die Wissenschaftler überzeugt. Zugleich lieferten verbesserte gentechnische und mikrobiologische Verfahren jedoch auch rascher neue Ansätze und eine neue Generation von Pflanzen.
Nach wie vor große Probleme
Seit das erste Pflanzengenom im Jahr 2000 vollständig entziffert wurde, sei die Menge gewonnener Erbgutdaten immens angewachsen. In der Folge kämen rascher neu selektierte Pflanzenzüchtungen auf den Markt. Parallel hätten sich die Möglichkeiten verbessert, das Wachstum von Pflanzen und ihre Nährstoffaufnahme in großem Maßstab über Sensoren oder via Satellit zu erfassen.
Nur beschränkte Erfolge gebe es bisher dabei, Nutzpflanzen mit deutlich verringertem Wasserbedarf zu kreieren, erläutert das Team um Jez. Zum einen seien sehr viele Gene in diese Prozesse involviert, zum anderen gebe es kaum natürliche Varianzen bei der Trockentoleranz einer Art, die man nutzen könnte. Auch beim umgekehrten Ansatz - überschwemmungstoleranten Pflanzen - gebe es bisher keine allzu beeindruckenden Ergebnisse.
"Im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts hat sich die Landwirtschaft weg von der Kompetenz regionaler Bauern hin zu einem globalen Unterfangen entwickelt", schreiben die Forscher in "Science". Die Nahrungsmittelproduktion sei revolutioniert worden. Große Probleme aber gebe es noch immer - hinsichtlich der Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit intensiver Landwirtschaft. Dabei gelte es in den nächsten Jahren mit Hilfe neuer Pflanzensorten Fortschritte zu machen.
Die Beispiele vergangener Jahre zeigten, wie viel Anpassung bei Pflanzen dank moderner Methoden möglich sei, betonen die Forscher um Jez. "Noch abzuwarten ist, ob wir unser Verständnis über Pflanzen schnell genug dafür nutzen können, die aus neun Millionen Menschen im Jahr 2050 resultierenden Herausforderungen zu bestehen." © dpa
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