Die Erde steht unter dem Einfluss von El Niño, einem Wetterphänomen, das die Temperaturen in die Höhe treibt. Neue Forschungsergebnisse lassen darauf schließen, dass El Niño aber nicht nur natürlich entsteht, sondern mittlerweile auch durch menschliche Aktivitäten beeinflusst wird.
Seit einigen Monaten steht die Erde wieder unter dem Einfluss des Wetterphänomens El Niño. Auch im Jahr 2024 wird sich das Phänomen wohl auf die globalen Temperaturen auswirken. El Niño und sein Gegenstück La Niña gelten als natürlich und haben nichts mit dem menschgemachten Klimawandel zu tun. Allerdings kann El Niño die Erderwärmung verschärfen.
So bislang die Annahme.
Zwei wissenschaftliche Studien unter der Leitung von Paul Wilcox vom Institut für Geologie an der Universität Innsbruck zeigen, dass diese Annahme womöglich nicht mehr korrekt ist. Seine Forschungsergebnisse machen deutlich, dass El Niño über längere Zeiträume auf natürliche Faktoren reagierte – und seit den 1970er-Jahren offenbar auch auf menschliche Aktivitäten.
Im Interview spricht der Geologe und Klimaexperte über seine Forschungsergebnisse und erklärt, weshalb Höhlen in Alaska eine ganze Menge über das damalige und heutige Klima aussagen.
Was sind El Niño und La Niña?
- El Niño und La Niña sind wiederkehrende Wetterphänomene, die es bereits vor dem menschgemachten Klimawandel gab und die phasenweise auftreten. In einer El-Niño-Phase erwärmt sich der Ostpazifik, in einer La-Niña-Phase kühlt er sich ab. Die Phasen können auf jährlicher Basis hin- und herpendeln, sich in einem neutralen Stadium befinden oder aufeinander folgen.
- El Niño Southern Oscillation (ENSO) ist die vollständige Bezeichnung für diese Schwingung. In El-Niño-Jahren verkleinert sich der Luftdruckunterschied zwischen dem östlichen und westlichen Pazifik deutlich. Er kann sich sogar umdrehen. Dabei ermatten die Passatwinde oder fallen aus. Der Humboldtstrom lässt nach und der Ostpazifik erwärmt sich, also die Westküste Südamerikas. Deshalb steigen in El-Niño-Jahren die Temperaturen weltweit in der Regel an. Wodurch das El-Niño-Phänom ausgelöst wird, lässt sich bislang nicht sagen.
Herr Wilcox, El Niño hat im Jahr 2023 wieder eingesetzt. Das Phänomen heizt alle paar Jahre den Pazifik auf, wodurch sich die globale Mitteltemperatur erhöht. 2023 hatten wir neue Temperaturrekorde, auch 2024 dürfte folglich ein heißes Jahr werden. Unterstützt El Niño den Klimawandel?
Paul Wilcox: El Niño ist in der Regel mit wärmeren globalen Temperaturen verbunden, La-Niña-Jahre sind eher das Gegenteil. Es hat sich gezeigt, dass wärmere Gewässer im östlichen Pazifik, die mit El-Niño-Ereignissen in Verbindung stehen, zur derzeitigen Klimaerwärmung beitragen. Deshalb: Ja, ich würde sagen, dass El Niño den Klimawandel verstärkt.
Wie viel wissen wir eigentlich über El Niño? Schließlich man hat in Peru und anderen südamerikanischen Ländern, in denen das Phänomen am deutlichsten zu spüren ist, erst vor 70 oder 80 Jahren begonnen, Wetteraufzeichnungen zu machen.
Das ist ein guter Punkt. Das El-Niño-Phänomen geht ursprünglich auf peruanische und chilenische Fischer zurück, die dieses Phänomen typischerweise im Dezember bemerkten. Und so begannen sie, vor mehr als 80 Jahren darüber zu berichten. Aber die instrumentellen Aufzeichnungen der Meeresoberflächentemperaturen begannen tatsächlich vor etwa 80 Jahren. Es ist generell zeitlich begrenzt, wie weit wir mit den menschlichen instrumentellen Rohdaten zurückgehen können. Sie reichen nur maximal 150 Jahre zurück.
"Wir können tatsächlich sagen, dass diese Veränderung in den 1970er-Jahren vom Menschen verursacht wurde."
In Ihrer Forschungsarbeit heißt es: "Durch Anwendung eines Korrelationstests stellen wir fest, dass ENSO in den letzten ∼3.500 Jahren erheblich von der Sonneneinstrahlung beeinflusst wurde. Diese Beziehung löste sich nach ∼1970 n. Chr. auf, und ENSO wird nun von anthropogenen Einflüssen dominiert." Was genau bedeutet das?
