Der 30. Juni ist für die Demokratische Republik Kongo ein ganz besonderer Tag. Vor genau 60 Jahren wurde das afrikanische Land eigenständig, nachdem es zuvor seit 1885 unter belgischer Kolonialherrschaft gestanden hatte.
Das Land mit 80 Millionen Einwohnern zählt zu den ärmsten Nationen der Welt und hatte auch nach der belgischen Kolonialherrschaft lange Zeit mit einer Diktatur zu kämpfen. Erst 2006 fanden wieder demokratische Wahlen statt, nachdem dies zuvor letztmals 1965 der Fall war.
Leopold II. beutete Kongo aus
Während der Herrschaft des belgischen Königs Leopold II., die zu den grausamsten Kolonialregimes gezählt wird, ereignete sich mit dem "Kongogräuel", der gezielten Ausbeutung des Landes, eines der größten Verbrechen in der Kolonialgeschichte.
Angelockt von den Rohstoffen Kautschuk und Elfenbein übernahm Leopold II. 1885 die Herrschaft im afrikanischen Land, nachdem er zuvor beinahe das belgische Königshaus in den Ruin getrieben hatte.
"Leopold, du ruinierst uns noch mit deinem Kongo", soll seine Mutter gewettert haben. So schrieb er einen Brief an die halbe Welt und pumpte andere Länder um Geld an.
Denn Leopold II. hatte 1879 den Abenteurer Henry Morton Stanley losgeschickt um den Landstrich in der Mitte des afrikanischen Kontinents zu erkunden und die Stützpunkte dort einzunehmen. Stanley handelte 450 Verträge mit den Häuptlingen entlang des Kongo-Stroms aus, zog sie dabei aber gewaltig über den Tisch. Für billigen Schnaps und Perlen verkauften sie ihr Land an den belgischen König – und was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten: Auch ihre Arbeitskraft.
Leopolds Söldner agieren mit großer Brutalität
So nahm das Unheil seinen Lauf, auch wenn Leopold II. in Europa davon sprach, dass er dem Kongo Frieden und Wohlstand bringen wolle, woraufhin ihm die Afrika-Konferenz 1885 in Berlin den Kongo in seinen Privatbesitz übertrug.
Nachdem seine Bettelbriefe erfolgreich waren, begann Leopold II. mit der Erschließung des Kongos. Er baute Straßen und Städte, aber vor allem engagierte er eine Söldner-Truppe um den Staat wirtschaftlich auszunehmen – ohne dabei jemals einen Fuß auf den Kontinent zu setzen.
Zunächst hatte er es vor allem auf das Elfenbein abgesehen, bevor die Erfindung des Reifens durch John Boyd Dunlop 1888 den Kautschuk in Leopolds Fokus rücken ließ. Dabei gingen seine Söldner mit größter Brutalität vor. So berichtete ein Richter im Jahr 1900, dass sogar Kinder schon mit Peitschenhieben bestraft wurden, weil sie einen Weißen ausgelacht hatten. Die Peitsche bestand dabei aus Nilpferdhaut. 100 Schläge konnten einen Menschen töten.
Die einzelnen Dörfer wurden zudem verpflichtet eine bestimmte Menge Kautschuk zu liefern, wurde dies nicht eingehalten, verschleppten und vergewaltigten die Söldner die Frauen des Dorfes und töteten diese anschließend. Dörfer die sich komplett weigerten wurden von der "Force publique", so der Name der königlichen Söldner, komplett ausgelöscht.
Millionen Tote während Leopolds Herrschaft im Kongo
Zudem mussten die Soldaten über jede verschossene Patrone Rechenschaft ablegen, indem sie die rechte Hand des Getöteten vorlegten. Da die Waffen aber auch oftmals zur Jagd benutzt wurden, hackten die Soldaten auch vielen Menschen bei lebendigem Leib die Hand ab.
