Die zunehmende Erwärmung der Erde ist an nichts so deutlich ablesbar wie am Abschmelzen der Gletscher. Deren Verschwinden schreitet unaufhaltsam voran und bedroht das Überleben des Planeten und seiner Bewohner. Die schreiben Berichte darüber, die jedes Jahr alarmierender klingen.
Im Sommer brennen in Alaska und Sibirien Tausende Quadratkilometer Tundra und Taiga. In weiten Teilen der Arktis werden neue Hitzerekorde verzeichnet. Und in Island schmilzt ein Gletscher derart ab, dass er nicht mehr als Gletscher gilt.
Der World Ocean Review will die Menschen wachrütteln
"Auch 2019 belegen die Satellitenbeobachtungen den fortschreitenden Verlust großer Meereisgebiete in der Arktis", schreibt der Vorsitzende des Konsortiums Deutsche Meeresforschung (KDM), Prof. Ulrich Bathmann, in einem Vorwort für den sechsten World Ocean Review (WOR). Dieser wurde am Donnerstagabend in Berlin vorgestellt.
Der Verleger des Mareverlags und Initiator des World Ocean Review, Nikolaus Gelpke, betont in seinem Vorwort: "Wir verdeutlichen nicht nur die erschreckende Bedrohung dieser sensiblen Ökosysteme, sondern wir veranschaulichen auch ihre maßgebliche Rolle für die Lebensfähigkeit unseres Planeten in der Zukunft."
Der gut 300 Seiten starke Bericht "trifft den Nerv der Zeit und leistet einen wesentlichen Beitrag zur gesellschaftspolitischen Debatte im Meeres- und Küstenschutz", sagt Schleswig-Holsteins Umweltminister Jan Philipp Albrecht von den Grünen.
Im vergangenen Sommer bereits hatte der Minister interessierten Nutzern auf Facebook in einem Frage-und-Antwort-Spiel seine Ansichten zu effektivem Klimaschutz erläutert.
Bis politische Maßnahmen aber beschlossen sind und greifen, um eventuell das Gletschersterben in der Arktis zu verlangsamen, ist sie möglicherweise in ihrer heutigen Form verschwunden.
Wer den Klimawandel sucht, schaut in die Arktis
Die Arktis ist in den vergangenen Jahrzehnten zum "Hotspot" des Klimawandels geworden. Sie erwärme sich mehr als doppelt so schnell wie die restliche Welt, heißt es im WOR.
Auslöser sind demnach komplexe Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Land, Meer und schwindendem Eis. Die Polarregionen erscheinen vielen Menschen weit weg. Doch sie seien viel mehr als nur weit entfernte Eismassen, wie die Professorin und Co-Sprecherin des Kieler Forschungsnetzwerks Future Ocean, Nele Matz-Lück, sagt.
Veränderungen dort hätten große Auswirkungen auf das Klima weltweit. "Wir alle hängen unmittelbar von der Stabilität der Polarregionen ab."
Der Rückgang des Meereises beeinflusst unser Wetter
So beeinflusse der Rückgang des Meereises in der Barents- und Karasee negativ die Stärke und den Verlauf des Jetstreams über der nördlichen Hemisphäre und nehme damit auch indirekt Einfluss auf das Wetter in den mittleren Breiten, heißt es im WOR. Der Jetstream ist eine wellige Luftströmung in großer Höhe.
Zur besonderen Gefahr kann auch die beschleunigte Eisschmelze in der Antarktis werden. Dem WOR zufolge hat sich der Gesamteisverlust in der Antarktis seit 2012 verdreifacht.
Gestiegen sei auch der Beitrag zum globalen Meeresspiegelanstieg, der ebenfalls an Geschwindigkeit zunimmt: "Dieser fällt mit 3,3 Millimetern pro Jahr inzwischen doppelt so hoch aus wie noch im Jahr 1990."
Experten gehen zudem von einer weitreichenden Beeinträchtigung der Pflanzen- und Tierwelt durch zunehmenden (touristischen) Schiffsverkehr aus.
Neuer Streit um die Erdressourcen ist vorprogrammiert
Das Wegschmelzen des Eises schafft auch noch nicht absehbare geopolitische Problematiken. Abbaubare Ressourcen in vormals unzugänglichen Regionen würden zugänglich, neue Fischfanggebiete sowie kürzere Schifffahrtswege erschlossen, deren Nutzungsrechte am und unter dem Meeresboden insbesondere im arktischen Polarmeer noch nicht abschließend geklärt sind, schreiben die Sprecher des Forschungsnetzwerks Future Ocean in ihrem gemeinsamen Vorwort.
Die Seerechtsexpertin Matz-Lück sieht das wachsende Interesse, die Arktis auf vielfältige Weise kommerziell zu nutzen, kritisch. "Es ist ja eine gewisse Ironie, dass gerade die Auswirkungen des Klimawandels, wie der Rückzug des Eises, überhaupt erst die Förderung von Öl und Gas in der Arktis ermöglichen", sagt die Juristin.
Schließlich führe dies dazu, dass noch mehr fossile Brennstoffe verbrannt werden, was zu noch größeren Effekten auf das Klima in der Zukunft führen wird. (hau/dpa)
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