Das war eine unserer wichtigsten Erkenntnisse: Die Sonne hat das El-Niño-Phänomen bis etwa 1970 maßgeblich beeinflusst. Dann änderten sich die Aufzeichnungen völlig und folgten nicht mehr dem Sonneneinfluss. Es ist naheliegend, dass der Mensch dafür verantwortlich war. Vor ein paar Wochen haben wir eine weitere Studie veröffentlicht, in der wir die Aufzeichnungen auf den Zeitraum bis vor 13.500 Jahren ausgedehnt haben, und wir sehen immer noch nichts, was mit den 1970-er Jahren vergleichbar wäre. Wir können tatsächlich sagen, dass diese Veränderung in den 1970er-Jahren vom Menschen verursacht wurde.
Wie genau haben Sie das herausgefunden?
Wir verwenden die sogenannte Sauerstoffisotopenzusammensetzung, um diese Veränderung festzustellen. Diese stammt hauptsächlich aus dem Niederschlag und wird im Gestein unseres Untersuchungsgebiets "eingeschlossen". Außerdem verwenden wir auch Spuren von Wasser, das in diesen Tropfsteinen eingeschlossen ist. Wir haben also zwei Signale: eines für die Temperatur und eines für den Niederschlag. Sie sind statistisch gesehen für die meisten der 3.500 Jahre korrelativ. In den 1970er-Jahren gehen sie [die Signale; Anm.d.Red.] in entgegengesetzte Richtungen. Das war der Hauptbeweis, weshalb wir sagen, dass dies nicht mehr natürlich war.
Für Ihre Forschung haben Sie Ablagerungen in Höhlen, sogenannte Speläotheme, in Alaska untersucht. Was sagen Höhlen in Alaska über ein Phänomen aus, das in Südamerika stattfindet?
Wir hatten eigentlich nicht erwartet, dass der ursprüngliche Forschungsplan des Projekts eine so bemerkenswerte Korrelation mit dem tropischen Pazifik aufweist. Wir hatten eher einen Zusammenhang mit dem Nordatlantik erwartet. Aber als wir diese Tests durchgeführt und mit Paläoaufzeichnungen und Daten verglichen hatten, stellten wir fest, dass die Oberflächentemperaturen des tropischen Pazifiks stark korrelierten. Es gibt also eine Verbindung zwischen dem tropischen Pazifik und unserer Studie im Südosten Alaskas.
Wie genau läuft eine solche Höhlenerkundung ab?
Wir mussten zu sehr abgelegenen Höhlen in Alaska reisen, um die Tropfsteine zu bergen und sie dann in die Labore der Universität Innsbruck transportieren. Wir schneiden die Tropfsteine, die so genannten Speläotheme, in zwei Hälften, um ihre innere Struktur zu studieren. Oft sehen wir ein Muster, das Baumringen ähnelt, mit vielen kleinen Schichten des Wachstums. Der Prozess ist natürlich anders, aber man kann anhand dieser Wachstumsschichten eine Art Geschichte erzählen.
Wie "lesen" Sie diese Speläotheme?
Im Tropfstein selbst ist die jüngste Schicht, die ältesten sind am Boden. Dann entnimmt man Tausende von winzigen Proben entlang eines Tropfsteins und analysiert deren Zusammensetzung, die uns weit in die Zeit zurückblicken lässt - bis zu 3.500 Jahre. Wir datieren auf Grundlage einer Technik, die Uran-Thorium-Datierung genannt wird. So können wir genau bestimmen, wann die Veränderungen stattgefunden haben.
Aber wäre es nicht wichtig, auch Tests in anderen Ländern durchzuführen, um einen Überblick zu erhalten?
Auf jeden Fall. Das Problem besteht darin, passende Proben zu bekommen. Forscher versuchen das schon seit mehr als 30 Jahren. Es ist äußerst schwierig, aber wir hatten das Glück, Proben zu haben, die alle Voraussetzungen für eine vollständige El-Niño-Klimarekonstruktion erfüllten.
Viele, die den vom Menschen verursachten Klimawandel nicht anerkennen, argumentieren, dass es schon immer Klimaschwankungen gegeben hat. Wie erklären Sie, dass diese jüngsten Schwankungen vom Menschen verursacht sind?