Der britische Journalist Edmund Morel wurde schließlich auf die Tragödie aufmerksam, als er feststellte, dass die Schiffe in den Kongo nur Waffen und Ketten transportierten. Nach einem Besuch vor Ort war es Morel, der Anfang des 20. Jahrhunderts mit der ersten Menschenrechtskampagne überhaupt auf das Leid der Menschen im Kongo aufmerksam machte. Großbritannien bestätigte 1903 Morels Vorwürfe, in der Folge wuchs der Druck weiter und weiter, bis schließlich 1908 Leopold II. den Kongo aus seinem Privatbesitz an den Staat zurückgeben musste. Die Kolonie hieß fortan Belgisch-Kongo bis zu ihrer Unabhängigkeit am 30. Juni 1960.
Doch Leopolds Gräueltaten hinterließen enorme Spuren im Kongo. So ergab eine Volkszählung 1911, dass in den 23 Jahren von Leopolds Herrschaft rund 25 Millionen Kongolesen ums Leben kamen. Beim "Kongogräuel“ schätzen Historiker, dass zwischen fünf und 15 Millionen Menschen getötet wurden. Heutzutage würde man von einem Völkermord sprechen.
Aufarbeitung in Belgien nur zögerlich
Und doch schreitet die Aufarbeitung der Ereignisse in Belgien nur langsam voran. Noch im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts wurde Leopold II. in Belgien als Beschützer des Christentums und Bekämpfer der Sklaverei dargestellt. Außerhalb Belgiens werden die Ereignisse im Kongo um die Jahrhundertwende anders aufgearbeitet. So hat beispielsweise der amerikanische Publizist Adam Hochschild in seinem Buch "Schatten über Kongo" das Wirken des angeblichen "Menschenfreunds" Leopold II. enttarnt.
2005 wurde im Königlichen Museum für Zentral-Afrika in Brüssel eine Ausstellung anlässlich des 175. Geburtstags Belgiens gezeigt. Gemeinsam mit kongolesischen Wissenschaftlern wurde die Kolonialvergangenheit aufgearbeitet, allerdings waren die Angst und Unterdrückung der Kongolesen dabei nur ein Randthema. Zusätzlich erschwert wird die Aufarbeitung durch fehlende Zeugnisse und Quellen der Opfer aus jener Zeit. Zuletzt geriet Leopold II. aber wieder in den Fokus, denn im Zuge der Proteste nach dem Tod von George Floyd forderten Demonstranten das Entfernen der Statuen des einstigen Herrschers.
Lage im Kongo weiter dramatisch
Der Kongo hingegen hat keine Zeit zur Aufarbeitung der Vergangenheit, schließlich kämpft das Land in der Gegenwart noch immer mit großer Ungleichheit und enormer Armut. Im Kongo herrscht immer noch das Recht des Stärkeren, dass das Land schon unter Leopold II. ins Elend gestürzt hat. Im Demokratieindex 2019 liegt das Land auf Rang 166 von 167 Nationen. Dabei sollte 1960 nach der Unabhängigkeit alles besser werden.
"Wir haben die Erfahrung gemacht, dass unser Boden geraubt wurde unter dem Vorwand angeblicher Gesetze, die nichts anderes gemacht haben, als das Recht des Stärkeren durchzusetzen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass in den Städten die Weißen in riesigen Villen leben, und die Schwarzen in baufälligen Strohhütten", bilanzierte Patrice Lumumba, erster Premier nach der Loslösung von Belgien.
Nur ein halbes Jahr später wurde er, mit Unterstützung der CIA, ermordet. Wohl aus Sorge um eine Verschiebung der Kupfer-Lieferungen in Richtung Russland.
Verwendete Quellen:
- Spiegel: Herrschaft der Peitsche
- Planet Wissen: Belgien und der Kongo – Weißer König, schwarzer Tod
- Deutschlandfunk: Ausbeutung und Gewalt bis heute
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