Unsere Arbeit trägt dazu bei, den Klimawandel zu erklären, indem sie zeigt: Ja, es gibt natürliche Klimaschwankungen, und das war bekannt. Aber mit dieser Arbeit haben wir handfeste Beweise dafür, dass die Veränderungen in den 1970er-Jahren und die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen die natürlichen Schwankungen überlagern. Wir befinden uns in einer neuen Art von Klimazustand. Klimaskeptiker verwenden das Argument der natürlichen Variabilität oft, um die menschengemachte Erwärmung zu leugnen. Unsere Studie zeigt, dass es eine vom Menschen verursachte Veränderung gibt, zumindest in Bezug auf El Niño.
"Anhand unserer Daten kann ich [...] sagen, dass es in Zukunft mehr solcher El-Niño-Ereignisse geben könnte."
2023 und 2024 sollen El-Niño-Jahre sein. Normalerweise beginnt das Phänomen im Dezember. Was haben wir zu erwarten?
Das ist schwer zu sagen, weil der Mensch das Klima so stark verändert hat. Als Paläo-Klimaexperten versuchen wir, Analogien in der Vergangenheit zu finden, die uns helfen, vorherzusagen, was mit der Erwärmung passieren wird. Aber das ist sehr schwierig, weil sich die Dinge so schnell ändern und es nichts gibt, womit wir die Vergangenheit vergleichen können. Anhand unserer Daten kann ich nur sagen, dass es in Zukunft mehr solcher El-Niño-Ereignisse geben könnte.
Können wir davon ausgehen, dass der bevorstehende El Niño den Klimawandel weiter beschleunigen wird?
Ich würde sagen, dass sich die Erwärmung durch ein El-Niño-Jahr noch verstärken wird. Allerdings basiert meine Arbeit in der Regel auf längerfristigen Veränderungen und nicht auf einzelnen El-Niño-Ereignissen.
Wenn man über El Niño spricht, sagen die Menschen in Europa vielleicht: "Ich bin ja gar nicht betroffen." Ist das so?
Nein, El Niño ist ein globales Phänomen. Es gibt ein Zitat des Physikers Tim Palmer, der ein Pionier auf dem Gebiet der Wetter- und Klimavorhersage war: "Die Temperatur in Spitzbergen reagiert empfindlicher auf den tropischen Pazifik als auf den Nordatlantik." Bedeutet: Der tropische Pazifik spielt zumindest für Nordeuropa eine große Rolle. Und ein Großteil des globalen Klimas wird vom tropischen Pazifik verursacht. Ich würde sogar behaupten, dass er der Klimamotor der Welt ist.
Wie geht es weiter mit Ihren Forschungen?
Ich will den aktuellen Datensatz noch weiter in die Vergangenheit verlängern. Bislang bin ich 13.500 Jahre zurückgereist und ich würde gerne noch viel weiter zurück. Ich möchte herausfinden, ob diese Prozesse auch in der Vergangenheit stattgefunden haben, insbesondere während der letzten Warmzeit auf der Erde, vor etwa 125.000 Jahren.
Das ist eine lange Zeitspanne. Lässt sich bereits sagen, wann El Niño begonnen hat?
Da gibt es unterschiedliche Theorien - und keine stichhaltigen Beweise. Einige Studien deuten jedoch darauf hin, dass El Niño vor etwa 3,5 Millionen Jahren entstand, als sich der Isthmus von Panama schloss. Dadurch wurde die Vermischung von Atlantik- und Pazifik-Wasser im Wesentlichen blockiert, was die Meeresströmung veränderte. Das ist eine der führenden Ideen, wann El Niño und La Niña in ihrer heutigen Form auftraten.
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Über den Gesprächspartner
- Der US-amerikanische Forscher Dr. Paul Wilcox ist Teil der Quaternary Research Group an der Universität Innsbruck, wo er seit 2017 tätig ist. Zuvor studierte er in den Vereinigten Staaten sowie in Alaska. Zu seinen Schwerpunkten zählen unter anderem Forschung in Höhlen, die Rekonstruktion vergangener Umgebungen sowie Klimaschwankungen.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Dr. Paul Wilcox
- Pressemitteilung der Universität Innsbruck: "El Niño: Menschlicher Einfluss und natürliche Variabilität"
- Studie: Wilcox, P. S., Mudelsee, M., Spötl, C., & Edwards, R. L. (2023). Solar forcing of ENSO on century timescales. Geophysical Research Letters, 50, e2023GL105201.
- Studie: Wilcox P., Spötl C., Honkonen J. & Edwards, R. L. (2023). A Walker switch mechanism driving millennial-scale climate variability. The Innovation Geoscience 1(2), 100026.
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